Dr.  Manfred  Krill  Verlag FÜR PSYCHOANALYSE

HAINERBERGWEG 53, D-61462 KÖNIGSTEIN IM TAUNUS

Telefon 06174-23660

Inh.: Dr. med. Manfred Krill

 

Theater- und Filmkritiken  

 

X Freunde

Liebe (Haneke)

Work hard, Play hard (Losmann)

Black Swan

Frances Ha

A Serious Man (Coen & Coen)

Burn After Reading

Burton Fink

 

„X Freunde“, Premiere im Schauspielhaus Frankfurt am 8.11.12, Autorin Felicia Zeller/ Regisseurin R. Bettina Breunier 8.11.12

 

Die ersten 45 Min. reinste Sprechartistik, bewundernswert, diese Tempo, war auch, wie zu erfahren war, schon vor Inszenierung gelernt, aber Theater ist etwas anders als vorgetragene Literatur, ist keine Lesung.

Dann setzte ein interessanter Kunst-Ton ein, leider nicht wiederholt. Dieser Ton hätte einen Einstieg zur Besinnung sein können. War wie eine Erlösung von dem Aufdringlich- Belehrenden (wenn auch Gescheitem), - die aber nicht eingehalten wurde, denn der Ton hörte so hastig auf, wie er eingetreten war. Die Regie hatte hier einen guten Einfall, hat aber nicht an dessen Wert geglaubt, ihn nicht erkannt. So steht der Ton völlig isoliert da, schade.

„Gymnastische Umsetzung“, wie es die Autorin gewünscht hatte (lt. Abschlussbesprechung) nur ca. über 1 Std. nach Beginn erreicht (endlich Tanz), zu spät und nicht ausdauernd genug.

Immerhin sehr interessante Turnübung mit PC vor sich, - eine gute Erfindung der Regie.

Sonst war es nur Gehopse, Klamauk, zu plump, Stampfen, Springen, Draufschlagen, und dies zu oft wiederholt.

Zu viele Längen: 1 Wandverkleidung abreißen und draufschlagen, hätte gereicht, 7 waren sinnlos, - das hörte und hörte nicht auf. Diese Idee der leeren Wiederholung will zwar das Sinnlose der Leistungsgesellschaft demonstrieren, entfernt sich aber nicht bühnenhaft genug vom Text. Der Zuschauer kriegt es nur noch mal gesagt.

Die Zahngeschichte zu derb, Zahn zu schwarz (so genau wollen wir Zuschauer es auch nicht sehen), und noch die Zange und noch das Blut und noch der Kollaps, - mag als Moritat-Einlage durchgehen, war aber dazu zu ausgedehnt, mit Wiederholungen darin..

Besser wäre, der Zuschauer entwickelt solche Phantasien, aber wie bringt man den Zuschauer dazu? Ähnlich das viele Schreien: Zu laut, zu oft, zu wiederholungshaft und gesucht, anlasslos, unmotiviert. Gefühl der Peinlichkeit wie auch bei dem übrigen Drastischen. Schmerzhafter Gedanke: Der Regie ging es mehr darum, dass es lebhaft zugehen sollte, - vielleicht die Leute erschrecken, damit niemand sagen kann, er hätte sich gelangweilt, - nach dem Prinzip: Mehr ist mehr.

Für das trommelfeuerartige Einhämmernde des Textes kann die Regie nichts, aber sie hätte kürzen und umwandeln können.

Funktionslos, gesucht: Die Würfel (Philosophische Gedanken über die Strenge des Würfels: Geschenkt). Guter Regieeinfall: Die Wogen des Firmennamens. Endlich mal vom Sprechen erlöst, wie mit dem Ton.

Interessante Szene erneut: Das Hochflattern und Niedersinken der DinA4-Blätter, aber auch hier ergab die Wiederholung (1x) keinen Gewinn. Führt nur zu ärgerlichem: „Das hatten wir doch gerade“. Erweckt den Eindruck, wie alle Wiederholungen, von Ratlosigkeit. Soll sich der Zuschauer dumm fühlen? Als ob er das erste Mal nicht mitgekriegt hätte?

Suizid: Motivation dazu nicht entwickelt, kommt aus heiterem Himmel. Wirkt konstruiert, gesucht. Nicht einleuchtend, nur von einem abstrakten Konzept vom Elend der Leistungsgesellschaft eingepflanzt. Müsste stattdessen stückimmanent und aus der Person des Spielenden hervorgehen. Intellektualisierung. Mühsame psychologisierende Erklärungen sind auf der Bühne unangebracht. Psychologie kann man besser in einem Lehrbuch nachlesen.

Insgesamt:  

Regie hat zu wenig gemacht, hat sich zu sehr an den Text gehalten. Ihn wiederzugeben, reicht nicht für eine Insz. Sie hat sich vom Text erschlagen (besser: pisacken lassen von tausend Nadelstichen, Maschinengewehr..) lassen wie die Zuschauer und die Spieler, - alle sind erschossen. Stattdessen Idee: Pause , mit einem seltsamen, entfremdenden Ton und völliger Erstarrung in einer Pose. Dann wieder los im Eiltempo. Dann hätte man die 1,5 Std. Pflichtzeit ebenfalls halten können. Die kurze Besinnung im Stück bei der Hauptdarstellerin reichte nicht. Sie war todmüde (und krank, wie hinterher zu erfahren war), dies hätte sie in diesem Fall sogar zeigen sollen.

Der Zuschauer kriegt alles endlos eingetrichtert, ihm wird alles, alles bis in alle Einzelheiten erklärt (daran ist aber die Autorin schuld), eingehämmert, auf Auge gedrückt, wird selbst atemlos, hat zu wenig Raum für sich, sein Nachdenken, seine Bilder zu entwickeln. Seine Phantasien werden zugeschüttet von der großen Ausschüttung der Worte und klugen Sätze.

Im Vgl. zu Brecht wird hier nicht nur belehrt, sondern in einem Irrsinnstempo und mit lauter scharfsinnigen Sätzen. Zuschauer ist so doppelt entmündigt. Bei Brecht hatte er noch Zeit zur innerlichen Gegenwehr und Vorausdenken, hier hat er Mühe, mitzukommen.

Die Eintönigkeit und Tödlichkeit der Über-Leistung werden verdinglicht und aufgezwungen, statt diese im Zuschauer entstehen zu lassen. Es fehlt die Verwandlung.

Ähnlich die Spieler: Vor lauter Sprechkunst hat der Zuschauer keine Gedanken über die Innenwelt der Spieler. Was geht in diesen vor, habe ich mich oft gefragt. Wollte die Autorin zeigen, dass sie kein Innenleben haben? Wenn ja (was ich nicht glaube), fehlt die Verwandlung. Die Spieler haben wie die Regie zu sehr ihre Person aufgegeben, zugunsten einer virtuosen Durchleitungsfunktion, wie wohl schon die Autorin, die, sensibel für die Leistungsgesellschaft und ungeheurer gescheit, sich von dem Druck, den sie spürt, erleichtert und ihn zu ungefiltert weitergibt, an die Regie, zusammen mit der Regie, an die Spieler und alle auf den armen Zuschauer. Dieser ist Opfer, Endstation einer  Abfallröhre ohne zwischengeschaltete Verdauung.

Zuviel mit Fakt vergewaltigt statt Verwandlung. Man kann nicht einfach die Qual weitergeben an den Nächsten, den Zuschauer.

M.E. Aufgaben d. Regie, d. Schausp. und d. Zuschauer: Respekt erleben vor der Welt der Bühne. einer eigenen Welt.

Bloße Weitergabe, also Durchleitung ist keine Kunstleistung. Auch nicht bloße Umsetzung in Bewegung, Figuren. Nichts für ungut. Es ist sehr schwer, ein solches Sprechkunstwerk auf die Bühne zu bringen, also umzuwandeln in eine Bühnenwelt. Die Autorin ist wegen ihres hochgescheiten Textes in Mode, - dies heißt aber nicht, dass sie auf Dauer auch eine gute Bühnenautorin sein kann. Belehrungen, Eintrichterungen werden die Leute rasch leid.

Manfred Krill, Psychoanalytiker

 

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Film „Liebe“ von Michael Haneke (geb.1942), Regisseur

mit Emanuelle Riva (Musiklehrerin, Anna) und Jean-Louis Trintignant (Musiklehrer,Georg), beide real über 80 J. alt., lang verheiratetes Ehepaar. Deutschland, X-Verleih 2012  

Ein altes Ehepaar lebt in einer gepflegten, althergebrachten Wohnung, dem Grundriss der elterlichen Wohnung des Regisseurs nachempfunden, dem Ende entgegen. Die Ehefrau erleidet einen Schlagfanfall. Als sich ihr Befinden verschlechtert, setzt er die kluge und aufopferungsvolle Pflege nicht mehr fort, sondern versteht ihren Hilferuf richtig und wirft sich mit einem Kissen auf sie und erstickt sie. Dann versiegelt er die Wohnung, schmückt die Leiche mit einem Kranz von Blumenköpfen, und ist plötzlich nicht mehr da. Der Film beginnt mit dem Einbruch der Feuerwehr in die Wohnung, - einem filmischen Meisterstück, ohne dass es leicht zu sagen wäre, worin dieses Meisterstück eigentlich besteht. Die Bilder sind filmisch hervorragend und überraschend.

Nebenfiguren sind die geldgierige osteuropäische, die Kranke unter dem Anschein von Körperpflege misshandelnde Pflegerin und die Tochter des Ehepaares, die sich besserwisserisch, auskunftsheischend, scheinbeteiligt, sich mit ihrer Frage, was denn nun los sei, in den Mittelpunkt stellt, ohne selbst helfen zu wollen, aber um sich von Schuldgefühlen zu befreien, in Szene setzt. Ein Hausmeisterpaar ist hilfsbereit und stapelt Riesenmengen von Wasser auf dem Tisch, - ein. Ebenfalls ein Seitenhieb, Seitenhieb des Regisseurs auf den Wasser-Trinkglauben unserer Zeit diesmal auf den Sauberkeitswahn unserer Zeit, dürfte das emsige Treiben der Putzfrau mit dem plötzlich einsetzenden, furchtbaren Staubsaugergeräusch sein. Hier kann man daran denken, dass der Regisseur auch eigene Erfahrungen mit einer fuchtelnden Hausfrau einfließen lässt bzw. drohendes Fuchteln mit Haushaltsgeräten („Nudelholz“, Besen) den Frauen unterstellt und deren potentielle Bösartigkeit darstellen möchte („mit den Waffen einer Frau“, - diesmal unsymbolisch verstanden).

Als ob es hier auf Sauberkeit ankäme! Hier spielt der Regisseur auch geschickt auf die Abwehr durch Verschiebung an: Das Unwichtige wird zum Wichtigen gemacht, um sich nicht mit dem Wesentlichen auseinandersetzen zu müssen, - eine allgemeine, alltägliche Abwehr von Unerwünschtem beim Menschen. Sie haben auch keinen Respekt vor guter Musik. Der Staubsauger gilt den Menschen sogar mehr. Kaum dass die Musik verklungen ist, setzt sich das Ordinäre durch. Es siegt die Unkultur, und die Kultur ist eine nur zeitweise Erscheinung. So sind die Menschen, will wohl der Regisseur mit Resignation sagen.

Wahrscheinlich will der Regisseur aber auch damit sagen, dass diese Geräusche – wie z.B. auch die stundelang heulenden Laubsauger ohne Rücksicht auf alte Leute erzeugt werden, aber immer noch harmlos sind im Vergleich zur Betriebsamkeit in einem Alters- und Pflegeheim.

 

Die Nebenfiguren drängen sich kaum dazwischen, gehören sozusagen mit den langen Einstellungen der Wohnungsansichten zum Inventar.

Was diesen Film auszeichnet wie wenige: Dass er weitgehend auf grobe Manipulation des Zuschauers durch eine untermalende Musik, auf – die immer abstoßende – Frontalbeleuchtung, raschen Bildwechsel, etwa das gängige Zoomen, und zeitliche Verfremdung verzichtet, sodass das Stück etwas Zeitloses hat. Musik ist nur als hochstehende Klaviermusik, so von einem ehemaligen Schüler der Frau zu hören. Sie ist beeindruckend schön und zeigt den hohen Bildungsstand des Ehepaares. Sie ist geeignet, das Publikum zu erfreuen und vom sich abzeichnenden furchtbaren Geschehen abzulenken, aber sie sieht von Manipulation ab. Sie gehört mehr zum kulturellen Hintergrund des Paares, um nicht zu sagen zum Inventar mit der Aura der Selbstverständlichkeit, ebenso wie die gepflegten Umgangsformen. Der Regisseur gönnt dem Zuschauer recht lange Einstellungen, die er wohl von deren Erfinder Kaiser, dem Kameramann Fassbinders, abgesehen hat. So belässt er dem Zuschauer viel eigenen Raum zum Fühlen, Denken und Erwarten. Er zeigt diesem, den Schauspielern, dem Stück, dem Autor, der Bühne, der Filmbühne überhaupt somit Respekt. Ruhig schwimmen die Figuren auf diesem Halt gebenden Hintergrund und können sich so dem Zuschauer in ihrer leichten, natürlich- eleganten, undramatischen Beweglichkeit mitteilen. Die Sprache ist gehoben von natürlicher Vornehmheit, bei Hauptdarsteller mit bester Artikulation, bei der Hauptdarstellerin dies nur anfangs, dann mit verlöschender und grob unartikulierter Stimme.

Beide Hauptdarsteller strahlen eine natürliche Autorität und Würde aus.

Man kann sagen, dass sich dieser Film wohltuend auf das Filmische beschränkt und Additiva nicht nötig hat.

Der Zuschauer, selbst mit Respekt behandelt, erwidert gern diesen Respekt.

Was hat die Psychoanalyse zu diesem Film zu sagen? Sie kann natürlich immer etwas sagen. Psychoanalyse braucht aber einen Patienten (was ist die Psychoanalyse ohne Patient? Nichts.), und einen Patienten hat sie im Film nie. Also nimmt sie „mangels Masse“ den Regisseur in die Patientenpflicht. Er kann sich nicht dagegen wehren, sich untersuchen zu lassen, - nach seinen verbalen und nonverbalen Äußerungen, nach seinen Regieanweisungen. Und er kann speziell auf Abwehr untersucht werden, ohne um Erlaubnis gefragt zu sein. Man kann auch die Schauspieler so behandeln, als ob sie Patienten wären. Das Stück selbst ist keine Person und kein Akteur, auch wenn sich die Zuschauer zu Unrecht an das Stück halten und es behandeln möchten wie eine Person mit Eigenaktivität („Das Stück hat mich beeindruckt...mich genervt...mir neue Einsichten gegeben“), mit Absichten, mit Fehlhandlungen, mit Erinnerungen und womöglich mit einer eigenen Kindheit, der sog. Entstehungsgeschichte: „Wie kam der Regisseur auf diesen Gedanken? Mit wem hat er zuvor gesprochen? Wer hat ihn beeinflusst, ermuntert? Wer hat ihn anfangs entmutigt? Welche Todesfälle spielten in seine Gedankenwelt hinein? Was ist im Regisseur seit Jahren vorgegangen? Hatte er zuvor mit einem anderen Regisseur gesprochen? Hat er eigene Träume verwendet? Hat er Andere kopiert und dies verdeckt“?

Wir dürfen solche Fragen stellen, aber wir müssen uns immer gegenwärtig sein, dass im Film nicht die Wahrheit über den Regisseur liegt, genau wie wir in der Literatur daran festhalten müssen, dass in der Dichtung nicht die Wahrheit über den Dichter liegt, etwa über seine Biographie, womöglich über seine frühe Kindheit, wie es Analytiker zweifellos wünschen. Wahrheit ist hier nur die Filmwahrheit und sonst nichts.

Innerhalb des Mediums Film wirkt diese Geschichte authentisch und konsequent, ohne sich dem Zuschauer aufzudrängen. Der Film, auch dieser Film, ist nichts als Film, so wie gute Literatur nichts als gute Literatur ist. Der Zuschauer nimmt sie ohne Widerstreben auf, wie alle Kunstwerke, weil er hier fühlt, dass der Regisseur seine innere Wahrheit verfilmen ließ. Auch der Regisseur wäre vermutlich für gängige psychoanalytische Konstrukte nicht zu haben.

 

Üblich ist hingegen, im Film nach Szenen zu suchen, die – tatsächliche oder vermeintliche -kindliche oder frühkindliche Zustände oder Erinnerungen wiedergeben sollen, scheinbar zweckmäßig besonders an solche, welche durch die verschiedenen Schulen der Psychoanalyse zur Zeit produziert wurden, damit der analytische Interpret zeigen kann, dass er auf der Höhe der analytischen Zeit ist.

Aber dieser Zugang hat sich längst als unfruchtbar erwiesen. Bekanntlich findet man so die Eier, welche die Psychoanalyse schon längst gelegt hat und die zum Teil schon kräftig angefault sind. Flink ausgemacht sind ödipale Verwicklungen, frühe und früheste Mutter-Kindbeziehungen in Form aufopfernder Sorge für das Kind. Wie sagte noch die Witwe Bolte in Max und Moritz von Wilhelm Busch: „Sieh da, ich dacht es gleich“. Sie hatte nichts anderes erwartet, und weil die Erwartung zutraf, war sie hochzufrieden.

So bringt die naheliegende Deutung, mit dem Einbruch der Feuerwehr in die verriegelte, übelriechende Wohnung mit der toten Hauptdarstellerin sei der gewaltsame Einbruch des Mannes in die Frau gemeint, keinerlei Erkenntnisgewinn. Hier wird nur die These von der angeblich alles beherrschenden Sexualität angewandt. Ein Bild wird nur durch ein anderes ersetzt. Und es wäre ja gelacht, wenn man nicht mit etwas Geduld Hinweise für die sog. projektive Identifikation, ohne die anscheinend kein Analytiker mehr auskommen möchte, finden könnte. So könnte der Ruf der Frau nach „Hilfe“ verstanden werden. Sie legt diesen Hilferuf, diesen offensichtlichen Wunsch nach dem Tod, in ihren Mann hinein, und dieser reagiert mit dem erhofften Totschlag. Nur wird bei dieser Interpretation übersehen, dass projektive Identifikation eine Abwehr sein soll, diese aber bei dem Mann nicht zu sehen ist, sondern höchsten eine kurze Containerschaft, und dass hier kein Unterschied zur Manipulation, wie sie alltäglich ist, erkennbar ist. Nach einiger Begriffsstutzigkeit hat der Mann auch verstanden, was sie wünscht, und diesen Wunsch ausgeführt.

So einfältig- selbstzufrieden kann dieser Regisseur nicht sein.

Bei solcher Art von Interpretation bleibt es bei bloßen Bestätigungen von Erwartungen. Man kann diesen konventionellen Zugang als eine hoffnungsvolle, traditionsgemäße, compliancehafte, selbstzufriedene, verspießerte Erwartungsideologie bezeichnen.

Psychoanalyse kann nichts von Bedeutung zum Filmerlebnis beitragen.

 

Der umgekehrte Weg, nämlich aus Filmen Gewinn für neue psychoanalytische Erkenntnisse über den Menschen zu gewinnen, ist nicht begangen worden.

Ich will es hier versuchen.

 

Die menschliche Reaktion auf Filme sind Faszination, heftige Affekte der Trauer, der Ratlosigkeit, Begeisterung, auch der Freude, ein großes Gemeinschaftserlebnis, Suchen nach Öffentlichkeit und weiterer Verbreitung und die Verleihung unzähliger Preise, - dies alles nicht nur aus finanzieller Begehrlichkeit. Das optische Medium, besonders noch in Großformat, ist per se stark suggestiv, und zwar so sehr, dass eine Gegenwehr mühsam und im Großen Ganzen erfolglos ist. Der Mensch ist dem Film ausgeliefert, aber liefert sich ihm gern aus, weil er hofft, etwas Neues zu sehen.

 

 

Ebenfalls nicht gegangen ist der Weg, moderne Psychoanalyse in Form der Analyse der Abwehr auf den Film anzuwenden.

Es ist also zu fragen, wo sich im Film eine Abwehr von unbewussten Strebungen, Ängsten Schuld- oder Schamgefühlen zeigt.

Die am häufigsten benutzte Abwehr dürfte die Vermeidung sein. Wo also wird etwas vermieden? In diesem Film wird insgesamt wenig vermieden. Die Figuren sprechen so, wie sie fühlen und denken, und dies ruft im Zuschauer das überwältigende Gefühl der Vertrautheit, der Selbstverständlichkeit und der Ehrlichkeit der Darstellung hervor. Es handelt sich um ein Drama, aber auf jede Theatralik hat der Regisseur verzichtet. Die Figuren sind, wie auch die Gegenstände, sehr liebevoll und sehr genau in ihren Einzelheiten gezeigt. Das Filmerlebnis geht nicht zuletzt darauf zurück, dass der Regisseur dem Zuschauer durch die langen Einstellungen ermöglicht, diese Einzelheiten genau wahrzunehmen und zu würdigen. Sie erscheinen ihm plausibel, bis kurz vor dem Ende sogar alltäglich- vertraut. Sie entbehren namentlich jeder peinlichen Intimität, sodass das Hinschauen auf die Einzelheiten angenehm bleibt und sich der Zuschauer gern der Bildfolge überlässt.

Die Selbstverständlichkeit der Atmosphäre erweist sich zum Schluss als trügerisch, als die Frau immer wieder nach Hilfe ruft und damit – leicht erkennbar - psychoanalytisch gesehen nur in Form einer Verschiebung nach dem „Tod“ ruft, den sie wünscht und dazu das Trinken verweigert, sogar ihrem Mann das eingeflößte Wasser ins Gesicht spuckt. Hier kann man analytisch von Identifikation mit dem Aggressor sprechen, aus Angst, dass ihr Leben künstlich verlängert wird. Der Aggressor ist in diesem Fall der Ehemann.

 

Nur zum Schluss ist der Regisseur von seinem Konzept der nüchternen, unverstellten, sensationslosen Darstellung abgewichen, und zwar ins Symbolische. Es taucht eine Taube auf, und der Hauptdarsteller verschwindet ganz. Hier kann man den Eindruck haben, dass dem Regisseur die Schwere des Themas (Vergänglichkeit, Tod) über den Kopf gewachsen ist. Er ist aus der Klarheit und Konsequenz seiner Darstellung ausgebrochen. Es ist wohl nicht übertrieben, hier von einem Missgriff des Regisseurs zu sprechen, nämlich einen Griff in die symbolische Mottenkiste, ausgerechnet zum abgehalfterten Symbol der Taube. Es mag eigene Todesfurcht gewesen sein, die den Regisseur dazu gebracht hat, gegen sein eigenes Konzept der Nüchternheit und Klarheit zu verstoßen.

 

Auch das einfache Verschwindenlassen des Hauptdarstellers ist kein Kunststück, jedenfalls alles andere als originell. Es ist Routine. Es erinnert an das Umgekehrte, den Deus ex machina, der plötzlich erscheint, wenn dem Autor oder dem Regisseur nichts Besseres einfällt, etwa, um eine vertrackte Situation zu meistern, oder einem nicht endenwollendem Stück endlich den Garaus zu machen.

 

Hier wird der Schluss vermieden, nämlich die Frage, wie es mit dem Witwer weiterging. Welche Angst mag der Regisseur gehabt habe, mit diesem weiterzumachen? Der Witwer war ja gesundheitlich noch gut erhalten und hatte noch ein Leben vor sich.

Es könnte die eigene Angst des nicht mehr jungen Regisseurs (geb.) vor seinem eigenen Tod sein, die ihn hier daran gehindert hat, mit dieser Figur weiterzumachen. Er hat diese Figur am Ende vermieden.

Was weiter lebt, ist hingegen die Taube und die Tochter der Hauptdarsteller. Deren Tod steht nicht bevor.

Oder ist das Verschwinden ein Auftrag an den Zuschauer, sich mit dem Witwer zu befassen und in seinem Kopf die Geschichte zu Ende zu bringen? Der Regisseur könnte somit seine Aufgabe an Nachfolger übergeben haben, vielleicht eine harte Nuss, an der sie sich die Zähne ausbeißen sollen.

Der Regisseur hat gearbeitet, für das Stück, und an den Figuren, nun soll der Zuschauer auch etwas leisten? Soll der Zuschauer nun ihn zu Ende pflegen und sich ebenfalls mit einem Kissen auf ihn werfen? Der Stab der Aufgabe wird weitergegeben. Ihr sollt auch etwas Spaß haben, will der Regisseur wohl zu den Zuschauern sagen. Ihr sollt nicht einfach im Sessel gesessen und genossen haben, wofür ich so lange gearbeitet habe. So, wie die Tochter, die zum Schluss allein in der Wohnung sitzt, jetzt endlich dran ist. Aus ist es mit ihrem besserwisserischen Zuschauen. Ein bisschen Rache ist gesund.

Hier aber kann der Film die heute gängige Psychoanalyse in Trab bringen: Blickt endlich in die Zukunft statt in die Vergangenheit samt Eurem ewigen Graben in der frühen Kindheit. Wir, die Hauptdarsteller, haben ebenfalls eine Kindheit gehabt, und zwar ebenfalls eine mit Konflikten, die nie ganz überwunden wurden, die aber jetzt keine Rolle mehr spielen. Wir pochen nicht auf unsere Kindheit. Schon gar nicht wollen wir unsere Eltern und Geschwister, Tanten und Onkel,  Vettern und Cousinen oder unsere Kinder anschuldigen. Nichts wäre so langweilig. Jetzt sind wir Erwachsene und haben andere Aufgaben. Wir entwickeln uns bis zuletzt weiter in Richtung Eigenständigkeit und wünschen es so. Dazu gehört auch, dass wir unser eigenes Ende wünschen, wenn wir spüren, dass es naht. Wir werden irgendwann hilfsbedürftig, aber wir denken nicht daran, deshalb wieder zu Kindern zu werden oder uns zu Kindern machen zu lassen und können dies auf keinen Fall dulden. Derartige Ansinnen, die uns von außen angetragen werden, empfinden wir als Zumutung und als weltfremd. Niemand käme auf die Idee, eine Taube in ein Taubenküken zurückverwandeln zu wollen. „Taube, hast du nie etwas von Regression gehört? Regrediere gefälligst! Wir sind auf Regression angewiesen, die Therapierichtlinien wollen es so“. Wir haben nicht weniger als ein Tier eine gesunde Abneigung, in die Kindheit zurückversetzt zu werden, selbst wenn dies möglich wäre, denn nichts wäre langweiliger und abstoßender. Taubenrecht ist Menschenrecht. Welche Arroganz und Ignoranz, uns zu Kindern machen und uns zu Erinnerungen an die Kindheit drängen zu wollen! Wer soll Euch dazu beauftragt und ermächtigt haben? Wer eine solche Forderung erfunden hat, hat Angst gehabt vor dem Erwachsenwerden und davor, dass Andere erwachsen werden. Wir haben ihn im Verdacht, dass er Patienten nach der Richtlinientherapie braucht. Wir würden uns nie von Freud und seinen Anhängern in dieser Weise misshandeln lassen. Eine Wurzelbehandlung als Programm ist lächerlich. Wir wollen unsere Würde behalten und durchsetzen gegen alle Helfer, die uns diese nehmen wollen. Falsche Hilfe spucken wir notfalls zurück.

Wir wollen nicht hinter uns blicken, sondern nach vorne sehen. Wir haben unser eigenes Programm und wollen uns darin von niemandem stören lassen, und schon der Versuch dazu ist lächerlich und missachtet uns. Gebt die ewige Rückwärtsgewandtheit der Psychoanalyse endlich auf! Wir haben nichts dagegen, dass eines Tages die Feuerwehr aufräumen wird, und auf eine Weise, die in den Therapierichtlinien nicht vorgesehen ist.

 

Hierin kann der psychoanalytische Gewinn des Films liegen. Wir alle haben einen Auftrag an die Zukunft.

Gut erfunden ist das Begräbnis. Der Mann begräbt sie in einem offenen Sarg (dem Bett) mit Blumen und versiegelt sorgfältig die Wohnung von innen mit Klebeband. Sie soll möglichst lange so liegen bleiben. Nach einer tieferen Bedeutung muss man keineswegs suchen. Es kam dem Regisseur auf die filmische Idee an, und diese ist ihm gelungen. Ein Psychoanalytiker könnte dem Regisseur freilich den Gedanken unterschieben, der Witwer habe damit Wiedergutmachung für seinen Totschlag betrieben, - als Abwehr gegen seine Schuldgefühle. Aber für Schuldgefühle hat der Witwer keinen Anlass. Er hat den Willen seiner Ehefrau erfüllt, in seiner Begriffstutzigkeit sogar etwas zu spät. Oder wollte der Regisseur zeigen, welch seltsame „Blüten“ „Liebe“ treiben kann? Auch dass der Regisseur das Alter damit zeigen wollte, dass Eigensinnigkeit auftreten kann, die von außen nicht verstehbar ist. Jedenfalls ist der Zuschauer von dieser Art der Verehrung überrascht, so wie Mitmenschen mit den Ausgeburten eines Alten nicht immer gerechnet haben. Wichtig ist allein, dass der Witwer es eben so wünscht und wir es zu respektieren haben, dass er es eben so haben will. Es ist seine Art, seine Frau zu beerdigen, und diese Art muss keineswegs unsere Art sein. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken, seine Wünsche nicht unsere.

Das Thema Blumensarg gewinnt durch die Einzelheiten an Gewicht, namentlich durch das sorgfältige Abdichten der ganzen Wohnung. Dies kann an altägyptische Särge in Grüften, in Kammern der Pyramiden, erinnern. Ein doppelter Sarg, in den nur mit Gewalt eingebrochen werden soll, womit der Film ja auch begann. Und der Witwer selbst kann nicht mehr hinein, er will nicht mehr hineinkönnen, er hat sie doppelt begraben, damit er endlich von ihr los ist, kann man denken. Es gibt die Geschichte von dem Witwer, der am Grabe seiner Frau steht, diese betrauert und laut zurücksehnt. Als sich plötzlich etwas Erde aufhäuft, ruft er erschrocken, man dürfe doch wohl noch einen Spaß machen.

Jedenfalls will der Witwer es so haben.

Nebensachen sind die falsche (Pfötchen-)Stellung (wie bei einer Tetanie, statt Extension im Handgelenk) der gelähmten Hand, die lächerlich wirkt. Der Regisseur hat offenbar nur einmal etwas von einer gelähmten Hand gehört, aber nie hingesehen. Ebenso falsch ist die Fehlartikulation der sterbenden Hauptdarstellerin. Dem Regisseur ist nicht eingefallen, einmal einen Neurologen zu fragen, aber es kam ihm wohl nicht hierauf an, weil er gezeigt hat, was er zeigen wollte. Immerhin zeigen diese Beispiele, dass sich ein Regisseur aufs Glatteis begibt, wenn er ehrgeizig auf fremden Pferdchen reiten und - unnötig - fachlich scheinen möchte, wo er es weder sein kann noch ernsthaft sein will, namentlich psychiatrisch, neurologisch oder psychoanalytisch, wo jeder gern mitreden möchte. Hier hat der Regisseur vermieden, sich mit dem Sachverhalt zu befassen. Von dem Begriff Abwehr z.B. hat noch kein Regisseur gehört noch diesen berücksichtigt oder zeigen wollen, auch dieser nicht.

Wollte er damit seine Verachtung für diese Fächer zeigen? Er hat in gewisser Weise Recht, denn es geht nicht um ein Lehrstück in diesen Fächern, auch nicht um ein psychoanalytisches Lehrstück.

Manfred Krill

 

Work hard - Play hard

ein deutscher Film aus dem Jahre 2011

von Carmen Losmann (Reg., geb. 1978)

gesehen 2014

 

Es handelt sich um einen Dokumentarfilm, der die moderne Arbeitswelt mit ihren Grausamkeiten bei der Prüfung („assessment“) von hochkarätigen Bewerbern denkbar anschaulich, eben dokumentarisch, darstellt. Der Regisseurin darf man gratulieren, dass sie die geniale Idee hatte und mit großer Ausdauer gegen verständliche Widerstände verfolgt hat, Firmen dazu zu bringen, diese Aufnahmen direkt an der Quelle zuzulassen. Hard work und hard play darf sich also auch die Regisseurin unbedingt bescheinigen, und ganz frei von der modernen harten Arbeitswelt kann also auch sie nicht sein. Um etwas zu beschreiben, muss man mit Leidenschaft hineintauchen.

Die Regisseurin gab zu verstehen, ihr habe es fern gelegen, den Film mit eigenen Ansichten oder gar Empörung zu belasten, sondern sie habe einfach nur filmen wollen, ohne sich all zu viele Gedanken zu machen. Eine Bilderwelt machen heißt nicht, sich Gedanken zu machen. Nicht, dass sich die Regie keine Gedanken machen könnte, aber dies ist nicht ihre primäre Aufgabe. Die Gedanken seien erst hinterher gekommen. Gemeint ist wohl auch, dass der Zuschauer sich selbst ein Bild machen solle.

Dies, einen Film zu machen, ohne sich groß Gedanken zu machen, mag sein oder nicht – nicht nur als Psychoanalytiker darf ich sagen, dass es keine absichtslosen Filme geben kann und auch nicht zu geben braucht, will heißen, dass immer unbewusste Motive, schon bei der Auswahl des Bildmaterials und bei der ganzen Konzeption, kräftig mitspielen oder, besser gesagt, die eigentliche Motivation, einen Film zu machen, abgeben, und dass es nur erreichbar ist, dem Zuschauer einen gewissen freien Raum zu geben, den er selbst ausfüllen darf.

Dies hat die Regisseurin mit Bravour erfüllt, und dies ist schon viel an wirklicher Filmkultur und Respekt vor dem Betrachter, und dafür können wir Zuschauer sehr zufrieden und dankbar sein. Respekt vor dem Betrachter und Respekt für die Regisseure sind, wie immer, wechselseitig bedingt, und offene oder heimliche Motivationen tun dem keinen Abbruch. 

Die dokumentarische Aufgabe kann leicht zum Plakativen verführen, aber auch diese Gefahr hat die Regisseurin wohl gesehen und im Großen und Ganzen gemeistert. So ist doch im Mienenspiel der grausamen Prüfer deutlich zu sehen, dass sie innerlich menschlich empfinden und sich von der vorgeschriebenen Prüfungsprozedur mit deren Quälcharakter und deren auch ins Intimleben eindringenden Fragen sichtbar distanzieren. Sie geben dem geplagten Prüfling zu verstehen, dass sie selbst es nicht so hart meinen, dass sie aber so vorgehen müssen. Auch in den Gesichtern der Prüflinge gewittert es, man spürt die innerliche Wut über die Zumutungen der Firmenleitung, die das Prüfungsschema ausgeheckt hat, und keineswegs nur Gehorsamkeit und Anpassung,  - wobei diese allerdings auch gar nicht gefragt sind, es also auch keine besondere Errungenschaft sein kann, widerständig zu sein.

Widerständigkeit der Prüflinge ist sogar ein Pluspunkt, und dies nagt an der Durchschaubarkeit der inneren Abläufe. Der Zuschauer hat aber auch hier die Freiheit, sich vorzustellen, wie es ihm erginge. Zweifellos fühlt sich der Zuschauer beklommen vor Angst und nicht weniger angewidert. In Vielen mag der tröstende Gedanke aufkommen, man selbst sei von so etwas verschont, und im Übrigen seien die Prüflinge selbst schuld, denn wer habe sie geheißen, sich um derart hochbezahlte Spitzenstellungen zu bewerben? Vielleicht waren sie selbst es gar nicht, sondern ihre Ehefrau, ihre Freundin? Darüber will der Film keine Auskunft geben. Dies ließe sich aber ebenfalls filmen. Dies würde dem Dokumentarfilm eine neue Dimension hinzufügen.

Inhaltlich geht es um gnadenlose Berechenbarkeit des Menschen, um totale Planbarkeit, um abgesicherte Voraussagen. Auch die Prüfer selbst stehen unter Druck. Man weiß auch in der Firma, dass die Prüfergebnisse wenig über die tatsächlichen Erfolge der Auserwählten für die Firma aussagen, die ganze harte Auswahl sogar nur Schaden für die Firma gebracht hat, aber die Prüfer müssen sich nach oben rechtfertigen und dazu eine umfangreiche Dokumentation vorlegen, die beweist, dass sie die Vorgaben der Firma bei der Prüfung erfüllt haben.

Aber auch die menschliche Seite der Prüflinge wird manchmal angedeutet, so, dass eine Frau, die geprüft, somit gequält wurde, einen auf das Unangenehmste quergehenden, huhnähnlichen Lachzwang entwickelt (der kann aber nicht authentisch sein, dürfte ein leicht antifeministischer Kniff der Regisseurin sein, mit dem sie ganz elegant und nebenbei wohl ihre ehrgeizigen Geschlechtsgenossinnen und die Hilflosigkeit ihrer Opposition aufs Korn nimmt), der die Geduld der Prüfer auf eine harte Probe stellt und zu Befremden zwingt, und wenn man sehen kann, wie sie hinterher im Hof der Firma sitzen, wohl das Ergebnis abwartend, und in üblicher Weise Kontakt zur Außenwelt (zu ihren Angehörigen?) aufnehmen. Sie entziehen sich dem Weiteren, auf das sie vielleicht ohnehin keinen Einfluss mehr haben, und kehren zu ihren normalen menschlichen Beziehungen zurück. Man kann auch sagen, sie lassen sich davon durch nichts abhalten, sie halten an ihnen fest, und die harte Prüfung war eine Episode. Sie lassen sich nicht kaputtmachen, - so leicht denn doch nicht. 

Was die Regisseurin nicht zeigen konnte, ist natürlich das feinere Innenleben der Prüflinge. Belastungen wie die hier gezeigten lassen sich gut filmen, aber wohin sie führen und ob sie überhaupt zu etwas führen, kann und will ein Film nicht so leicht zeigen. Jede Belastung führt zu einer Reaktion des Belasteten, aber zu welcher? Insbesondere führen Belastungen nicht automatisch zu Krankheiten, nicht einmal zwangsläufig zu inneren Konflikten, - dies wird zu oft vergessen.

Nur Soziologen können zufrieden oder hochzufrieden sein, wird hier doch die Schlinge vorgeführt, welche die moderne Arbeitswelt, wie schon Mitscherlichs – angebliche oder tatsächliche- „Unwirtlichkeit unserer Städte“, um den Hals der Menschen zieht, drastisch und mit anklagendem Unterton, mit dem der Zuschauer ohne weiteres mitschwingen kann / muss.

Aber dies ist nur die halbe Miete, denn für das Innenleben bleibt das Interesse schwach oder fehlt ganz. Eine Schlinge, eine Gemeinheit, eine Unwirtlichkeit, - na und? Manch einer findet, dass man in der Unwirtlichkeit Frankfurts einmal so richtig durchatmen kann, wenn man sich zuvor in Regensburg aufzuhalten hatte (persönliche Mitteilung von Günther Ammann, ehem. Direktor des MMK Frankfurt bis 2001, ca. 2003).

Und die menschenfreundliche, ja herzliche Atmosphäre im Kohlenpott, diesem früher unwirtlichsten Szenario, ist sprichwörtlich. Gerade das Unwirtliche bringt vielleicht die Menschen am besten zusammen, weil sie durch „Wirtliches“ nicht von einander abgelenkt werden und aneinander Trost suchen. Die Ungeborgenheit, die man in einer Glas- und Betonstadt fühlt, führt eher dazu, sich die Geborgenheit woanders und auf andere Art zu verschaffen. Wie sind die Menschen in der ländlichen Einöde und in kleinen, intakten Orten zueinander?

Die Millionen von Landflüchtern haben sich geirrt. Sie hätten vorher Mitscherlich lesen und einen Soziologen, vorher und hinterher, fragen müssen, vor allem hinterher, damit sie sich besinnen können. Nun haben sie respektlos einfach mit den Füßen abgestimmt und wollen das partout nicht ändern.

Dies alles ist aber nicht der Regisseurin anzulasten. Denn Filme halten per se Oberflächenphänomene fest, für psychische Tiefe sind sie nicht zuständig, wenn sie diese auch suggestiv vorspiegeln können oder der Zuschauer in günstigen Fällen dazu innerlich Raum hat. Hier können sich dann auch die Interpreten, ob psychoanalytisch geschult, halbgebildet oder gar nicht gebildet, austoben.

Von Abwehr unbewusster Wünsche, darunter auch aggressiver, Ängste, Schuld- und Schamgefühle haben sie anscheinend nie etwas gehört oder sie haben vergessen, was sie einmal gelernt hatten, wenn sie es überhaupt jemals gelernt hatten. Sie möchten lieber Einfühlungsathleten, „Empathie“-Künstler, sein. Vor nichts hat ein heutiger Psychoanalytiker, aber nicht nur er, so Angst wie vor der ausdauernden, handwerklichen Beschäftigung mit dem inneren Konflikt und namentlich der sog. Abwehr. Wie kann man dann vom Film Besseres erwarten? Ein Film mit einem Mienenspiel ja. Ein Film über innere Konflikte? Nein. Scheintiefsinn? Ja.

Einen ausgebufften Filmemacher (als Funktion gemeint) berührt dies wenig. Er dürfte eher verdutzt sein über die vielen klugen Kommentare zu seinem Bildwerk, das immer auch ein Blendwerk ist, weil es fast nur die manifeste Seite zeigt.

Deshalb haben sich Filme und Psychoanalyse so wenig zu sagen, obwohl jetzt analytische Filmbesprechungen in Mode gekommen sind. Hoffentlich nicht nur, weil Psychoanalytiker gern überall mitreden möchten, d.h. die selbst versteckten Eier in dem erfundenen Patienten „Film“ auffinden möchten. Ein Schelm, wer denkt, sie seien unzufrieden mit ihrer Arbeit und gingen in die Flucht, in die Ausflucht, - durch vorgetäuschtes Expertentum auf einem fremden Gebiet. Tatsächlich sind sich Psychoanalyse und Kunst nicht grün, allem fleißig Gedruckten und Gesprochenem zum Trotz.

Regisseure sind hierin realistischer als Psychoanalytiker mit ihrer romantischen Sehnsucht nach Verlassen des Behandlungszimmers und Eintauchen in die weite Lichttheaterwelt. Regisseure versuchen gar nicht erst, die Psychoanalyse zu befruchten. Es tut ihnen begreiflicherweise lediglich gut, wenn sie bereitwillige Psychoanalytiker auf sich aufmerksam machen können, und sie können auch nichts dagegen haben, bei psychoanalytischen Besprechungen in persona zu erscheinen.

Ich möchte hier eine neue Filmidee einbringen: Dokumentarfilme durch das Darstellen von inneren Vorgängen in Opfern und Tätern zu ergänzen. Erst dann hätte man eine tragfähige Aussage über beide. Dies ist freilich schwierig, aber nicht unmöglich. Aber womöglich todlangweilig. Denn Filme leben von Bildfolgen und sind kein Unterricht, das Unterrichten überlassen sie Anderen, die dafür zuständig sind und die das besser können. Ein  neues Genre? Auch mit einer derartigen neuen Aura hätte der Film noch schlechte Karten. Denn aufklären kann man sich besser durch Lesen als durch Filme, und Psychoanalyse lernt man besser durch eigene Behandlung von Patienten als durch Filme. Also lasse man Filme Filme sein.

Aber dies fällt Vielen schwer. Es wäre ja gelacht, wenn man Film als eine eigene Kunstgattung, als eine eigene Welt, eine Bühnenwelt, auffassen müsste, womöglich als Lichtspiel-Theater, nicht wahr? Wer lacht mit?

Dr. med. Manfred Krill, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalyse

1.7.2014

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(ergänzt)

Film Black Swan

US-Psychothriller 2010

Hauptdarstellerin: Natalie Portman

Darsteller: Vincent Cassel, Mila Kunis

Regisseur: Darren Aronofsky  

Subjektive Einschätzung und Wertung, ohne Gewähr, im Zweifelsfall ungültig. Für die Richtigkeit übernehme ich keine Verantwortung, keine Haftung.

Auf den Inhalt wird hier mit Absicht nicht eingegangen. Dafür sind Andere da.

Der Regisseur hat sich hier einen Kameramann gewählt, der es auf eine möglichst rasche Bildfolge, dazu noch unter eifrigem Zoomen, anlegt, als wenn dies heute noch ein Kunststück wäre, bzw. ihn dazu beauftragt, denn für diesen Unsinn ist der Regisseur verantwortlich. Natürlich weiß der Regisseur, dass dies kein Kunststück ist, aber er möchte den Zuschauer erschrecken, fesseln, ihnen keine Zeit für eigene Gedanken und Gefühle lassen, kurzum ihn nach allen Regeln der Unkunst, des billigen Tricks, manipulieren.

Dabei schreckt er auch nicht vor ständigen, monotonen Wiederholungen zurück. So zeigt er immer wieder, bis zum Erbrechen, die obere Rückenpartie, mal angekratzt, mal nicht, und dem Nacken von Frauen, im Stehen oder im Gehen auf und ab wippend, ebenso immer wieder das Gesicht der Hauptdarstellerin mit deren fürchterlich steril hoch gezogenen Augenbrauen und anderer Frauen im Großausschnitt, für den der Bildschirm regelmäßig nicht reicht, nicht reichen soll. Diese Marotte – und sonst ist nichts dran - ist kolossal ermüdend. Dem Zuschauer wird immer wieder Gleiches aufgedrängt. Der Regisseur ist selbstverliebt in seine überwertige Idee vom Rücken und übergroßem Antlitz dieser Frau und anderer Frauen. Auch die zweite Hauptfigur, der Ballett-Regisseur, ist zu dick aufgetragen als Herrscher, als bellendes Ungeheuer, als Sadist, ebenfalls mit ermüdenden Wiederholungen und ebenfalls riesengroßen Darstellungen seines Gesichts, als ob in diesem die Wahrheit zu lesen wäre, wie schon mit dem Gesicht der Hauptdarstellerin fälschlich beansprucht.

Der Regisseur möchte darstellen, wie seine Hauptfigur erwachsen wird. Dazu lässt er sie gleich zweimal. einmal die Kleinkinderspielsachen und dann die Puppen aus späterer Zeit, durch den Müllschlucker hinunterpoltern. So einfach und sinnfällig wird also die Kindheit entsorgt, so wird man also erwachsen. Einmal reicht nicht, es muss zweimal sein, nach dem Motto: Und willst du nicht einsichtig sein, so hau ich dir den Schädel ein, und daran ist erkennbar, was der Regisseur den Zuschauern an Eigenleistung zutraut oder ihnen überlassen will: Nichts, - er will alles selbst machen.

 

Der Zuschauer will aber nichts, gar nichts, eingehämmert haben. Er möchte sein eigenes Gehirn arbeiten lassen und selbst Schlüsse ziehen dürfen und nicht bevormundet, entmündigt werden. Man kann Filme unter dem Gesichtspunkt betrachten (und im Wert einordnen), wieweit der Zuschauer mittels des immer stark suggestiven visuellen Mediums entmündigt wird. Der Regisseur als Vormund des Entmündigten? Dies können wir ihm nicht erlauben. Dies ist bestimmt nicht seine Aufgabe. Er ist für die Umsetzung in die Kunst der Bühnen- Theater- Film-Welt zuständig.

 

Von Klischees wird reichlich Gebrauch gemacht. Das längst abgehalfterte, abgenutzte, von Analytikern ergebenst abgelutschte Spiegelmotiv samt Scherben mit der angeblichen Rätselhaftigkeit darf natürlich nicht fehlen, auch nicht Blut und Messer (Romantizismus aus der Mottenkiste! Alt- Inventar der Schauspielerei! Mackie Messer!) sowie andere Anspielungen auf Sado - Masochismus oder auf eine Psychose, diese laienhaft, aber mit dem Anspruch eines erfahrenen Kenners vorgetragen. Der Regisseur weiß es, und wir können viel von ihm lernen. Durch ihn haben wir erst ein Verständnis gewonnen, um was es sich bei einer Schizophrenie, einem Borderline handelt.

Stellenweise sinkt der Film auf das Niveau einer bloßen Moritat herab.

Zum Schluss folgt erwartungsgemäß der Tod der Hauptdarstellerin. Anders konnte der Regisseur nicht zum Ende kommen. Ihm fiel nicht anderes mehr ein. Schluss aus und tot, fertig. Die Zeit war um, und man musste zu einem Ende kommen, empfindet wohl jeder Zuschauer.

 

Der Film bedient klischeehafte Erwartungen und versucht den Mangel an künstlerischen Einfällen mit billigster, aufgeregter Kameratechnik in Form von atemlosen Sprüngen von Gesicht zu Gesicht zu verdecken, auch hin und wieder mit einer kleinen, dummen Effekthascherei, so wenn er einen Greis bei dem Anblick der schönen Hauptdarstellerin in der U-Bahn sich sexuell erregen lässt oder andere absichtsvoll bizarre kleine Begebenheiten einfügt. Er hat wohl die Befürchtung, sein Publikum könnte einschlafen, also muss schnell ein Knaller her, und die Befürchtung hat er zu Recht. Immerhin kann man, wenn man dem Regisseur wohlwill, glauben, er habe ihren heimlichen Genuss zeigen wollen, betrachtet zu werden und dabei einen Alten zu erregen (soll sie deshalb nicht aufgestanden und weggegangen sein, wie sie es ja hätte tun können?). Aber dies stünde zusammenhanglos da. Wozu hat er also diese Szene eingefügt? Dies bleibt sein Geheimnis. Aber man darf an seinen Wunsch denken, sich interessant zu machen, als einziges Motiv.

 

Selten einen so langweiligen Film gesehen. Wenn es ein Patient wäre (aber das ist er nicht, und deshalb gilt alles unter Vorbehalt, höchst subjektiv, ohne Anspruch auf Gültigkeit, es gilt also nicht, nur Ideen), würde ich ihn als Narzissten bezeichnen, der nur eines im Sinn hat: Eindruck machen, Sensation machen, Bilderflut anordnen.

Zwischendurch liefert er, der dies irgendwie selbst geahnt haben muss, brav einige gefällige Häppchen von Machohaftigkeit, Sexualität oder Andeutungen davon, auch eine ausgewalzte lesbische Szene musste hinein, für alle Fälle sozusagen, für Jeden etwas. Auch von einer Psychose (aber übrigens von welcher Art genau? Das interessiert ihn nicht) kennt der Regisseur nur das Wort und die Art, wie Klein-Hänschen sich eine Psychose vorstellt. Etwas Bizarres, etwas Abstruses reicht ihm dazu, auch und natürlich das Spiegelmotiv, denn Glas ist gefühllos, kalt und splittrig, und wahrscheinlich möchte er damit auf die angeblich gespaltene Persönlichkeit und Spaltung anspielen und möchte hier, im Schlepptau zahlloser Vorgänger aus der Filmbranche, Tiefenanspruch stellen. Und die Psychoanalytiker finden hier reihenweise ihr gefundenes Fressen, haben nur auf so etwas gewartet, um loszulegen. Dazu ist das Klischee von „Psychose“ immer gut.

Er ist sich auch nicht zu schade dafür, das analytische Märchen aufzutischen, nach dem das „Objekt“ in Wirklichkeit das Subjekt selbst ist, wie auch umgekehrt. So wird die Ballettkonkurrentin von der Hauptdarstellerin vermeintlich totgestochen, sodass diese „im Wahn“ schließlich die vermeintlichen Blutspuren zudecken will, tatsächlich aber sich selbst erstochen hat. Dies wird von ihr selbst, ihrem Dompteur und ihren Kolleginnen erst bemerkt, als es zu spät ist. Der Regisseur verklärt sie am Ende zu einer nahezu göttlichen Figur in Hell, strahlend und siegessicher. Sie kann gerade noch mit seligem Lächeln sagen, dass sie „perfekt“ war. Sie ist nun tot, von Beruf tot, einem neuen großartigen Beruf und Nachruf. Daran ist psychiatrisch und psychoanalytisch richtig, dass Narzissten ihren Tod in Kauf nehmen (Drogensucht, Magersucht), wenn sie nur gewonnen haben (s. die zahlreichen Suizide berühmter Schauspielerinnen, die hohe – bis zu 50 % -Todesrate von Anorexia- Nervosa –Kranken, der wahren Meister im Hungern und Abnehmen sowie im Erniedrigen der verzweifelten Mutter und der professionell Helfenden). Sie hat eine Anorexia Nervosa einschließlich künstlich herbeigeführten Erbrechens in die Toilettenschüssel. Dies war von vorneherein anzunehmen und schließlich richtig dargestellt. Dort kommt nichts mehr heraus, weil sie sich schon chronisch entleert hat, - hier einmal eine zweifellos gute Erfindung des Regisseurs. Aber dieses daran Richtige hat den Regisseur nicht davon abhalten können, mit seinem Psychosetrick und seinem abgehalfterten Spiegeltrick Sensation und Gruseln erzeugen zu wollen. Nur naive Zuschauer können heute auf so etwas noch hereinfallen.

Man vergleiche dies mit Hankes Film „Liebe“ oder Filmen von Fassbinder. Dort geht es den Menschen ebenfalls nicht gut. Diese oder andere große Regisseure hätten solche Tricks, solche Manipulationen aber nicht nötig gehabt. Dieses Unternehmen, an dem sichtlich das Herz des Regisseurs hängt, wirkt durch und durch künstlich- aufgesetzt. Auch wenn hier die Anorexia Nervosa in Teilen richtig angedeutet ist, ist man verstimmt, weil man die Absicht des Regisseurs spürt, Sensation und Schreck zu verbreiten und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Dem Regisseur ist nichts zu schwör. Er ist nicht bei seinen Figuren und nicht beim Stück, sondern nur bei sich und seiner Eitelkeit. Er ähnelt der Schreckfigur des Dompteurs mit seinem unangenehmen Bellen, dem brutalen Kinn und der Herrschsucht in seinen Zügen, aber ich traue diesem Regisseur nicht zu, dass er sich hiermit durchschaut hätte. Mit dieser Figur spielt der Regisseur - wohl unbewusst - sich selbst, und zwar ohne Selbstreflektion, fürchte ich, aber vielleicht unterschätze ich ihn auch in diesem Punkt. Man kann ja nicht in ihn hineinschauen. Hellseher sind wir ja nicht.

 

Ein Erfinder wäre der, der auf solche Klischees verzichtet und eine wirklich eigene Idee bringt.

 

Auch eine künstlerische Umwandlung der im youtube erhältlichen Pornoszenen ist nicht zu erkennen, vielmehr ist die Ähnlichkeit und das Abgekupferte peinlich offensichtlich, nur dass hier das Aufdringliche der Darstellung, sozusagen für die ganz Dummen, die noch nie einen Porno gesehen haben, ganz im Vordergrund steht, im Ggs. zu einem echten Porno, der den Zuschauer immerhin noch atmen lässt.

 

Nichts hilft, alle Versuche des Regisseurs, sich künstlerisch zu betätigen, scheitern kläglich. Schwerfüßig aufstampfend, was im Gegensatz zu manchen gut getanzten Szenen (die nicht vom Regisseur stammen können und auch tatsächlich nicht von ihm stammen). Umso erstaunlicher, dass der Regisseur derart hinter seinem vorgezeigten Gegenstand (Ballett), an dem er seine plumpen und kümmerlichen Absichten abhaspelt, zurückbleibt. Das Ballettleben hat ihn nicht anregen können. Wo ist Deine Leichtfüßigkeit, Deine Eleganz, Regisseur? Hast Du Dir diese von einem falschen Programm austreiben lassen oder nie erworben?

Zum Glück hat er auch nicht das Ballettleben mit seiner dicklichen, prätentiösen, falsch gewürzten Sado - Maso- Soße ersticken können. Aber die künstlerische Umsetzung in das Filmische ist ihm nicht gelungen.

 

Nebenbei gibt der Film aber einen guten Einblick in die grausame und eitle Welt der Ballettstars, - grausam gegen den eigenen Körper und gegen Konkurrentinnen- ebenso in die Unterwerfung unter den Ballettregisseur, sowie in die eitle Welt der

reichen Zuschauer, die das Leiden Anderer genießen.

Psychoanalytisch ist noch anzumerken, dass die Hauptabwehr in Wendung vom Passiv (Erleiden) ins Aktiv (Erfolg im Ballett) besteht, und zwar gegen Ängste, unterlegen zu sein, Wendung gegen die eigene Person (Hungern, Sich- Verausgaben, Unterwerfung, Suizid) als Abwehr gegen Schuldgefühle wie auch Schamgefühle, Andere übertrumpfen zu wollen, Verleugnung der boshaften Seite des Ballettregisseurs, um weiter mit ihm zusammenarbeiten zu können, aus dem gleichen Grunde bzw. zu dem gleichen Zweck Reaktionsbildung (Unterwerfung statt Zorn gegen ihren Dompteur) und nicht zuletzt Idealisierung ihrer eigenen Person, ihres Dompteurs sowie des Balletts (Arme immer schön hoch schwingen, - was wollen die Arme da oben? Verbindung mit den Himmlischen aufnehmen? Sich selbst größer machen? Endlos harmonische Bewegungen überhaupt), zur Abwehr von eigenem Zorn über das Ausgebeutetwerden, sowie, wenn man will, auch Identifizierung mit dem Aggressor (der ausbeutenden Gesellschaft, ihres Dompteurs), indem sie sich selbst in die Innereien sticht, statt sich weiter ausweiden zu lassen (hier zugleich Wendung gegen sich selbst). So ist es doch noch zuletzt so richtig analytisch geworden in dieser Kritik. Spät, aber nicht zu spät.

2013

Dr. med. Manfred Krill,  Psychoanalyse

 

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Film Frances Ha

ein US-Film aus dem Jahre 2012

Drehbuch: Greta Gerwig, Noah Baumbach

Regie: Noah Baumbach

Greta Gerwig als Frances Halladay

Der Regisseur nennt seinen Film „ein Generationenportrait“ und möchte ihn unter das Genre Komödie einordnen. Aber ist es nicht eher eine Tragödie? Es ist allerdings nicht zu erfahren, ob die Einordnung als Komödie wirklich vom Regisseur stammt oder vor der Firma, die den Film vertreibt, oder von einer Film-Jury, oder ob sich Zuschauer, Kritiker oder die Presse auf diese Einordnung geeinigt haben. Schon diese Unklarheit in der Urheberschaft des Bei -Titels, die der Vertreiber (Cinema MFA) hinterlässt, gibt, sicher ungewollt, etwas von der inneren Unsicherheit der Figuren wieder.

Für die Inhaltsangabe stehen Andere bereit.

Der Film zeigt eine ätzende, auf die Nerven gehende Überaktivität der Figuren: Überdreht, kein Wunder, dass besonders in den USA so oft ADHS als Ausrede benutzt wird, - oder stehen sie doch unter Drogen? Die Figuren sind jedenfalls nicht bei sich! Sie leiden sichtlich unter Entfremdungsgefühlen, müssen sich immer wieder mühsam auf sich besinnen. Sie können ihre Not nicht wirklich ertragen, und deshalb müssen sie diese verdrängen, daher fühlen sie sich von einem Teil von sich entfremdet.

Dies auf verbalem und nonverbalem Gebiet, ungeachtet der beachtlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten der jungen Leute um die 27 Jahre, also im Erwachsenenalter. Sie sind jedenfalls, wenn der Regisseur nicht doch auf Drogenabhängigkeit anspielen möchte, in einem Ausmaß beweglich (scheinbar oder anscheinend mühelos umstellungsfähig), wie es sich Ältere unter uns nicht vorstellen können. Beim Ansehen, ununterrichtet, dachte ich, es handele sich um junge Mädchen in der Pubertät, allenfalls in der Adoleszenz, die sich zudem viel zu lange an Freundschaften zu ihren Altersgenossinnen anklammern, manchmal mit einem leicht lesbischen touch.. Das gefühlte Alter kann auch auf einem Perspektivefehler beruhen, da ich schon zu den Älteren gehöre. Da kommen einem junge Erwachsene ohnehin leicht wie Kinder vor. Aber daran allein kann es nicht liegen. Diese Figuren albern noch mit 27 J. herum wie Mädchen und scheinen es wirklich schwer zu haben, nachhaltig zum anderen Geschlecht zu finden. Über das Wort F... und dessen kontraphobische Wiederholung kommen sie nicht hinaus. Sie sind in ihrer gesamten Entwicklung, ungeachtet ihrer besonderen, imponierenden Fertigkeiten (Skills) und ihrer Intelligenz deutlich retardiert, infantil. Die „Prokrastination“, das Aufschieben von Aufgaben und Entwicklungen, so zur Partnerschaft, ist deutlich dargestellt.

 

Die schier endlose Demonstration der –angeblichen- Freiheit von Angst-, Schuld, - und Schamgefühlen ist nur im Anfang prickelnd und lustig, aber im Verlauf doch recht ermüdend und langweilend, weil der Regisseur sich darin ständig wiederholt und dies durch winzige Variationen auch noch zu verstecken sucht. Hat er befürchtet, das Publikum sei schwer von Begriff? Oder hat er selbst damit ein Problem, d. h. muss er selbst bei sich Angst vor dem Thema Sexualität? Man glaube nicht, bei einem Regisseur sei die ausgeschlossen, nur weil er gewiss über viele Kontaktmöglichkeiten verfügt und Schauspielerinnen ihm zu Füßen liegen. Jedenfalls wiederholt er sich. Wenn dem Zuschauer etwas demonstriert wird, ist er rasch angeödet. Er möchte alles selbst entdecken und nicht so vorgeführt vor Augen haben müssen. Er will keine perfekte Mahlzeit vorgesetzt bekommen, die er nur vertilgen müsse. Er möchte die Mahlzeit selbst zubereiten. Es geht bei künstlerischem Film und Theater nur um die Vorgänge im Inneren des Zuschauers, ausgelöst durch Darstellung der Figuren, durch ihre künstlerische schauspielerische Eigenleistung, und aufgrund der Intentionen des Regisseurs, nicht um Aufklärung oder Unterricht, schon gar nicht um Weisheiten, besonders nicht fertig angerichtete. Diese kann sich ein Jeder besser woanders besorgen. Filme sind Abfolgen von Bildern, von Musik und Dialogen, und ob ein Film gut ist oder mies, darüber entscheidet der Prozess im Zuschauer. Zu den Zuschauern gehören auch die Entscheider über Preise. Wollen wir hoffen, dass sie so gut sind in ihrem Urteil wie die Zuschauer.

 

Neben ständiger Betätigung des handys, Bitten um Hilfe bei der Übernachtung, raschem Essen, das mehr einem hastigen Sich- Sättigen der durchweg magersüchtigen Filmsternchen mit ihren obligatorischen Hohlwangen gleicht, neben sprunghaften Ortswechseln, Erschrockensein über das fehlende berufliche Weiterkommen ist dauernd und urplötzlich und immer wie selbstverständlich vom F..., von „Sex“, von Trennung, von Zusammenziehen die Rede, aber anscheinend ohne große Emotionen, jedenfalls ohne die Tiefe und Nachhaltigkeit von Erwachsenen. Nur von Sex, nicht von Gruppensex ist die Rede, wenn dies nicht überhört wurde. Verwunderlich ist das Nichterwähnen schon, es wirkt wie ausgestanzt. Hat hier der Regisseur Zugeständnisse an die Zensur, an die Freigabe für Jugendliche machen müssen? Das Fehlen dieses Wortes wirkt wie ein Fremdköper, und dieser ist die Zensur!

Aber bei der raschen, überhasteten Redeweise kann man auch etwas überhört haben. Bei Themen wie Sex oder „F...“ werden Wortteile verschluckt, - sind auch dies Zugeständnisse, so auch an die präsumptiven Preisverleiher? Was will der Regisseur damit sagen? Wohl doch ein Rest von Scham? Alle Tabus gebrochen, eines nach dem anderen, aber die Scham habe sie nicht weggekriegt, sage ich, sagt der Regisseur, wissen die Figuren noch ein wenig. Die Scham als letzte Bastion.

Das immer wiederkehrende „Ich liebe dich“ wirkt irgendwie alt, wie in einem Altersheim, geisterhaft, oder auch kindlich-unbedarft, als wisse man nicht um die Bedeutung, namentlich die Verpflichtung, oder wolle sie nicht wissen. Von Verpflichtungen will man demonstrativ nichts wissen, so die Figuren. Will der Regisseur einfach nur die Pflichtvergessenheit und das Verhaftetsein an den Augenblick in der heutigen jungen Erwachsenengeneration zeigen? Dafür hat er sich aber viele Längen genehmigt und muss offenbar den Zuschauer für begriffstutzig halten.

Weibliche Homosexualität klingt an, will aber nicht ernst gemeint sein, mehr verspielt, ohne Tiefe.

Ein ständiges Potpourri von Gefühlen, Neigungen, Einfällen, Ängsten, raschen Reden, Flachheiten, hektisch, unbedarft, kindlich, manchmal albern. Dazwischen eine scheinpräzise Erklärung, was Liebe bedeutet: Wenn der gegenseitige Blick quer durch den Raum geht, an Allem und Allen vorbei. Aha, jetzt wissen wir`s. Neunmalklug. Altklug. Aufgeschnappt oder eigene Naivität. Aufs Auge gedrückt. in den Zuschauer hineingeklopft. Ihm nichts zugetraut. Das sind deutliche Schwächen in diesem Film.

 

Psychoanalytisch gesehen, betreiben die Figuren hiermit Verdrängung (bei sich) und Verleugnung (bei Anderen) der tatsächlichen Ungeborgenheit, der damit verbundenen ständigen Angst, der Sehnsucht nach Halt und Sicherheit. In der Gegenübertragung kann man die Figuren dafür nur bedauern und diese Angst fühlen, die sie zu fühlen sich nicht erlauben, weil diese ihnen einfach zu unangenehm ist.

Die Abwehr gegen diese unangenehmen Gefühle ist hier so plump, dass man kaum glauben kann, wie verblendet Menschen sein können. Der Regisseur hat auch hier zu dick aufgetragen. Weniger wäre mehr gewesen.

Die Abwehr unangenehmer Gefühle ist nach der Intention des Regisseurs auch der unreflektierten, anscheinend auch unreflektierbaren Anpassung an die Gleichaltrigen und der american way of life geschuldet. Die Atmosphäre, die so vermittelt wird, ist die von Verlogenheit und Oberflächlichkeit bei äußerlicher Anpassung, insbesondere an die Einförmigkeit ihres Alltag- Jargons mit ihrem ewigen „Hi“, „o. k.“, dem Emoticon „Wow“ und der sexuell verwahrlosten, breitmäuligen, anal getönten Redeweise und Aussprache (diese ist dem Regisseur natürlich nicht zuzurechnen).

Auf die Anpassung, um nicht zu sagen Unterwerfung, will der Regisseur noch einmal am Schluss mit einem bemerkenswerten und intelligenten Kunstgriff hinweisen: Die Hauptperson verstümmelt ihren Namen zu einem bloße Ha, damit er in den Schlitz des Briefkastens passt. Das erinnert an den Schneiderwitz, in dem der Kunde seine Figur ändern soll, damit der angefertigte Maßanzug richtig sitzt, oder das Pferd sich anderer Hufe befleißigen soll, damit die Hufeisen  passen. Oder Ärzte /Therapeuten ihre Diagnosen so stellen müssen, dass sie in die ICD-10 passen und auch dem Budget der Klinik gerecht werden. Oder dass Therapeuten die Anträge für Langzeitpsychotherapie so abfassen müssen, dass sie genehmigt werden. Wir sind also auch nicht besser. Das nennt man autoplastische Veränderung.

 

Aber auch sonst ist die Unterwürfigkeit der Figuren unter den sog. Zeitgeist hervorragend geschildert, - aber wie auch andere offensichtliche Intentionen des Regisseurs – nie so, dass diese dem Zuschauer allzu sehr aufgedrängt werden. Der Regisseur zollt vielmehr gegenüber dem Zuschauer den erforderlichen Respekt. Der Zuschauer hat somit Zeit und Muße, selbst auf diese Gedanken zu kommen.

Die Musik unterstützt die rasch wechselnden Stimmungen sehr passend, unterstreicht insbesondere das Qirrlig -Optimistische der kindergleichen Erwachsenen, die an einer Stelle nicht aufhören wollenden Polizeisirenen in der Ferne die furchtbare Einsamkeit, das Ausgeliefertsein, die Ungeborgenheit. Nicht dass es sich tatsächlich Tag und Nacht so anhört in Neu York, ist entscheidend (es ist bloß wahr, es ist so), sondern was der Regisseur damit sagen will, oder genauer: Was er im Zuschauer damit erzeugen will (und tatsächlich auch erzeugt).

 

Den Zuschauer behandelt er respektvoll, er selbst ist aber ebenfalls dem infantilen, eigentümlich leer laufenden, wenn auch recht spritzigem Aktivismus erlegen. Das Thema wird einfach zu oft abgehaspelt, mit nur veränderten Stellen, Zimmern, Fluren, Straßen im Ort, aber auch Paris und Japan. Ein guter Film benötigt keine Sprünge auf andere Kontinente oder andere Zutaten wie musikalisches Klanggewühl Ein Film von 20 Min. Dauer hätte es auch getan. Dem Regisseur ist nach 20 Min. nichts Neues mehr eingefallen. Es mag sein, dass es zu Verkaufszwecken nicht anders ging, als Längen einzuflechten. Der Kinobesucher möchte für sein Geld eben 82 Minuten haben, sonst geht er nicht hin.

Um den Film zu Ende zu bringen, ist dem Regisseur noch schnell eingefallen, die Hauptdarstellerin einen überraschenden Aufschwung nach oben nehmen zu lassen. Wer hätte gedacht, dass dieses verkorkste Mädchen zum Schluss, mit 27 Jahren, doch noch Choreographin geworden ist, also doch noch zu einem Beruf gefunden hat, - im Gegensatz zu den unzähligen „Jobs“ der spritzigen Damen mit ihren  ungesicherten, unsteten und prekären Arbeitsverhältnissen, der vergeblichen Vorfreude, bei der Weihnachtsaufführung mitmachen zu dürfen, dieser ständigen Geldnot, dem furchtbaren, entwürdigenden Angewiesensein auf Hilfe durch Eltern oder Freunde, dem Anpumpen, dem Betteln um spätere Mietzahlung, -  oh, auf einmal gilt die Kreditkarte nicht mehr, das darf aber das männliche Gegenüber nicht mitkriegen, deshalb muss Ha aber dann laufen, über Stock und Stein, über Kreuzungen hinweg, hinstürzen und sich den Arm verletzen, um einen Geldautomaten zu finden, einfach weiterlaufen wie eingehetztes Reh, mit den dünnen Beinchen, so sehr hängen sie am Tropf der Kreditkarten, sie sind ständig überanstrengt, außer Puste.

Es geht ihnen doch sehr schlecht, sie wissen es nur nicht, - und dies alles noch unter ständigem beruflichen Leistungsdruck

Aber halt, Ha hat noch andere Errungenschaften aufzuweisen, es ist also alles halb so schlimm, nicht wahr? Sie hat mit 27 Jahren ein eigenes handy, aber auch eine eigene Mietwohnung und einen, man höre und staune, eigenen Briefkasten, wenn auch mit verstümmelten Namen. Wie weit hat sie es doch gebracht, so selbstgerecht und auftrumpfend die Figur der Ha oder vielmehr der Regisseur wie im Faust.

 

Aber wie wird es weitergehen? Hier drückt sich der Regisseur um eine Antwort oder einen Ausblick. Ist es Einsamkeit und eine berufliche Endlos-Spirale, in der alles so hektisch weitergeht wie bisher? Wie steht es mit dem Älterwerden? Wie ist es mit einer dauerhaften Partnerschaft, mit Ehe und Familie? Und, ihr beiden Gretchen (die Hauptdarstellerin und ihre Freundin Betty), wie haltet ihr es denn mit der Religion? Hierfür nimmt sich die Regie keinen Raum, aber der nachdenkliche Zuschauer. Das junge Erwachsenenalter hängt hier eigenartig in der Luft. Im Grunde hat sich nicht viel am Lebensstil geändert. Jedenfalls dürfte dies als Eindruck im Zuschauer zurückbleiben. Die Angst bleibt, zumindest im Zuschauer, während die Regie die ihn mit diesem happy end abspeisen möchte. Offenbar ist der Regisseur zum Schluss ganz erschrocken gewesen über seine treffsichere Darstellung des eilenden und elenden Lebens der jungen Generation mit ihren Zeitverträgen, mit ihren ständig wechselnden „Jobs“ (in Deutschland die „400- Euro“- Jobs“), also ihrer mangelnden Bindung an einen Beruf und an einen Partner, ihren überstürzten, unmotivierten Reisen in ferne Länder und hektischen Kontakten, welche nicht die Kontaktstörung verdecken können, und wollte dann ganz schnell zu einem glücklichen Ende finden, - das übrigens gegenüber dem Hauptteil deutlich untergewichtet ist, gleichsam nur einen bedeutungslosen Schlenker darstellt, um, ja, - wozu? Um sich und den Zuschauern und den Filmbewertern (!) doch noch eine glückliche Welt mit Zufriedenheitsgarantie vorzugaukeln? Oder es dem Zuschauer zu überlassen, ob er diesen Tobak von einem happy end schluckt? Da kann er lange warten.

Wir wissen auch nicht, was in den Entscheidern, die über die Preisverleihungen bestimmen, vorgegangen ist. Haben sie das Spiel, das Doppelspiel des Regisseurs mit scheinbarer und wirklicher Realität und durchschaut und gerade dieses honoriert oder haben sie sich von der Oberfläche des Films blenden lassen?

Wohl kaum, denn der Regisseur hat sie dauernd darauf gestoßen, dass es sich hier um eine schreckliche, auf die Nerven gehende Oberflächlichkeit und Verlogenheit handelt, so mit dem ewigen jubelnden „Hi“ bei jeder Begrüßung und „o. k“. so in der Szene, als die Hauptdarstellerin so tut, als sei sie noch am Ort, während sie sich in Wirklichkeit in Paris aufhält, oder in der Verspätung, um nicht zu sagen Blindheit, Verleugnung, der offenkundigen Entfremdung  von ihrer Freundin Sophie, und falscher, naiver, kindlicher Überschätzung der  Beziehungen überhaupt..

Die Absicht des Regisseurs, Oberflächlichkeit und Ungeborgenheit der westlichen Welt darzustellen, mag auch in der Namensgebung durch die Drehbuchautoren, von denen der eine der Regisseur selbst ist (er hat offenbar am Drehbuch Veränderungen vorgenommen) hinweisen. Halladay klingt so flott, lustig und unverbindlich wie „holiday“, so schön, wie ewige Ferien sein sollen oder aber auch wie das elende Von- der- Hand in- den- Mund- Leben, das rasche Durchleben eines Tages (day) o. ä. Man glaube doch nicht, dass in den Autoren nichts bei der Namensgebung vorgegangen ist.

 

Dies könnte aber auch überhaupt die bewusste und / oder unbewusste Intention des Regisseurs sein: Das eigenartig Schale und Verstörende des ach so erfolgreichen westlichen Lebensstils anzuprangern. Jedenfalls kann man den Film so verstehen, wenn man auch nicht wissen kann, ob der Regisseur solches im Sinne hatte.

Gewiss kann man aber sagen, dass ihm trotz mancher Längen die künstlerische Umwandlung seines Stoffes gelungen ist, indem er genügend Tiefe belässt und genügend Fragen offen lässt und den Zuschauer ohne Aufdringlichkeit, namentlich ohne ideologische Indoktrination, in seine Gefühlswelt und in sein Verstehen einbindet, sodass im Zuschauer ein Prozess zustandekommt. Dieser kann auch Gedanken aufkommen lassen, wozu das tatsächliche oder scheinbare Brechen aller Tabus, eines nach dem anderen, eigentlich geführt hat: Zur Unverbindlichkeit, zur Haltlosigkeit, zur Heimatlosigkeit und nicht zuletzt zur Empfänglichkeit der jungen Menschen für Intoleranz und solche Einrichtungen, welche die ersehnte Geborgenheit versprechen wie Sekten, von denen der Zuschauer eine gemeinsame Sing-Sang-Szene zu sehen bekommt, mit deren grauenhafter Starre und falscher, ekelhafter, süßlicher Harmonie, ihrer entsetzlichen Einfältigkeit und der Vortäuschung von Heimat. Dies hat der Regisseur wohl nicht bewusst gewünscht, denn zu sehr feiert er diesen Lebensstil auch selbst mit, - vielleicht auch nicht unbewusst, denn dann hätte er am Ende einmal eine verschleierte Frau ins Bild stellen können. Aber dass solche Gedanken möglich sind, zeigt, dass der Film über seelische Breite und Weite verfügt.

Königsstein, 2013

Dr. med Manfred Krill, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse (DPV, IPV, FPI, IPAA).  

 

 

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Film „A Serious Man“

Autoren und Regisseure: Die beiden Brüder Joel & Ethan Coen

Schauspieler: Michael Stuhlberg in der Hauptrolle als Larry Gopnik

Richard Kind, Adam Arkin

USA 2009

 

Das Wesentliche ist rasch gesagt. Im Vorkriegspolen, im „Schtetl“ bricht einem jüdischen Kleinhändler auf der Heimries nachts im Schneegestöber ein Rad von seinem Fuhrwerk weg, und eine Rabbi, der zufällig seinen Weh kreuzt, hilft ihm, das Fuhrwerk wieder fahrfähig zu machen. Als Dank lädt der Händler den Rabbi ein. in seinem Hause eine Suppe zu sich zu nehmen. Der nimmt die Einladung wörtlich und steht dann, offenbar nach einer Bedenkzeit, denn der Händler hat bereits eine Unterhaltung mit seiner Frau geführt, plötzlich vor der Tür.

Die Frau des Händlers aber hält den Rabbi für einen Dibbuk, einen Geist, von einem vor 3 Jahren angeblich Verstorbenen. Ein solcher Dibbuk benötigt einen Lebenden. Als der Rabbi die angebotene Suppe nicht essen will, sieht sich die Frau darin bestätigt. Sie sagt ihm auf den Kopf zu, dass er ein Dibbuk sei. Sie stößt ihm dabei ohne Vorwarnung ein Küchenmesser in die Brust, worauf der Rabbi ungerührt weiterspricht und die Sache aufklärt. Er habe wohl seinerzeit Typhus gehabt, sei aber genesen. Im Übrigen fühle er sich nun nicht wohl (eine eigenartige, extreme, geradezu märchenhafte Verleugnung dessen, was ihm gerade passierte: Dass er gerade ermordet wird), sagt er, murmelt sehr vornehm, als ein Mann von Bildung (und ohne jeden Protest), dass man da nicht bleiben solle, wo man offensichtlich unwillkommen sei, torkelt ins Schneegestöber hinaus. Der Händler erkennt und sagt zu seiner Frau: Jetzt ist unsere Familie verflucht. Die Frau zeigt sich davon völlig unbeeindruckt. Dass sie tatsächlich einen Schaden für sich nicht zu befürchten hat, geht aus dem Folgenden hervor.

Auf einem anderen Kontinent trifft der Fluch einen völlig Unbeteiligten, die Hauptfigur Jarry, einen Physikprofessor, fleißig. gewissenhaft, pflichterfüllt, angesehen, von kindlicher Arglosigkeit.

Sein wiederholtes „Ich habe nichts getan“ nutzt ihm nichts. Sein Sohn fängt an zu kiffen und zu dealen, kann sich gerade noch retten vor seinem Verfolger, einem größeren Dealer, dem er Geld schuldet. Nur mit Mühe, in einem deutlich bewusstseingetrübten Zustand, sichtlich unter Drogen stehend, und nur unter kräftiger Mithilfe der Gemeinde kann er seine – individuelle, im Ggs. zu unserer Konfirmation bzw. Firmung, welche die ganze Altersgruppe umfasst - Bar-Mitzwa-Prüfung, in der er einen hebräischen Text vor der Gemeinde vorzusingen hat und mit der er seine religiöse Mündigkeit erlangt und den Vater von dessen Verantwortung befreit, bestehen. Seine Tochter stiehlt ihm Geld, um sich schöne Sachen davon zu kaufen, und frönt ihrem Haarwaschzwang und braucht Geld für eine Nasenkorrektur. Seine Ehefrau geht auf einmal fremd mit einem Nichtsnutz von verarmten Nachbarn, schließlich kündigt sie ihm aus heiterem Himmel die Scheidung an und fordert zudem die rituelle Scheidung, die mit einem erheblichen Aufwand und Vermögensverlust seinerseits verknüpft sein wird  Dieser Nachbar gibt sich ihm gegenüber wie ein großzügiger Freund und Psychotherapeut, der nur sein Bestes wolle, und überschüttet ihn mit weisen, scheintiefsinnigen Ratschlägen, wie er sein Leben meistern müsse, umarmt ihn freundschaftlichst und wärmstens. Es sei das Beste, an das Wohl der beiden Kinder zu denken, und deshalb müsse L. ausziehen. Man hat schon eine kleine Bleibe in einem Hotel für ihn gefunden. Alles ist schon, im Einvernehmen mit seiner Frau, hinter seinem Rücken, über seinen Kopf hinweg, geregelt. Er ist entmündigt, auf die Stufe eine lästigen fernen Verwandten im Kindesalter herabgestuft. Dass der Nebenbuhler es nur auf seine Frau, sein Vermögen, sein Haus und die Geborgenheit in seiner Familie abgesehen hat, wird spätestens zur Gewissheit, als L. auch noch dessen Beerdigung bezahlen muss, nachdem dieser durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Dass danach die Eheleute wieder etwas zueinander fanden, wird ihm wenig nutzen, wie sich herausstellt.

Auffallend ist das völlige Fehlen von Schuld- und Schamgefühlen, aber auch von Vergeltungsangst in allen Figuren, die den Professor bedrängen. Die stille allgemeine Überzeugung, dass L. sein Schicksal verdient hätte, ist es nicht, die hier wirksam wäre. Nein, es ist viel schlimmer: Sein Schicksal lässt sie völlig unberührt. Sie handeln alle wie in Trance, wie Puppen oder Roboter, die nur aussehen wie Menschen. Es sind allesamt Ungeheuer in Menschengestalt. Natürlich sind hiermit Menschen in Situationen wie im Holokaust gemeint, aber mehr noch die Menschen im Alltag. So sind eben Menschen, wollen die Autoren wohl zeigen, und dies zu sehen, bedarf es keines Holokausts.

Dies ist das Schlimmste, denn es lässt auch für die Zukunft nicht Gutes hoffen, wie es auch im Holokaust zwar nicht durchgängig, aber doch massenhaft der Fall war.

Besonders die Frauen kommen dabei nicht gut weg. Wo bleiben Gefühle von Gerechtigkeit, Mitleid, Erbarmen, Mütterlichkeit? Sie sind wie weggewischt. Angefangen hat dies mit der Frau in Polen, die dem Rabbi mir nicht dir nichts ein Hesser in den Leib stach. Keine Spur von Reue oder Schuldgefühlen, aber auch keine Vergeltungsängste, - alles wie selbstverständlich geschehen. Selbst der Gedanke des Mannes, dass dafür die Familie verflucht sein, macht, wie erwähnt, nicht den geringsten Eindruck auf die Frau. Auch hier ist das Verhalten der Gesellschaft, außer in Deutschland, so gut gekennzeichnet, dass auch hieran die Zeitlosigkeit des Stücks deutlich wird. So sind eben die Menschen, wollen die beiden Regisseure und Autoren sagen, und, dass es wenig Hoffnung gibt, dass sich daran etwas ändert.

Hinzu kommt, dass die Menschen im Film nicht unter einer Diktatur leben müssen, also die Freiheit heben, vom Kesseltreiben abzulassen und dem in Not Geratenen beizustehen. Die Regisseure wollen vielleicht damit darauf hinweisen (oder wir können solches denken, auch wenn die Regisseure, als US-Amerikaner einer Diktatur notorisch unkundig, vielleicht keineswegs darauf hinweisen wollten), dass die Menschen heute, die solches ohne Not zulassen und sogar mitmachen, schuldiger sind als die seinerzeit unter einer furchtbaren Diktatur. Die Leute heute dort haben doch zu essen, haben einen Raum zum Schlafen, haben ihr normales Familienleben mit Sexualität, haben ein Auto, eine Wohnung, können sich gut kleiden, und die Sonne scheint warm vom Himmel, und der Staat verfolgt sie nicht, ihre Kinder können in Ruhe die für sie geeigneten Schulen besuchen, die Frauen können ihre Kinder austragen, die Väter und Mütter ihren Berufen nachgehen, sie werden dabei nicht bedroht. Es gibt keine Straflager und Hinrichtungen für Unschuldige

 

An der Universität eröffnet ihm ein „Freund“, dass die Genehmigung für eine Weiterführung seiner Lehrtätigkeit noch auf einer Konferenz beschlossen werden müsse. Dieser Freund gehört mit seinen wiederholten Auftritten zu den rätselhaftesten Figuren. Nie wird klar, warum er immer wieder im Türrahmen erscheint und auf die bevorstehende Konferenz sowie, aber – scheinbar, aber in Wirklichkeit doch von ihm provoziert - erst auf Larrys Drängen auch auf Briefe verweist, die ihn verleumden und auf weiteres, ebenfalls still provoziertes Nachfragen angebliches „moralisches Versagen“ beinhalten, die, so kann der Zuschauer schließen, von seinem Nebenbuhler stammen. Es soll also nicht der Nebenbuhler, der seine Familie zerstört hat und ihn entrechten will, moralisch verwerflich gehandelt haben, sondern sein Opfer, und die Verleumdung muss vom Täter stammen. Am ehesten kann der Zuschauer zu dem Schluss kommen, dieser „Freund“ sei, wie wohl alle, selbst von einer unbekannten Macht gesteuert und diene dazu, Larry die Stimmung zu verderben und ihn zu entmutigen. Aber weit schlimmer ist die nicht unberechtigte Vorstellung, dass er dies aus eigenem Antrieb tut und der Zuschauer nur zu gern bereit ist, eine hinter diesem stehende Macht anzuschuldigen, nur weil man nicht das Eigen- Boshafte dieses eigenartig lungernden Ungeheuers sehen will, weil man ihn so von seiner alleinigen Verantwortung entlasten möchte. Ein Hinweis auf boshafte Menschen, die nur eines im Sinn haben: Dem Anderen schaden. Wahrscheinlich will dieser Türrahmensteher.ihn sogar in die Selbsttötung treiben.

Man weiß nicht, ob die Autoren mehr die Menschen anklagen möchten und so den Glauben an den guten Gott bewahren möchten, oder ob sie umgekehrt die Menschen entlasten möchten, zuungunsten von Gott. Wahrscheinlich aber sollen beide keine gute Figur machen. Der Film wäre dann eine Abrechnung mit Gott und seiner Schöpfung, also doch mehr mit Gott, da er für seine Schöpfung die Verantwortung trägt. Wie konnte er solche Versager in die Welt setzen? Wie konnte er zulassen, dass solche Religionen, mit solchen Pfeifen im Vorstand, entstehen? Wer mag, kann sich hier an die Vorstände mancher Banken erinnert fühlen.

 

Ein koreanischer Student, der durchgefallen ist, hinterlässt ihm bei der Besprechung des Examensergebnisses unbemerkt einen Briefumschlag mit viel Geld, und stellt ihn vor Wahl, sich entweder von ihm wegen Verleumdung verklagen zu lassen, falls er den Vorfall melde, oder wegen Geldannahme, als korrupt angezeigt zu werden, - eine auswegslose Situation. Da sich die Schwierigkeiten häufen, glaubt L, der Freund an der Tür wisse von diesem Bestechungsversuch und wolle ihn beschuldigen, fühlt sich veranlasst, ihm Briefumschlag mit dem Geld zu zeigen und seine Unschuld zu beweisen, wodurch er sich erst recht in Gefahr bringen würde. Hier ist also eine Wendung gegen die eigene Person mit der unbewussten Absicht der Selbstbestrafung zu sehen. Dieser ihn unterbricht ihn aber, will gar nichts von dieser Beinahe- Bestechung hören oder sehen. Es ist, so, als ob alle eine selbstverständliche Kenntnis von seinem Scheitern haben und ihn schon längst abgeschrieben haben. und nur noch – nicht ohne Häme – zusehen, wie er sich dreht und windet, um aus dieser Klemme herauszukommen, - die Frage der Bestechlichkeit braucht dazu nicht erörtert zu werden, sie stört eher. Zusätzliche Beweise gegen Larry werden nicht benötigt. Es werden überhaupt keine Beweise benötigt, auch nicht solche seiner eventuellen Verwerflichkeit, so ist das! Es ist doch alles schon längst entschieden. Auch weiden sich die umstehenden Zuschauer keineswegs an seinem Unglück. Dies sollte man annehmen, wenn es um normale Menschen ginge. Es ist hier viel schlimmer: Sie wissen, dass es ihn getroffen hat, aber sie kümmern sich nicht darum, ob dies berechtigt ist, ob er solches verdient hat und wie es enden wird. Sein Schicksal, sogar jede Begründung für dieses Schicksal ist ihnen völlig gleichgültig. Der Sadist und der Voyeur wären Gold dagegen, denn diese hätten immerhin noch ein Interesse an ihm und seinem Schicksal. Man kann froh sein, wenn jemand überhaupt noch etwas fühlt.

 

Den Briefumschlag benötigt der Türrahmensteher nicht, er ist auch so vom baldigen Ende Larrys überzeugt. Gerade diese allgemeine Stimmung, das Diffuse und Unklare, das Aberwitzige daran, das Überspringen der Kontinente ist treffend geschildert und verweist natürlich auf den verbreiteten Antisemitismus, ebenso auf die Unmöglichkeit, den bedrängten Juden oder anderen Bedrängten entscheidend zu helfen, aber auch auf die Gleichgültigkeit und den Mangel an gutem Willen, wenn nicht Abneigung, zu helfen.

 

Im Vorkriegspolen kommt es zu einem Totschlag unter Juden, aber es trifft einen heutigen jüdischen Professor in den USA. Es geht willkürlich zu. Wer verteilt diese Schicksalsschläge nach dieser Gutsherrenart?

 

Verheerend ist dabei die Rolle der jüdischen Gemeinde und Religion, die in völligem Versagen besteht. Die jüdischen Religionsausübenden kommen nicht besser weg als die seinerzeit christlichen, warum auch?

Von einem minderen Rabbi wird Larry mit rabulistischen Allgemeinplätzen und Scheintiefsinn abgespeist, so mit einem Hinweis auf einen Parkplatz, den man durch die Fenster sehen kann. Zum obersten Rabbi wird er gar nicht vorgelassen, denn der sei gerade am Nachdenken, - nachdem ihn dessen Sekretärin lange und abschätzig betrachtet hat und ihn ebenfalls sehr förmlich und kalt abfertigt.

Hier werden nicht nur die angeblich immer so mütterlichen und einfühlsamen Frauen angeklagt, sondern die jüdische Religion selbst wie auch überhaupt die Religion. Diese schwafeln dem Menschen etwas vor von Gott, dem Gerechten, aber von dem kommt keine Hilfe, aber auch nicht von seinen Vertretern auf Erden, den Rabbinern. Diese sind mit sich selbst, ihren Ornaten, ihren uralten Büchern, ihrem Pomp und ihren Traditionen beschäftigt (hier vielleicht ein Seitenhieb auf manche Fehlentwicklungen, so gewisse religiöse Züge, der Psychoanalyse), sonnen sich in ihrer Macht und Untätigkeit, wimmeln die Hilfesuchenden mit Allgemeinplätzen und rabulistischem Scheintiefsinn (Intellektualisierungen) ab, - kafkaesk. Die Gläubigen lassen sich dadurch blenden und von ihrem Anliegen ablenken, mehr noch, sie lassen sich von diesen hypnotisieren. Es geht auch nicht um das Judentum oder Christentum allein, sondern auch um alle anderen Religionen, die nicht besser verfahren: Koreanischer Student, „andere Kulturauffassungen“. „Es ist eine Streit zwischen zwei Kulturen“, sagt der völlig verbohrte Vater des Studenten zu Larry, wohl nur eine etwas zusammenhanglose Andeutung, dass sich die Religionen auf einen clash zubewegen. Dies ist ein Wink, dass es in einem Religionskrieg noch weit schlimmer kommen würde, indem dort ebenfalls jedes Mitgefühl ausbleiben würde. Es ist keinerlei Achtung vor der Religion des Anderen in Sicht.

 

Der wesentlichste Punkt ist aber wohl: Die furchtbare, menschenverachtende Gleichgültigkeit der Götter, des Gottes, der Religionen und nicht zuletzt der Menschen. Es ist nämlich nicht so, dass nur die Unschuldigen „bestraft“ werden, denn dann hätten die Mensche es wieder einfach: Sie hätten es nämlich erkennbar mit dem Teufel zu tun, - sondern es trifft auch die Schuldigen, z.B. den Nebenbuhler, der umkommt. Insofern bildet der Film nur die Realität ab. Der eine kriegt Krebs, der andere Nicht. Im Krieg   kommt der eine um, der neben ihm nicht.

 

Nicht der gerechte Gott, auch nicht der Teufel, der scheitan, der Dibbuk, sondern der rasende, sinnlos rund um sich schlagende Gott ist hier am Wüten, - der den alten biblischen Gott wieder zum Leben erweckt, - der Gott, der die Menschheit ohne Einzelprüfung in der Sintflut ertränkt, der – bei den Griechen – Agamemnon seine Tochter Iphigenie- schlachten lassen lässt, der Stalin seine Getreuen umbringen lässt, der einen Hitler und seine Häscher, der einen Bomber- Harris.(dies ohne Druck einer Diktatur) industriellen Massenmord begehen lässt.

Der Teufel (oder Gott? Oder der Dibbuk?) ist aber auch im Spiel: Jarrys Gesicht verzieht sich innert Sekunden zu einer teuflischen Fratze (Identifikation mit dem Aggressor aus Angst vor ihm), die der ähnelt die der Nationalsozialismus seinerzeit als „jüdisch“ verbreitet hat, als Jarry das Geld doch annimmt, um es seinem psychisch gestörten Bruder zukommen zu lassen, der sich – mit Hilfe einer geheimen mathematischen Theorie- des verbotenen Glückspiels schuldig gemacht und dabei viel Geld gemacht hat, und nun vor der Polizei verfolgt wird. Der kommt schließlich auch um, wird von der Grenzpolizei erschossen, und das Sündengeld ist ebenfalls verloren. Gott macht in seiner Vernichtungslust nicht einmal vor Kranken halt. Der biblische, sinnlos vernichtende Gott beherrscht die Welt, - das ist die Botschaft, und es gibt kein Entrinnen vor ihm. Tiefster orientalischer Fatalismus auch heute noch oder erst recht heute, wie auch bei den alten Griechen, die sich den Göttern, die sich alles erlauben konnten (Mord, Totschlag, Kannibalismus, Ehebruch, Raub, Diebstahl, Intrigen), hilflos ausgeliefert fühlten und in einer vagen Hoffnung ständig Tier- und Menschenopfer darbrachten (Sphinx von Theben, Iphigenie von Tauris, Kretas Minotaurus, wie weit zuvor „Abraham opfert Isaac“). Nicht immer ist klar, ob die Geschehnisse im Traum oder „in Wirklichkeit“ ablaufen, aber darauf kommt es den Autoren nicht an, denn auch im Traum geschieht bekanntlich nichts ohne Grund. und die Welt oder die „Weltordnung“, die besser als Weltunordnung zu bezeichnen ist, ist so verrückt, dass es darauf auch nicht mehr ankommt.

Ganz zum Schluss das Todesurteil. Sein Arzt, der vor seinen Augen den Röntgenbefund als normal bezeichnet hatte, ruft ihn an, es sei diese Röntgenaufnahme noch zu besprechen. Nein, es gehe nicht am Telefon, er müsse vielmehr selbst kommen. Später? Nein, sofort. Bezeichnend ist der jovial- beruhigend- beschwichtigende, sogar kumpelhafte („Sie wissen doch, es geht um die Röntgenaufnahme“)Ton des Arztes, der gleichgültig, über das Todesurteil, das in dieser Röntgenaufnahme steckt, denkt und spricht und es dem Verurteilten gegenüber gar nicht schnell genug aussprechen kann. Der Arzt will seinen Patienten Larry nur zu der kurzen Kooperation bringen, seine Praxis aufzusuchen,. Will der Arzt zum Tennisspiel? zu seiner Freundin? -  damit er nicht länger in seiner Arztpraxis verweilen muss? Von Helfen oder Heilung ist nicht die Rede. Hier gibt L. endgültig sein „Ich habe nichts getan“ auf. Er hat verstanden.

 

Es handelt sich um eine anonyme Instanz, die rachsüchtig ist und willkürlich alles niedermacht, was sie in die Finger kriegt. Man braucht die Vorstellung eines – anderen –Teufels oder Dibbuks nicht mehr. Einer reicht.

Was kann ein Analytiker dazu ergänzen? Wo ist Abwehr zu finden? Die erfahrene Ungerechtigkeit und Vernichtung ist so unerwartet, läuft allen Erwartungen und jedem Gerechtigkeitsgefühl derart zuwider und ist derart erschreckend, dass es zur Identifikation mit dem Aggressor (Gott) kommen muss. Das Opfer, der Physikprofessor muss selbst zum bösen Gott oder bösem Dibbuk werden, um sich ebenso stark fühlen zu können und seine Angst, vernichtet zu werden, im Zaum zu halten. Ferner findet greift das Opfer zur Wendung vom bloß passiven Erdulden zum aktiven Täter, - ebenfalls, um seine Angst, vernichtet zu werden, niederzuhalten. Er nimmt das Geld des koreanischen Studenten an und verwendet es zu eigenen Zwecken, nämlich seinem Bruder zu helfen, außer Landes zu kommen. Ferner begeht er selbst, durch den Anblick seiner Nachbarin gereizt oder nicht, darauf kommt es nicht an, Ehebruch, indem er sie aktiv aufsucht. Von vorneherein ist seine Verleugnung der Bösartigkeit des Schicksals, das über ihn hereinbricht, und der Bösartigkeit und Gleichgültigkeit aller Personen wie seiner Kinder und seiner Ehefrau, besonders auch des Nachbarn, der ihm seine Frau abspenstig gemacht hat, und so seine Familie zerstört und es ersichtlich auf sein Eigentum, sein Vermögen abgesehen hat und ihn – ein zusätzlicher Luxus an nicht weiter zielführender Bösartigkeit - durch anklagende Briefe noch beruflich erledigen will. Mit der Abwehr durch Verleugnung versucht L., seine Angst (sein Entsetzen) vor dem Unglück, das ihn immer mehr einkreist, zu bekämpfen und so lange wie möglich, seine Funktionen als Familienvater, als Ehemann und als Professor für die Universität und seine Studenten zu erhalten. Hier wird meisterhaft die Selbsterhaltungsfunktion der Abwehr, neben ihrer Aufgabe der Bekämpfung von Angst, Schuld- und Schamgefühlen, demonstriert. Um sich nicht von den einzelnen Schlägen, die er einstecken muss, völlig zermürben zu lassen, greift er auch zu Rationalisierungen der Geschehnisse, indem er versucht, sie als verständlich und normal einzustufen oder Erklärungen von den Rabbinern zu erhalten.

Ferner setzt er Idealisierungen ein, um seine an sich fälligen Zornesgefühle nicht hochkommen zu lassen oder gar auszuleben, so im Verhältnis zu seinen Kindern, seiner Ehefrau, dem Nebenbuhler, dem merkwürdigen Mahner an der Tür seines Arbeitszimmers in der Universität und seinem Bruder, den er sich in seinem kleinen Haus ungehindert breitmachen lässt . Statt seiner Tochter hätte er selbst seinen Bruder fragen sollen, wie lange dieser noch dazubleiben gedenkt. Die stundenlange Blockade des Badezimmers durch den Bruder stellt dessen schmarotzerhaftes Verhalten bloß. Gegen seine aggressiven Regungen setzt er auch Reaktionsbildung ein, so durch seine unentwegte Freundlichkeit und Unterwürfigkeit.

Das Aggressive bricht endlich durch seine Abwehr durch, als sein Gesicht sich - deutlich entgegen seine bewussten Bemühungen –zu einer Teufelsfratze verzieht. Alle Bemühungen, diese innerlich bereits abgelaufene Identifikation mit dem Aggressor Gott zu unterdrücken, brechen an dieser Stelle zusammen. Er wurde ja auch in diesem Moment- durch die Annahme der Bestechungssumme zum Bösen.

 

Die Nebenfigur der Nachbarin, mit der er sich aktiv einlässt, ist erwähnenswert. Sie ist als auffallend berechnend, triebhaft mit boshaftem Gesichtsaudruck geschildert und handelt wie alle entgeistert, wie unter Hypnose stehend. Sie ist gewiss, so nach der Intention der Autoren, ebenfalls von einem Dibbuk besessen, wie alle Anderen. Es ist nicht klar, was die beiden Autoren und Regisseure mit dieser Figur noch Besonderes sagen wollten. Sie spielt die Rolle der bösartigen Versucherin, die einen braven, fleißigen Mann vom Weg abbringt, wohl ebenfalls im Dienst eines Dibbuk, der von ihr Besitz ergriffen hat.

Auch die Ehefrau wirkt wie hypnotisiert, unter dem Einfluss eines Anderen stehend. Sie weiß selbst nicht, warum sie sich scheiden lassen will. Sie glaubt nicht ernsthaft, dass sie selbst die Scheidung ins Werk gesetzt hat, die Scheidung geschieht vielmehr einfach, und die Ehefrau wirkt nur getrieben, unbeteiligt, wie in Trance (s. hierzu Krill. 2008, s.u.).

Der Ehemann ist wie ausgestanzt, das „Ausknipsphänomen“ auf Seiten der Ehefrau, (Krill, 2008, Das Gutachterverfahren, Partnerschaftskonflikte, S. 282 ff) meisterhaft dargestellt. Dies kann man – abgemildert - auch für die Kinder sagen.

Auch bei uns, im christlichen Bereich, erlebt der Mann, wird er von seiner Frau plötzlich mit Scheidungsabsicht konfrontiert und sie mit noch so viel Mühe, Versprechungen nicht mehr umstimmen kann, diese als völlig verändert, „wie verhext“, wie besessen von der Idee, die Familie zu zerstören. Nicht selten kommt es zu Gewalttaten von Seiten des Mannes, um sie wieder „zu sich zu bringen“, „zur Vernunft zu bringen“, aus ihrer Trance zu erwecken, auch zu Totschlag..

 

Der Junge, drogenabhängig, ist insbesondere bei seiner Bar-Mitzwa ebenfalls nicht bei sich selbst. Er sieht völlig entgeistert, mit glasigen Augen und ratlosem (amentiellem)Gesichtsausdruck um sich herum, ist sichtlich zeitlich und örtlich desorientiert, kann kaum wieder seine Bank finden, auf der seine Eltern ihn erwarten und von der er aufgestanden ist. Aber sind es wirklich die Drogen oder ist es nicht ebenfalls der böse Dibbuk, der hier und im ganzen Filminhalt wirkte?

Wie heißt es im Vaterunser: „Und führe uns nicht in Versuchung“. In diesem rätselhaften Spruch des Christentums, den ich schon seit meiner Kindheit bis heute unbegreiflich finde, ist dies klar und deutlich ausgedrückt: Gott nicht nur als Retter, sondern, ebenso auch als Versucher, der so die Menschen vom rechten Weg abbringt und sie schnurstracks zur Hölle befördert, - sich damit also als Luzifer, als Teufel, als Dibbuk entpuppt. Ich hatte immer geglaubt, dass dieser Passus im Vateruser eines Tages, mit zunehmender Aufklärung und deutlicher einsetzender Kritik an anderen Stellen, gestrichen wird, aber nein, und mehr noch, er wird stumpfsinnig von den Gläubigen bis heute ritualhaft und gedankenlos, wie unter Hypnose, nachgebetet. Alle Rechtfertigung hierfür dürfte die reine Rabulistik sein.

Weiß die Kirche eigentlich, was sie damit sagt, oder ist auch sie betäubt vom Dibbuk oder von Gott? Sie scheint nicht bei sich zu sein („nicht bei Trost“, „unwis“, niet recht weijs bei sejn hoofd, pomeschanaja, pazza, meschugge, insensata wie man woanders sagt). Darüber könnten die Autoren ebenfalls einen Film drehen oder dazu haben sie diesem Film vielleicht gemacht.

 

Insgesamt ist der Film eine Anklage gegen die Religionen und die feisten, behäbigen, faulen, dickfelligen, nicht hilfsbereiten, ritualisierenden Würdenträger der Religion (so Rituale, statt einmal hinzuschauen und zu erkennen, dass der Bar-Mitzwa –Anwärter mit Drogen oder aber mit einem Dibbuk vollgestopft und  nur zum Schein seinen Aufgaben, den Text zu lesen und zu singen, gerecht werden kann. Der Junge hat es mit einem Dibbuk zu tun und der Dibbuk mit ihm, und eine Drogenabhängigkeit ist nur eine Ausrede zur Ablenkung. Die Drogen hätten die Autoren gar nicht nötig gehabt, sie wollen damit die Zuschauer nur auf die Probe stellen, ob sie etwas begriffen haben vom Film.

Der Dibbuk dringt in den Menschen ein und steuert ihn von innen heraus zu bösen Taten. Es ist das gleiche Phänomen, wie man es auch bei uns noch bis die Neuzeit annimmt: Besessenheit vom Teufel. Wir sind keineswegs darüber erhaben, wollen die Autoren wohl sagen. Die katholische Kirche verfügt über Hunderte von ausgebildeten Exorzisten, und Exorzismus auch bei uns findet täglich statt, ganz offiziell, wenn auch nicht an die große Glocke gehängt.

Wenn man näher hinsieht, sind sämtliche Figuren von einem Dibbuk besessen, selbst die Sekretärin des höchsten Rabbi, die den Bittsteller so merkwürdig und so lange ansieht. Es scheint unter den erfahrenen Dibbukbesessenen auch ein geheimes, übereinstimmendes Wissen um die allgemeine Dibbuk-Last vorzuherrschen, und dieses allseitige Geheimwissen ist weit unheimlicher als dass der eine oder andere vom Dibbuk besessen ist. Sie wissen alle, dass alle vom Dibbuk besessen sind, und sie wissen auch, dass die Anderen es ebenfalls wissen, und alle tun so, als wüssten sie es nicht und als seien sie selbst und die anderen nicht vom Dibbuk besessen..

In der Tat ist dies dem Alltagsleben der Menschen so unähnlich nicht. Auch wir fühlen, dass wir viel mehr über Andere wissen und diese auch über uns, und dass alle dies wissen oder ahnen. Diese Dimensionen versucht die Psychoanalyse wenigstens teilweise mit dem Wort „Mentalisierung“ und Abwehr zu umschreiben. Es handelt sich um ein überaus selbstreflexives Wissen, welches das Seelenleben der Anderen mit einbezieht, aber auch die Verdrängung (in sich), Verleugnung (des Wissens Anderer).

Daneben ist der Film auch eine Anklage gegen, oder mehr eine Verachtung für die Menschen, die so hilflos und dumm sind, wenn es darauf ankommt, einem in Not geratenen Menschen zu helfen, wie auch ein ganzes Volk vor der Ausrottung zu bewahren. Das gemeinsame Versagen von Gott wie der Menschen ermöglicht erst den Holokaust.

Auch misogyne Züge sind nicht zu verkennen. Den Anfang macht die Frau des Händlers in Polen, indem, sie bedenkenlos den Rabbi ersticht, weil sie ihn für einen bösen Dibbuk hält, aber ebenfalls in einer Art Trance, wie getrieben. Der Mann steht wie angewurzelt und mit offenem Mund daneben, ohne eingreifen zu können. Er zeigt sich als innerlich völlig abhängig von seiner Frau, denn er hätte dem sterbenden Rabbi auch in den Schnee nachfolgen können oder müssen, um ihm, der ihm zuvor ebenfalls geholfen hatte, das Leben zu retten.

Auch die Sekretärin des obersten Rabbi und besonders die Nachbarin tragen teuflische, hinterlistige Züge, besonders auch Larrys eigene Frau, die mit seinem Nebenbuhler schon sein gesamtes künftiges Leben eingeteilt und geregelt, auf eine vita minima reduziert hat, ohne ihn auch nur zu fragen. Alle behandeln Larry wie ein unmündiges Kind, nein, schlechter.

Es passt ins Bild, wenn eine Schallplattenfirma versucht, ihn am Telefon mit angeblichen Bestellungen zu ködern, zu überlisten und ihn zu Zahlungen zu zwingen. Seine Beteuerungen, er habe nie nichts bestellt, erweisen sich noch im Telefongespräch genauso wirkungslos wie seine vorherigen Beteuerungen, er habe „nichts getan“. Sehr richtig und sehr gut ist gezeigt, mit welcher Rabulistik auch hier der Schallplattenverkäufer vorgeht („Sie brauchen nichts zu tun, um die Schallplatten zu bestellen, sie werden Ihnen einfach angeliefert und Sie haben sie erhalten, gerade weil Sie nichts getan haben, müssen Sie diese kaufen und bezahlen“) Nein, er hat wirklich nichts getan und auch keine Platten bestellt, aber dies wird ihm nichts nutzen.

Falschheit, Lüge, Täuschung und Selbsttäuschung durchziehen den ganzen Filminhalt. Die Menschen sind schlecht, die geistlichen Würdenträger noch schlechter, innerlich korrupt durch Haften an bloßer Gewohnheit. Deren Trost ist verlogen und eigensüchtig. Sie leben von der Angst der Menschen. Es ist unbegreiflich, wie man diesen Film als Komödie bezeichnen kann. Wer den Film so beurteilt, wehrt die Grausamkeit und den inneren Schrecken, den diese verursacht, ab (Lachen als Abwehr gegen den Schreck).

Es handelt sich auch nicht um eine Wiederauflage der biblischen Figur des Hiob: Diesem ergeht es zwar ebenfalls schlecht, aber er hält die Verbindung zu einem guten Gott, und er weiß, dass er belohnt werden wird. Larry ist eine Gegenfigur dazu, denn er hat keinerlei Hoffnung, nur Unverständnis, Überraschtsein und Hoffnungslosigkeit. Das einzige was Larry mit Hiob verbindet, ist, dass er sich für unschuldig hält, und dies ist sehr wenig. Wenn es denn so gewesen wäre, könnte man bei Larry höchstens von einem ernüchterten, desillusionierten, gleichsam abgespeckten Hiob sprechen, der von Gott nichts mehr erwartet. Sein Schicksal ist ungleich bitterer als das des Hiob.

Diese Folgerung hebt auf das allgemeine Nachlassen der religiösen Bindung ab. Der Mensch hat sich vom Glauben teilweise befreit, aber dadurch findet er weniger Trost und Hoffnung. Er hat verloren. Ich wäre nicht überrascht, wenn dies die heimliche Intention der Autoren ist, bewusst oder unbewusst, aber dies werden die Autoren selbst nicht wissen. Ein Plädoyer für die religiöse Bindung und eine Anklage gegen diejenigen, die den Menschen davon abgebracht haben. Trauer um die verlorene Religiosität, verdeckt durch Spott und Hohn.

Allein die Vielfalt der möglichen Interpretationen zeigt schon die Tiefe des Films.

Filmtechnisch ist der Film ebenfalls originell. Die einzelnen Bilder sind überraschend in ihren klugen Perspektiven, halten sich aber zugleich im Realen. Das Reale wird hier benutzt, um zu zeigen, wie raffiniert der Dibbuk, der Teufel, Gott,die Religionen, die Menschen vorgehen können, um Anedre hereinzulegen. Wenn Larry z.B. auf dem Dach seines Hauses steht und an seiner Antenne als gelernter Physiker herumdreht, möchte er vielleicht so erhaschen, was diese Wesen vorhaben oder welches Telefongespräch gerade läuft, muss aber aufgeben. Dann sieht er dabei „zufällig“ die verführerische Nachbarin sich nackt in der Sonne räkeln. Oder hat er nur scheinbar an der Antenne gewerkelt, um anschließend unauffällig diese Nachbarin betrachten zu können? So kann es durchaus sein, ist der Zuschauer überzeugt. Die Menschen versuchen, es den Dibbuks, den Göttern, den Teufeln an Raffinesse, an Hinterlist gleichzutun, psychoanalytisch gesehen durch Identifikation mit dem Aggressor. Sie bilden so den Aggressor auf menschliche Weise, im Kleinformat, ab. Aber wir können es nicht so gut, wir bleiben zurück. Wir sind nicht ganz so teuflisch, nicht ganz so gemein. So bleibt es mit der Nachbarin bei einem harmlosen coitus mit nur teuflischem Gesichtsausdruck, der niemandem schadet.

Wir dürfen glauben, wir alle seien nicht weit von diesem Film entfernt. So ist das Leben, so sind die Menschen. Nein, es ist noch weit schlimmer, ahnt er. Es ist todernst gemeint, nur auf bizarr und lustig gemacht. Der Zuschauer merkt, wie sehr er sich täglich täuschen lässt, und wie bereitwillig er sich täuschen lässt. Die Autoren respektieren den Zuschauer, indem sie ihm Raum lassen für eigene Bilder und seine vermutlichen Reaktionen, würde ihm Solches widerfahren. In seiner Gegenübertragung könnten aggressive Wünsche aufkommen wie: Alle diese Lügengespinste, diese Gemeinheiten, diese endlosen Täuschungen zerschlagen! Dabei weiß er aber, wie erfolglos Solches wäre. Gott, der Dibbuk, die gesamte Filmintention ist wie aus Gummi. Es würde nichts nutzen, hineinzustechen, so wenig wie der Stich in den Dibbuk. Im Gegenteil, so die vage Befürchtung, würde dies das Übel nur verschlimmern und ausdehnen, auf völlig Unbeteiligte. Es wäre wie das Öffnen der Büchse der Pandora. Das Übel ist nicht mehr einzuholen. Wenn es so schlecht schon im Kleinen bestellt ist („die Hölle im Kleinen“), wie düster müssen dann die globalen Aussichten sein? Wollen die Autoren dies vermitteln? Dies wohl nicht, denn die Menschen belehren zu wollen, liegt ihnen fern, abgesehen von der Nutzlosigkeit eines solchen Vorhabens. Eher haben sie solche Intentionen nur für sich selbst wie überhaupt große Künstler. Sie führen dem Zuschauer seine Haupt-Abwehr vor Augen: Verleugnung der Realität. Sie haben aber keineswegs die Hoffnung, dass der Zuschauer dies erkennt. Sie möchten vielleicht lediglich, so nebenbei und ganz elegant, seine Einfalt zeigen.

Die Autoren haben den Film erkennbar erst einmal für sich selbst gemacht, aus Freude am Filmemachen und an Überraschungen, vielleicht, aber nicht sicher, auch aus gewissen Überzeugungen, und ihn dann erst an den Mann gebracht. Nun hat sich der Film von seinen Autoren längst selbständig gemacht, und die Autoren staunen und werden in Zukunft noch mehr staunen, was sie da eigentlich in die Welt gesetzt haben. Sie haben gewiss irgendwelche Hoffnungen gehabt, wie Eltern über ihr noch ungeborenes Kind. Aber wie sich das Kind dann entwickelt hat, - das haben sie keineswegs vorausgesehen und auch gar nicht voraussehen wollen, und sie haben auch wenig Einfluss darauf. Die Produzenten sind selbst zu Zuschauern geworden, und es ist die Frage, wieweit jetzt die Autoren überhaupt noch mitzureden haben, - falls sie überhaupt noch gefragt würden.

Was würden sie schreiben, würden sie gebeten, einen Aufsatz über ihren Film zu schreiben? Mehr als Anekdotisches käme dabei nichts heraus, und sie sind wahrscheinlich noch ratloser und verwirrter als die Zuschauer, weil sie selbst nicht verstehen, warum sie die einzelnen Anekdoten, die einzelnen Bilder, eingesetzt haben. Nicht die einzelnen Inhalte sind entscheidend, sondern wie man mit diesen umgeht. Vielleicht gibt es auch eine Art Selbstorganisation der Bilder ohne viel Zutun der Autoren, oder die einmal geschaffenen Bilder zwingen die Autoren, genauer: deren Gehirne, eine Ordnung in diese Bilderflut zu bringen. Deren Neuronen schaffen Ordnung, und die Autoren führen nur die Befehle der Neuronen aus. Sie wissen weder, was in ihrem Gehirn geschieht noch, warum es geschieht, auch nicht, auf welchen Wegen.

Man weiß um ihr Nichtwissen in dieser Beziehung, und deshalb werden sie auch nicht mehr um ihre Meinung gebeten. Sie haben etwas ins Werk gesetzt, aber das Werk hat sich vielleicht anders entwickelt, als sie beabsichtigt haben, falls sie überhaupt eine Absicht verfolgt haben, ist in jedem Fall in die Welt entlassen worden, wo es nun zurechtkommen muss und auch kann, wie ein Neugeborenes, dass sich zu einem Erwachsenen entwickelt. Kurzum, es ist ein großes Kunstwerk, es ist nämlich lebensfähig, ein eigener Organismus. 

Wie sagten noch die alten Griechen in der Odyssee? „Was entfloh dem Gehege deiner Zähne?“ Für Einwände der Autoren ist es jetzt zu spät. Die hätten sie eher vorbringen müssen. Der Film ist nämlich erwachsen geworden.

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(ergänzt)

Film:  Burn After Reading

Regisseure: Joel Coen & Ethan Coen

Schauspieler: John Malkovich für Osborne Cox, Tilda Swinton für seine Frau Katie, George Clooney für Harry, Frances McDormand für Linda, Brad Pitt für Chad, Elizabeth Marvel für Sandy Pfarrer.

USA 2008

 

Der Film setzt mit einem Furioso ein: Ein rasches Näherkommen an den Ort der Handlung vom Weltraum her, nicht untermalt, sondern ebenbürtig mit einer Folge von horrend tiefen und lauten, einsamen Trommelschlägen gleichzeitig mit dem leisen Geräusch eines unerbittlich tickenden uhrähnlichen Apparates, die das Schicksalhaft- Unvermeidliche des zu erwartenden Gewimmels da unten vorwegnehmen und zugleich ironisieren: Was da unten wimmelt, nimmt sich zu ernst, glaubt an Paukenschläge, wo es sich nur um ein elendes Gejaule oder Gewimmer handelt. Mit den Paukenschlägen identifizieren sich die Regisseure zum Hohn mit dem tierischen Ernst, mit dem die Menschlein da unten ihre lächerlichen Anliegen betreiben.

 

Der Film geht großartig direkt durch das Dach des CIA-Gebäudes auf einen gut polierten Flur, auf dem der flotte, entschiedene, exakte, harte Gang eines noch vitalen Mannes zu sehen ist: Es ist der Gang von Osborne Cox (John Malkovich), eines hohen CIA-Agenten, der zu erkennen ist, als er auf dem endlosen Flur (eine Anspielung auf den endlos wuchernden CIA) eine Tür öffnet und hinter sich schließt.

 

Er weiß noch nicht, dass es sein letzter Gang dorthin war. Man eröffnet ihm die abstufende Versetzung auf einen minderen Posten im Außenministerium („ Es fällt mir nicht leicht...wir nehmen Ihnen den Balkan“, „aber das Ganze muss ja nicht unerfreulich verlaufen“, „wir schmeißen Sie nicht hinaus“, „es ist nicht so gut gelaufen in letzter Zeit“).

 

Den Vorwurf eines eisig kontrolliert wirkenden anderen Oberen des CIA, eines Mormonen, Cox habe ein Alkoholproblem (was zutrifft), kontert er damit, dass für einen Mormonen alle Männer ein Alkoholproblem haben müssten.

 

Ein anderer, Cox offenbar seit langer Zeit feindlich gesinnter Spitzenfunktionär, Olson (Armand Schultz) flezt sich demonstrativ in einer Ecke und genießt die Erniedrigung seines Konkurrenten Cox.

 

Cox kündigt selbst und spielt „die Kreuzigung eines Bauernopfers für das Versagen Anderer“, indem er sich in ein Kreuz verwandelt, - ein Seitenhieb auf das Versagen der CIA- Spitze vor dem 11. September 2001, auch durch Kompetenzrangeleien innerhalb des CIA, auch auf die Schludrigkeit und Willkür im Handeln des CIA überhaupt. Cox ist offensichtlich ein Bauernopfer für die Versäumnisse Anderer. Meisterhaft ist geschildert, mit welchen perfiden Mitteln dabei vorgegangen wird und wie das Opfer empört Gegenanklagen vorbringt, aber schließlich, verärgert, selbst alles hinschmeißt und die Tür hinter sich zuschlägt, also selbst kündigt Der Fisch stinkt vom Kopf her.

 

Vielleicht sogleich zu der wesentlichen Erfindung dieses Films: Aus drei Handlungssträngen knüpfen die Autoren nicht etwa ein Seil, sondern sie lassen diese drei Stränge immer wieder an unverhofften Stellen und zu unvermuteter Zeit sich berühren, dann wieder auseinandergehen, nicht weniger plötzlich, als sie zusammengefunden haben. Sie zeichnen so ihre Auffassung vom Tanz des Lebens, und es gibt dementsprechend kräftige Berührungsblitze.

 

Der Zuschauer hat das Gefühl der Überraschung, aber zugleich auch das Gefühl, dass so eben das Leben ist und er keineswegs überrascht zu sein braucht. Schließlich stellt sich das Gefühl des Selbstverständlichen ein, hinter dem der Zuschauer lediglich etwas hinterhergehinkt ist, vielleicht aus Mangel an Lebenserfahrung, vielleicht einfach aus Tempogründen.

Er sagt zu sich selbst: „Ach ja, natürlich“, „na klar doch“ und „warum nicht?“. Gleichzeitig hat der Zuschauer aber auch ein Gefühl von Respekt entwickelt gegenüber der ungeheuren Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens, die durch das Alltagsleben vollständig wiedergegeben ist. Der Zuschauer erkennt, dass das ganze Leben aus solchen elektrischen und elektrisierenden Momenten der Berührung besteht. Das Leben knistert.

Der größte Teil des Knisterns wird gar nicht gehört, des Blitzens nicht wahrgenommen, weil man so genau nicht hinhört und nicht hinsieht. Hörte man hin und sähe man hin, wäre man davon gefangen und damit voll beschäftigt. Die Menschen müssen sich davon, um überhaupt ein Eigenleben zu haben, winzige Pausen stehlen, indem sie sich hinwegstehlen.

 

Die Dialoge sind geschmeidig, so die üblichen, gern überhörten unmotivierten kleinen Gehässigkeiten und typische Redensarten des small talk bei kleinen Empfängen wie „Haben Sie Lactoseintoleranz oder Säurereflux, - Sie kennen hoffentlich den Unterschied“, - „danke für die Belehrung“ . „Das wäre eine Frage an Ihren Psychiater“ (Anspielungen auf die gängigen kleinen Eitelkeiten und Wichtigtuereien auf Laktose und Säure, es gehört heute zum guten Ton, daran zu leiden, so, wie es früher zum guten Ton gehörte, einen Psychiater oder Psychoanalytiker zu haben, gleichsam als Haushaltsinventar, - Psychoanalytiker in der Gunst des Publikums abgelöst von Laktose und Säure oder Gluten,  - wer hätte das gedacht!)  sowie Anspielungen an die üblichen snobistischen Leckerbissen (Ziegenkäse der besonderen Art, eklige Spulwürmer, eine Quelle von bestem Eiweiß und Vitaminen, antiallergisch wirkend, eine halbe Einkaufstasche voll).

 

Die beiden (Cox, Harry) fühlen instinktiv, dass sie um Frau Cox konkurrieren und einander erbitterte Feinde sind, ohne sich dessen bewusst zu sein.

 

Cox wie Harry merken beide auch bewusst nicht, dass Frau Professor Sandy Pfarrer, Kinderbücherschreiberin und Frau von Harry, es sofort spürt und pikant genießt, dass Katie Cox und Harry ein Verhältnis miteinander haben und sie dies weiß, spätestens, als Harry zu Frau Cox in die Küche schlüpft und dort zu ihr meint, Ossi habe etwas gemerkt von ihrer Beziehung.

 

„Er weiß gar nichts“, belehrt ihn Katie Cox hochmütig, dabei - in ihrer sexbesessenen Fixierung auf die beiden Männer - Sandy, die Frau Harrys, übersehend.

Aber Harry kriegt von seiner Frau auf der Heimfahrt gesagt, dass Frau Cox ein „kaltes, arrogantes Miststück“ sei. Das war ihre letzte Warnung an ihn, - die er in den Wind schlägt. Sie zeigt ihm damit, dass sie von diesem Verhältnis weiß und sich darüber ärgert, was er aber nicht registriert, und wie sehr sie ihn für diese dumme Wahl verachtet, und sich alsbald von ihm lösen wird, wenn er so weitermacht, wenn sie nicht schon dabei ist, - und, wie sich herausstellt, ist sie schon dabei.

 

Großartig auch die Idee der Regisseure und das Spiel der Frau Cox, als ihr Cox seine Kündigung beim CIA mitteilt (eine Mitteilung, für die sie zuvor kein Ohr hatte).

Sie hat, da Gäste erwartet werden, ihre Haare zum Stylen in einen weißen Turban oder eine mitraähnliche Erhöhung eingehüllt, sich so als Person erhöht und von den Regisseuren so als Bock zum Gärtner gemacht, und sie erscheint gleichzeitig dreifach aus verschiedenen Perspektiven, darunter auch einer Rückenansicht.

 

Sie hackt auf ihn höhnisch ein, den drei Schicksalsgöttinnen (Parzen, Moiren) oder auch den Erinnyen dabei nicht unähnlich.

Dann dreht sie sich plötzlich um, und ihre Erbarmungslosigkeit füllt den ganzen Bildschirm. Ossi Cox spielt dabei bewunderungswert den Bedröppelten, Entmutigten, Kleinlauten, sich mühsam Verteidigenden, mit einen kindlich- ratlosen Gesicht, von den Regisseuren auch räumlich tiefer angesiedelt.

 

Frau Katie Cox muss schleunigst alle finanziellen Daten ihres Ehemannes Osborne Cox heimlich kopieren, um finanziell auf die bevorstehende Scheidung, die sie auf Anraten ihres Anwalts betreibt, vorbereitet zu sein (und später, wie sich herausstellen wird, seine Konten leer räumen zu können oder ihn  davon auszusperren), bevor dieser heimkommt.

 

Ihr Lover Harry muss nach dem Treffen mit Frau Cox, natürlich auf der Yacht von Cox, um ihn in stillem Einverständnis gemeinsam zu demütigen und so ihre Lust zu steigern, ganz schnell sein ritualhaftes, postcoitales Jogging wie nach jedem Zusammensein mit einer Frau betreiben („Ich sollte mal wieder eine Runde laufen“).

 

Dazu muss ihn Frau Cox an einer bestimmten Stelle aus ihrem Auto steigen lassen, damit er genau 5,2 km laufen kann, zunächst zurück zu seiner Wohnung, später in ihr Haus, da er inzwischen bei ihr eingezogen ist. Er muss aber möglichst schnell laufen, um leistungsfähig zu bleiben, aber auch, um den Spähern zu entgehen und diese ausfindig zu machen, die ihm seine Frau aus der Ferne, aus Kanada, wo sie aus ihren Kinderbüchern vorzulesen hat und ihr Verhältnis mit einem - bestgelaunten - Fernsehkochkünstler pflegt, auf den Hals gehetzt hat, um für die Scheidung, die sie im Sinne hat, Belastungsmaterial zu sammeln.

 

Alle sind in höchster Eile, alle haben Angst, ihre Wünsche nicht erfüllt zu bekommen. Und was sind das für Wünsche, für die sie sich so abzappeln? Hier folgt eine weitere Überraschung: Es sind ganz banale Alltagswünsche, wie die der Frau Cox, ein Verhältnis anzufangen mit einer Null von Mann, der sich als Personenschützer ausgibt und immer sichtbar eine Pistole mit sich führen muss, um Eindruck auf Frauen zu machen - na, was ist das schon! - und sich scheiden zu lassen von einem Mann, der die besten Jahre hinter sich hat und, Memoiren schreibend und längst impotent, von ihrem Vermögen leben will. Auch dies ist ja wahrlich nichts Weltbewegendes.

 

Die Wünsche der beiden Angestellten des auf Streckung spezialisierten Fitnessstudios („Stretching Gym“), Linda und Chad, sind ebenfalls banal.

Sie, Linda, möchte an ihrem Körper dieses und jenes wegoperieren lassen, um sich zu verschönern. Sie bleibt fixiert auf dieses kleine, schäbige, dumme Ziel und hat keinen Blick für den Studiobesitzer, der sie so liebt, wie sie ist. Sie muss dazu ganz rasch einen Mann im Internet finden, der ihr diese kosmetischen Operationen finanziert, auf die sie sich fixiert hat, und verabredet sich fleißig, gerät dabei auch an Harry.

 

Herrlich dargestellt ist ihr ordinär und bösartig verkniffener und berechnender, Falten bildender Mund, wenn sie ihre Absichten verfolgt (wie auch in dem berühmten Film Fargo der Coenbrüder, als Polizistin)).

Sie verkörpert damit wunderbar die Kurzsichtigkeit, das auf schnellen Vorteil gierige Bedachtsein des kleinen Angestellten, der nicht über den Tellerrand sehen kann oder will.

Auch an Hausfrauen, die penibel, geradezu erbittert, die Preise vergleichen und darin kein Erbarmen kennen, kann man denken. Sie sind mit vollem Einsatz dabei, als ob es um ihr Leben ginge, dies zeigen die Regisseure meisterhaft und machen sich damit über sie lustig.

 

Diese kleinen mimischen und verbalen Anspielungen sind es, welche die Größe der Regisseure besonders erkennen lassen.

 

Der Chirurg (Jeffrey DeMunn) hat es ebenfalls eilig, ihr die verschiedenen Körperstellen zu zeigen, die korrigiert werden müssen. Großartig spielt der Chirurg, wenn er ihr das Wegoperieren ihrer Narbe von der Pockenschutzimpfung „nachlässt“, - großzügig zieht er zurück, nachdem er sie auf ihr eigenes Betreiben wie eine Weihnachtsgans ausgenommen hat: „Das ist Geschmacksache“, - ein eleganter Wink auf das Geschäftsgebaren erfahrener Geschäftsleute und ärztlicher Geschäftemacher: Zum Schluss steht er noch als verständnisvoll und uneigennützig, als ein Mann von Welt da, der einer Frau nichts abschlagen kann. Er will halt sein Vermögen noch aufbessern, obwohl er längst genug davon hat, weiter nichts.

 

Ihr kleiner, junger Kollege Chad (Brad Pitt) findet zufällig einen Umschlag mit den Memoirenanfängen des abgehalfterten Mr. Cox, den die Sekretärin des Anwalts dessen Frau im Fitnesstudio liegen ließ, und jubelt über die zu erwartenden großen Erpressungsgelder oder Zuwendungen von der russischen Botschaft.

 

Er möchte das große Los gezogen haben, muss sich aber mit einer Ohrfeige von Cox zufrieden geben, der zu Recht nicht begreifen will, was man mit seinen Memoiren anfangen möchte.

 

Als Chad in dessen ehemalige Wohnung einbricht, um mehr von dem scheinbar belastenden Material zu finden, wird er, sich wie in einem schlechten Film im Kleiderschrank verbergend (eine ironische Anleihe aus Billigfilmen, und sich damit von diesen absetzend), von dem inzwischen dort eingezogenen Lover der Frau Cox, Harry (George Clooney) entdeckt, wohl für einen heimlichen Konkurrenten seiner Beziehung zu Frau Cox oder – wahrscheinlicher- für einen Agenten seiner Frau gehalten oder eher reflexhaft, im Schreck, erschossen, - das hat er davon.

 

So billiges Zeug wie das auf der Diskette will nicht einmal die russische Botschaft haben, geschweige denn dafür zahlen (ein Riesenkubus mit zuzementierten Fenstern bzw. einer Front von quadratähnlichen Radarschüsseln, eine Parodie auf die Hybris und das hemmungslose Wuchern der Geheimdienste auch auf der anderen Seite).

 

Alles Bagatellen wie auch die vielen, sich überkreuzenden sexuellen Beziehungen (so kommt Linda ausgerechnet mit Harry, dem Liebhaber der Frau Cox zusammen, während sie mit Chad zusammen von Ossi Cox Unsummen erpressen möchte , - Stürme im Wasserglas, die aber ein Menschenleben fordern können.

 

Harry, der Liebhaber der Frau Cox wird nämlich ungewollt zum Mörder an Chad, mit dem er nicht das Geringste zu tun hat.

 

Katie Cox ist arrogant, aber sehr präzise in ihrer Einfühlungsfähigkeit in ihren Liebhaber Harry, und so spürt sie genau, dass sie einen Wackelkandidaten zum Freund hat. Als sie erzählt, dass sie die Scheidung eingereicht hat und ihn damit auf die Probe stellt, tritt ihre Befürchtung ein, dass Harry sich unter allerlei Vorwänden und scheinheiligen Erklärungen (so, man müsse Rücksicht auf den gerade entlassenen Cox nehmen), einen Rückzieher macht.

 

Insgesamt ist gut gezeichnet, wie sich die Menschen in ihren Bestrebungen blind verheddern und scheitern, nicht etwa an großen Hindernissen, sondern an ihrem Konsenswahn, das höchste Glück zum Lebensziel zu machen, an dummen Zufällen, am Kleinklein, sozusagen am Sand des Lebensgetriebes, an Betriebsmüll, der ständig und immer übersehen die Lücken zwischen den Menschen ausfüllt, und die Menschen – flink wie Ratten, aber ohne deren Geruchsinn - in diesem Müll blind wühlen und sich dabei gegenseitig absichtslos in die Quere kommen lässt.

 

Harry ist ein unermüdlicher Fremdgeher und immer auf der Suche nach einer reichen, ihm, einem Hallodri ohne Substanz und ohne eigenes Einkommen, Sicherheit verschaffenden Frau, lebt zudem unter der Angst, dass seine Frau, eine Professorin, die Scheidung einreicht, wenn sie ihn bei einem Ehebruch ertappt hat.

 

Was auch immer ein „Motiv“ der Handelnden ist: Sie unterschätzen regelmäßig die Intelligenz ihrer Feinde oder derer, die sie dafür halten.

Sie halten sich für gescheite Täter, sind aber längst Opfer, bevor sie es wissen. Hier wiederholt sich das Motiv, dass alles so schnell geht, dass die Handelnden, aber besonders auch die Opfer und der Zuschauer, kaum mitkommen, sondern im Verständnis hinterherhinken.

 

Die Regisseure halten sich an diese grundlegende Konzept: Die Ahnungslosigkeit der Menschen in ihrem selbst erzeugen Gewimmel. Ein Ameisenhaufen hat entschieden mehr Verstand.

 

Die Autoren lassen zunächst drei Handlungsstränge laufen,

Der Film beginnt mit der Versetzung des altbewährten CIA–Agenten Osborne Cox auf einen kleinen Posten im Außenministerium.

Zu Hause angekommen, wird er von seiner Frau nicht angehört, sondern erst einmal abgekanzelt, weil er die ihm telefonisch aufgetragenen (aber nicht abgehörten) Einkäufe (eine spezielle Sorte Ziegenkäse!) nicht getätigt hat, Als Cox schließlich Gelegenheit erhält, seiner Frau eröffnen zu dürfen, dass er seinem Arbeitgeber CIA gekündigt hat und künftig nur noch als Berater tätig sein oder nur noch seine Memoiren schreiben wolle, reagiert diese eiskalt.

Wunderbar gezeigt ist ihr Hohn: „Schreiben? Schreiben?“ „Was denn schreiben“? Sie spielt wunderbar die Kälte einer nicht mehr jungen Frau gegenüber ihrem Ehemann. mit dem es schon lange nicht mehr geht.

 

Ihr Gesichtsausdruck ist dabei steinhart, - man wundert sich, dass sie noch einen Liebhaber hat, der aber, wie sich schließlich zeigt, später aus Angst vor ihr („Du bist so negativ.. ich habe vergeblich versucht, das zu ignorieren“) die Flucht vor ihr ergreift.

 

Sie sieht durch Coxens Kündigung ihr Vermögen in Gefahr und konsultiert ihren Anwalt (Horne). Wunderbar ist dessen raffiniertes Verhalten gespielt, die Frau zur Scheidung zu überreden („Ich sehe k e i n e n Grund, weshalb Sie sich nicht von allem, was bei ihm finanziell vorgeht, sofort Kopien machen sollen“, „Handeln Sie, ehe es zu spät ist und die Schildkröte ihren Kopf und – äh- ihre Hände, ergänzt sie - bereits gehorsam und mit einem wundervoll nervösen Fingerspiel – unter ihren Panzer zurückzieht, und  schließlich: „Wir sind jetzt zu weit fortgeschritten, als dass wir noch zurück könnten“, - ein raffinierter, manipulierender, sich philosophisch gebender, sein konkretes Anliegen verbergender Ausspruch).

Sein mimisches Spiel ist eine wunderbare Mischung aus Erfahrung, wie man Mandanten gewinnbringend aufs Kreuz legt und einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein, ein wahrer Herrscher, der auch schon äußerlich die Statur dazu hat. Die Szenen sind voll von solchen Erfindungen, gerade im Kleinsten. So auch Cox, der sich „gewissenhaft genau“ seinen Alkohol abmisst, nachdem ihn seine Frau so erniedrigt hat, aber nein, dies ist nicht der Grund, vielmehr trinkt er sich einen an, um in seinem Klub mitgrölen zu können.

 

Dann sieht man ihn tot daliegen, auf dem Rücken, aber nein er ist nicht tot, sondern hat sich nur besonnen, um seine Memoiren diktieren zu können.

Man sieht, wie zuerst sein Mund arbeitet, bevor ihm die richtigen Formulierungen kommen. Dann stirbt er endgültig, aber wieder nein, er stockt nur und schreckt wie von den Toten auferstehend hoch, als er das Telefon läuten hört, - es ist der Anruf des Liebhabers seiner Frau.

 

Er stirbt nach dem Verlust seines Berufes noch mehrfach, ist aber einstweilen nicht totzukriegen, er überlebt zunächst, während der kleine Chad zuvor erschossen wird.

 

Im Klub wird ihm durch einen Fremden, der sich als Studienfreund ausgibt („wir kennen uns doch...“), aalglatt die Scheidungsklage einfach in die Hand gedrückt („hiermit zugestellt und bezeugt“, wohl den USA eine beliebte, rasche Methode, die Scheidung einzureichen).

 

Währenddessen ist seine Frau auf seinem Schiff (auf das er schließlich umziehen muss) mit ihrem Liebhaber Harry (George Clooney) befasst, und man hört – wieder ein glänzender Einfall - beide stöhnen, aber nicht in der sattsam bekannten Weise, sondern mehr bellend, den Atem heftig ausstoßend, jedenfalls tierisch, genial verfremdet zu einem irgendwie aversiven, abstoßendem Geräusch, wie es Menschen nur auf Anweisung erzeugen können und das mehr Hass als Liebe ausdrückt. Nein, besser ist es als Defäkationsstöhnen bei hartem Stuhl beschrieben. Man will etwas Lästiges loswerden, nicht etwa Liebe empfangen. Nach dem Stoßen und Sich- Stoßenlassen das beiderseitige Abstoßen.

 

Danach ist alle libido verflogen   Das ist richtiges Film-Theater, wie es besser nicht sein kann, d. h. das Reale ist künstlerisch umgewandelt und bleibt dabei real.

 

Sofort danach ist sie schon beim Sich- Schminken und Anlegen der Ohrringe, und er sagt seinen nach jedem Verkehr wiederkehrenden Spruch: „Ich sollte jetzt mal eine Runde laufen“, ein diskreter Hinweis, dass der Verkehr an seiner Gesundheit (omne animal post coitum triste) genagt hat und / oder er nicht mehr an diesen denken will, weil er die Frau Cox, die seine Frau als eiskalt und arrogant bezeichnet und damit nur das ausgedrückt hat, was auch er empfindet, gründlich satt hat.

 

Sie ist nur seine Sexpartnerin, weil er, bedroht von eigener Scheidung und Verlust auch seines finanziellen Halts, Anlehnung sucht, und sie Geld hat, besonders nach Ausbootung ihres „Ossis“.

 

Auch, dass der Verkehr deshalb nur eine lästige Pflichtübung war, die, ist sie vorbei, ist man frei, um hier einen bekannten Satzbruch zu zitieren.

 

Auch mit der sexuellen Anziehung ist es vorbei oder sie war gar nicht groß vorhanden, denn er interessiert sich per Internet ständig für andere Frauen. Das Abstoßen war der vorläufige Schlusspunkt, - bis zum nächsten Mal.

 

Man geht unvermittelt, wortlos, ohne sich eine kleine Ruhepause zu gönnen, wieder zum postcoitalen Leben über, sie in ihre Kinderarztpraxis („höre mal, entweder öffnest du jetzt endlich den Mund oder deine Mutter verlässt den Raum, und dann machen wir das unter uns aus.“, - einfach wunderbar, wie die Regisseure die Unbarmherzigkeit dieser Frau mit ein paar Pinselstrichen darstellen, und wunderbar, wie sie diese Rolle spielt, - sie geht nicht einen Deut von ihrem rabiaten Charakter ab, wenn sie es mit einem 5j.Jungen in ihrer Praxis zu tun hat, - von wegen liebe, einfühlsame Kinderärztin, aber fachlich zugleich richtig handelnd, - die Regisseure vermeiden hier jede billige Schwarz-Weißmalerei, und führen jedem, der sie für eine schlechte Ärztin hält, vor, wie einfältig er von einem auf das andere schließt, - er zu seinem Sport eilend.

 

Die einzelnen Handlungsfäden verzwirnen sich immer wieder unerwartet.

So gerät Linda per Internet ausgerechnet an Harry, - nach einigen trostlosen Treffen, dabei auch einem Zwangsneurotiker, der Sexualität mit mühsamem Sport verwechselt und einfach nicht zum Lachen zu bringen ist und in dessen Taschen sie einen Auftrag seiner Frau findet („Ach, verheiratet ist dieser miese Typ auch noch“), einen Abflussreiniger zu besorgen (eine Replik auf die Weisung der Frau Katie Cox an ihren Mann, Käse einzukaufen, - wie klein und lächerlich hier ganz nebenbei die Männer gemacht werden, aber nicht weniger die geschlechtsbewussten Frauen, die unbedingt Härte ausstrahlen möchten, - eine Anspielung an einen dummen Feminismus, der sich schon damals überlebt hatte und den die jungen Frauen längst nicht mehr wünschten, aber an dem ältere, die seinerzeitigen Frauen in den Vierzigern, noch hingen).

 

Harry lädt sie in die noch-eheliche Wohnung („meine Ex hat sich gerade davongemacht“) einlädt und ihr seinen eigens gebauten Fickstuhl im Keller vorführt („hat nur 100 Dollar an Gestänge gekostet plus einige Stunden Eigenarbeit“) mit nach oben stechendem Superphallus, den er bescheiden, wie alle Welt, einen Dildo nennt, fremdartig und enorm, wahrlich ein allseits verehrtes Sonderorgan, weißlich, nie von der Sonne gesehen, und Linda reagiert begeistert und mit einem Ausruf ähnlich wie dem Emoticon „Wow“, und der Rest ist geschenkt.

Auch hier sind die Regisseure im Auslassen genial, - sie wollen doch nichts erklären oder dem Zuschauer aufs Auge drücken. Er hat doch selbst Phantasie genug.

 

Der Einfall, die Bewegung des Stuhls von einem total altmodisch quietschenden Geräusch (hier eine diskrete Wiederholung der Geräusche beim Verkehr zwischen Frau Cox und Harry auf dem Schiff) wie von einer alten Tür in einem verwunschenen Schloss mit Spinnweben begleiten zu lassen, gehört zu den elegantesten, unaufdringlichsten und genialsten, weil so einfachen (!) Einfällen der Regisseure, dass „Jeder hätte darauf kommen können“, hätte, hätte, ja hätte. Diese Idee spielt wohl auf das unerkannt Verspießerte, bloß Konsenshafte, Anpassungshafte, Imitative und Mechanistische der Jagd nach dem sexuellen Glück an, und wenn nicht, ist es eine umso kühnere Erfindung, die keiner Begründung bedarf.

 

Alles ist von leichter Hand gemacht und wirkt deshalb authentisch. Die Regisseure drängen sich nie auf, sind nie belehrend, lassen alle Schwere hinter sich oder besser: Haben nie solche Schwere gehabt. Sie fliegen.

 

Sie fühlen im Weltraum der Phantasie wohl, und nicht zufällig beginnt und endet der Film mit dem Weltraum.

 

Hier ist in einem tieferen Sinne das Publikum König (das Wort Kunde, client, kann ich, Entschuldigung, wenn ich so privat werden muss, nicht ausstehen, besonders nicht in künstlerischem Zusammenhang, und auch nicht in der Psychoanalyse, das sei Ihnen von mir geklagt) es kann selbst entscheiden, was es aufnimmt und sich denkt.

 

Respekt der Zuschauer vor den Regisseuren und Respekt der Regisseure vor den Zuschauern, - so muss es sein. Die Regisseure trauen den Zuschauern das zu, und diese den Regisseuren.

 

Filme (nicht zufällig im Anfang „Lichtspieltheater“ genannt) sind wie Theaterstücke nicht nur Dialoge zwischen Regisseur und Publikum, sondern auch immer Respekt-Dialoge zwischen ihnen. Die gegenseitige Achtung hängt natürlich auch mit einer gesunden Selbstachtung zusammen.

 

Alles Verbiesterte, Kleinliche, Zwangshafte ist den Regisseuren fremd. Es herrscht eine olympische Atmosphäre wie im alten Griechenland, in dem die Götter fremdgehen durften, wenn sie nur humorvoll waren, jetzt nennt man das Weltraum. Man darf dort wie dort frei flottieren.

 

Der schließliche Hirntod des Osborne Cox war ein Missgriff der Regisseure, da zusammenhangslos und unnötig. Er wäre auch so erledigt gewesen. Hätten die Regisseure ihn doch in Gottes Namen seine Memoiren schreiben lassen. Er war es ja nicht, der weiteren Schaden angerichtet hätte. Es mag auch sein, dass die Regisseure hiermit den CIA treffen wollten, indem sie diesen als hirntot bezeichnen.

Ein CIA–Agent hatte in seinen Kopf geschossen, als Cox versuchte, den Inhaber des Fitnessstudios zu erschlagen, nachdem Cox diesen bereits angeschossen hatte, weil er ihn in seiner ehemaligen Wohnung vorfand. Übrigens hatte Cox in seiner ehemaligen Wohnung nach Bankunterlagen gesucht, sich dann über Alkoholvorräte und eine Stapel Playboy-Hefte hergemacht. Der Fitness- Mann hatte nur erforschen wollen, in was seine verehrte Linda verstrickt war. Erneut eine Verkettung von Zufällen und Motiven, die nichts miteinander zu tun hatten und von den jeweiligen Gegenspielern auch nicht erraten werden können. Die Motive liegen derartig verquer, dass hier Empathie nicht helfen kann. Für einen Todesschuss reichte es aber allemal, wollen die Regisseure sagen.

 

Aber an diesem Punkt ist den Regisseuren die Eleganz, die Leichtigkeit ihres Stils abhanden gekommen. Dieses Ende ist einfach zu plump und fällt dadurch aus dem Rahmen, die Regisseure haben an dieser Stelle ohne Not ihr Niveau unterschritten.

 

Gut gespielt ist aber die zynische Erleichterung des CIA-Oberen („supervisor“), es mit einer lästigen Figur weniger zu tun zu haben.

 

Aber zwei Tote sind zwei Tote zuviel für die Darstellung unserer Spaßgesellschaft, es hätte auch ohne Tote gehen müssen. Denn diese gierigen, kurzsichtigen Leute haben sich doch genug selbst geschadet, und dieser Gesichtpunkt kommt zu kurz, wenn man Tote einführt. Es entsteht auch der Eindruck, dass Cox nur hirntot werden musste, um die Geschichte endlich zu Ende bringen zu können.

 

Es scheint den Brüdern Coen auch in anderen Filmen schwer zu fallen, einen Schluss zu finden, der mit dem Stück nicht bricht, so auch in „A serious man“.

 

Die Kleinstanliegen der Menschlein da unten schlagen Wellen und Wellchen bis in die höheren Chargen des CIA. Dort führen sie zu Ratlosigkeit und Verwirrung („Was haben wir aus dieser Scheiße gelernt? Nichts.“). Glänzend gespielt ist die Rolle des CIA Supervisors (J K Simmons) gegenüber dem hohen CIA-Agenten, seinem Berichterstatter, der verzweifelt und zwangshaft eine Ordnung in die Nachrichten bringen möchte und dabei subaltern- kleinkariert bleiben muss, weil er aus seinem Charakter nicht herauskann („Ach, soweit klar, - wenn da nicht noch ein Haken wäre...“).

 

Der Supervisor hat tatsächlich einen großen Überblick, ein unabhängig arbeitendes, skrupelloses Gehirn, wie es auch ein psychoanalytischer Supervisor von Rang haben sollte, aber den finden Sie erst mal (wenn Sie mir diesen Anakoluth verzeihen oder lassen Sie es), aber nicht, dass es diese nicht gäbe, und dieses ermöglicht die einzig richtige Erklärung für das, was sich „da unten“ und immer wieder auch „da unten“ am Körper abspielt: Nebensache, das ganze ist, so der Supervisor, eine „riesengroße Scheiße“, Alltagsscheiße, „in die einfach keinen Sinn zu kriegen ist, und Linda werden selbstverständlich die vier kosmetischen Operationen bezahlt, der Preis kommt gar nicht zur Sprache, - nur weg damit. („Sie haben Linda? Was soll das heißen, - Sie haben? - eine wundervoll spöttische Wendung, die sich über die allgemeine sexuelle Routine mit ihrem Eifer und die Sucht nach Selbstbewunderung lustig macht, die das Motiv für das gängige sexuelle Gehoppel abgibt. Was sollen wir mit Linda? Die russische Botschaft? Was will die denn? “ „Das FBI hinzuziehen? Um Gottes willen, die nicht auch noch“, eine Seitenhieb auf das vielfache Versagen des FBI).

 

Daraufhin geht der Blick des Supervisors wunderbar an die Zimmerdecke und dem folgt elegant die Kamera wieder durch die Decke wie gekommen, getrost gen Himmel, als ob nichts gewesen wäre. Es war auch nichts, außer zwei Toten. Sturm im Wasserglas. Es war echtes Theater. Theater ist eben Theater, das wollen viele nicht begreifen.

 

Psychoanalytisch gesehen werden hier Wünsche nach Macht, Größe, Erniedrigung des Konkurrenten, nach Geld, nach erfülltem Sexualitätsprogramm, vor allem aber nach Übereinstimmung mit der jeweiligen Zeitströmung (Konsenswahn)  sowie Ängste, vor allem Vergeltungsängste, aber so gut wie keine Scham- oder Schuldgefühle vorgetragen. Diese Emotionen werden abgewehrt durch häufige Identifikation mit dem Aggressor, Wendung gegen sich selbst (laufend Selbstschädigungen), Isolierung von Gefühlen zugunsten gespielter Gleichgültigkeit, grobe Verleugnungen von Offensichtlichem, Idealisierung (der Sexualität, des „modernen, flotten Lebens“ mit viel Handy- Telefonaten, mit Anpassungen und Unterwerfungen unter den heutigen Lebensstil in gehobenen Kreisen, - diesmal ausnahmsweise nicht in der Unterschicht wie sonst so oft).

 

Als ein unerwartetes Nebenergebnis darf vermerkt werden, dass hier die Brüder Coen auch die Grenzen der Empathie aufzeigen.

Diese kann nur an Plausibilitäten anknüpfen, - die hier in solchen Fällen nicht gegeben waren. So hat hier endlich einmal die Psychoanalyse aus einem Film Gewinn gezogen. Dies ist selten, aber umso bemerkenswerter. Dies sollte öfter vorkommen, - statt in einem Film nur das wiederfinden zu wollen, was man schon als Konzept hat, - die berüchtigten selbst versteckten Eier.

 

Dr. Manfred Krill, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse (Mitglied in DPV, IPV, FPI, International Psychoanalytic Association, IPAA).

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(ergänzt)

Barton Fink  
USA 1991;
Regie: Joel Coen;

Drehbuch: Ethan Coen, Joel Coen

Kamera: Roger Deakins

Schnitt: Roderick Jaynes (. Pseudonym für die Coen-Brüder,- diese haben also den Schnitt selbst gemacht, - die können einfach alles am Filmemachen)

Musik: Carter Burwell
Darsteller: John Turturro (Barton Fink) John Goodman (Charlie Meadows) Audrey Tayler (Judy Davis)

Michael Lerner (Jack Lipnick), John Mahoney (W.P. Mayhew), Tony Shalboub (Ben Geisler), John Polito (Lou Breeze), Steve Buscemi (Chet).

 

 

 

 




Inhaltlich ist der hervorragenden Rezension von Andreas Thomas aus filmrezension.de nichts hinzuzufügen.

Diese Besprechung folgt nicht streng dem Filmverlauf, bildet mehr assoziative Schwerpunkte ab.

Vom psychoanalytischen Standpunkt aus ist immer wieder Abwehr von Wünschen, Ängsten durch grobe Verleugnung und durch Verschiebung auf Anderes auffallend. Im Übrigen stößt bei diesem Film Psychoanalyse an nahe Grenzen. Die künstlerischen Erfindungen sind hier so zahlreich und tiefgehend, dass sie im Vordergrund stehen.

 

Die Musik (Carter Burwell) ist wie immer in den Filmen der Brüder Coen bemerkenswert. Die tiefen , geheimnisvoll langsam auf- und absteigenden Bässe und deren erbarmungsloser, nicht einmal vom lieben Gott beeinflussbarer Ostinati wie auch tiefe, unklare, brüchige oder schleichende Geräusche stehen für das Finster-Unheimliche des Films, die hellen, sauberen, sorgfältig voneinander abgesetzten und sich nur wenig auf- und abbewegenden, vorsichtig- behutsamen, silbrigen Klavierterzen, begleitet von einzelnen geheimnisvollen Glockentönen, sind von einer wunderbaren Warmherzigkeit und unbegreiflichen Schönheit, ja Innigkeit, aber auch Melancholie, und beide Instrumente zusammen haben etwas unerbittlich, schicksalhaft Vorwärtsschreitendes an sich, was dem Stück auf bedrückende Weise die Grenzen des Menschen, sein Ausgeliefertsein an Andere und an sich selbst, aufzeigt.

 

Es ist der Gang der Welt, der besonders die Hauptperson, des Drehbuchautoren Barton Fink (John Tarturro), der am Anfang des Films nicht weiß, wie ihm mit seinem Erfolg am Broadway geschieht, und nicht an den eigenen Erfolg und an die Urteilskraft der Kritiker und Zeitungsschreiber glauben mag, sich dann überreden lässt, nach Hollywood zu gehen. Das ist eine regelrechte Überraschung für den jungen Schriftsteller, und diese ist genial dargestellt durch eine nicht weniger überraschende Woge, die an der kalifornischen Küste hart und erschreckend laut gegen einen vorgelagerten Felsen prallt, sich an ihm wunderbar bricht und triumphal hochschäumt, hiermit auch den Erfolg eines jungen, vielversprechenden Autors, aber auch sein mögliches Scheitern („nur Schaum“) vorwegnehmend.

Fink bleibt ein Kind, ein Kind, über das Erwachsene unentwegt verfügen, und dies bis zum Schluss, im Übrigen ein Kind, das seinen diffusen visionären. sozialen Weltverbesserungsideen, die Welt des „einfachen Mannes! durch Schreiben von Theaterstücken verändern zu können, verhaftet bleibt, - ein kindlicher Phantast.

 

Als er aber auf einen - vermeintlich oder tatsächlich – einfachen Mann stößt, auf Charlie, seinem Nachbarn, und dieser ihm – dreimal -eine „Menge Geschichten“ erzählen will, hört er gar nicht zu, was ihm Charlie auch ganz zum Schluss des Films zornig entgegenhält (auf Finks Frage, warum es gerade ihn „getroffen“ habe mit der Begegnung mit einem (diesem) Serienmörder: „Weil Du, verdammt noch mal, nie zuhören willst, wenn ich dir eine Geschichte erzählen will)“,

 

Fink hält diesem statt dessen einen hochmütigen, langatmigen Vortrag über sein Weltverbesserungsthema, auch mit arroganter Mimik, mit herabgezogenen Mundwinkeln, mit seinem Oberkörper zurückweichend und somit Distanz schaffend.

 

Fink überhört in einem Belehrungseifer den eindeutigen Kommentar seines Nachbarn Charlie: „Es tut mir jetzt schon der Hintern weh.“

Ausgerechnet diesem „einfachen Menschen“ gegenüber unternimmt es Fink, vom Leben des „einfachen Mannes und wie man dieses ins Theater bringt“, in einer Suada wie sonst nie mehr im Film, zu schwärmen.

 

Fink leidet unter schwerer Schreibhemmung, ihm fällt nichts Neues ein, er bleibt vielmehr am Schluss seines Erfolgsstücks am Broadway hängen.

 

Er hört Charlie, wie erwähnt, nie zu, wenn diesem ihm immer wieder „lauter Geschichten“ erzählen möchte und auch die ganze Geschichte, die er im Hotel erlebt, nimmt er nicht als Gelegenheit beim Schopfe, um sie für ein Theaterstück zu verwerten.

 

Sogar das Catching / Wrestling hat er doch gerade am eigenen Leibe erlebt, und dies ist doch der Titel, mit dem er beauftragt wurde. Die Autoren zeigen hier meisterhaft, dass die Menschen wie mit Blindheit geschlagen an den Gelegenheiten vorbeilaufen.

 

Sogar zum Schluss kann er sich nicht aus dieser kindlichen Rolle der Abhängigkeit von Erwachsenen lösen, die ihn an Macht, Selbstbewusstsein und Einfluss auf Andere gewaltig überragen.

Zuletzt wird er, völlig verdutzt durch die rasche Abfolge, auch dem rasanten Brand des Hotels ratlos zusehend, durch einen Großen, Mächtigen, wieder einem Erwachsenen, diesen Zimmernachbar Charlie, den Serienmörder, gerettet.

 

Wie dieser eine Riesenanstrengung unternimmt, die Eisenstäbe, an die Fink mit einem Klaps auf die Backe von den Kriminalbeamten angekettet wurde, auseinander zu biegen, ist im Gesichtsausdruck von Charlie meisterhaft gezeigt.

 

Es ist interessant, dass sein Gesicht in der äußersten Anstrengung den Ausdruck äußerster Bösartigkeit zeigt. Mehr noch als gute Taten scheinen böse Taten besonders anstrengend zu sein.

Auch Charlie ist, wenn er gerade einen Mord hinter sich hat, sichtlich erschöpft. Oder soll man daraus den Schluss ziehen, große Anstrengungen zögen leicht böse Taten nach sich? Alles ist irgendwie austauschbar.

 

Wundervoll ist auch der filmische Einfall, eine belanglose Messingkugel, die an einem der Bettstäbe befestigt war, herabfallen und auf den Zuschauer hin rollen zu lassen, als Fink von Charlie von diesen, an die er gekettet ist, befreit wird. Die Kugel hätte sich sozusagen nie gedacht, dass es so kommen würde, - dies war in ihrem eintönigen Kugelleben nicht vorgesehen, - so wie nichts bei den Figuren des Film so vorgesehen war, wie es dann kam.

 

Übrigens ist nebenbei die Idee mitgeliefert, dass auch Unbelebtes ein Eigenleben hat (Kugel, Autohupen, Geräusche im Hotel) als ob es eigene Wesen seien. U.a. in Philosophie und Soziologie geht man in ähnlicher Weise mit abstrakten Begriffen um.

 

 

In dem verkommen alten, stickigen, aber alterswürdigen und altersehrwürdigem  Hotel (Drehort das Gellert- Hotel in Budapest? Oder in einem nachgebauten Hotel in den USA? – Jedenfalls täuschend ähnlich) angekommen, bedient Fink einen ewig langtönenden Klingelknopf, auf den hin zunächst nichts geschieht und auf den es erst nach einer langen Pause fürchterlich im Boden rumpelt und wie ein Geist (aber es ist ein ganz normaler junger Mann, das Fiktive ist hier als etwas höchst Reales gezeigt, wie bei Kafka) aus der Unterwelt der Rezeptionist erscheint, aus einer Klappe im Boden, der dann mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen, d.h. wie offenbar gewohnt, den Klingelton mit seinem Zeigefinger verstummen lässt, ihm dann eine streng auf den Rezeptionstisch angenageltes, drehbares uraltes Fremdenbuch vorlegt, in das er sich eintragen kann.

 

Dann nimmt Fink den Aufzug, uralt, langsam, mit Nebengeräuschen und einem ganz alten, psychisch entleerten Aufzugführer, der seelenlos und kontaktlos und nur für sich das Stockwerk nennt. Wollen die Regisseure die Wirkung einer modernen eintönigen Tätigkeit andeuten? Macht Routine die Menschen kaputt? So. wie das seelenlose Stückeschreiben im Dienste von Hollywood die Schriftsteller in den Grabkammern des Autorenhauses enden lässt? Auch im Geistesleben, auch im Kulturbetrieb lauert der Tod durch Routine, nicht anders als im Hotelbetrieb..

 

Dann betritt er den erschreckend endlos langen Flur aus der K & K – Zeit, wohl in den USA europatreu imitiert, mit den typischen braven, herrlich verspießert- tüllbehängten, gelben Lämpchen an den Seiten und mit einem beängstigend weit entfernten Fluchtpunkt, wie den Vorläufer einer nachts beleuchteten Autobahn, und die verhalten knarrende, von zahllosen Betretern erschöpfte Diele, alles gerade noch gepflegt, dass es funktioniert, über die lange Zeit mühevoll in Funktion gehalten, wie eine alte, schön geschminkte Frau.

 

Im Zimmer angekommen, ist Fink weiterhin wie betäubt, versucht vergeblich, das uralte Fenster zu öffnen, mit einem schrecklich trockenen Geräusch aus altem Holz und schabendem Glasgeräusch, das jedes Ohr quälen muss, wirft den Koffer mit der Schreibmaschine auf das Bett, sein einziges Gepäck, wie er auf Frage des Portiers angibt („Der Rest wird nachgeschickt“, - es gibt aber keinen Rest. Fink will nur nicht erkennen lassen, dass er gar nichts hat und arm wie eine Kirchenmaus ist).

 

Und hier wieder ein wunderbarer Einfall der Regisseure: Das Bett wimmert regelrecht unter der Wucht des Koffers, schwingt jammernd auf und ab, bis es sich beruhigt. Den jämmerlichen Zustand der Matratze und der Federung nach hundert Jahren der Belastung durch ein oder vor allem zwei Hotelgäste, nach deren tausendfachen orgiastischen Höhepunkten, diese gleichzeitig wie einen fernen Nachklang wiedergebend. Was haben die dort herumgelegen und herumgeturnt und herumgemacht, vor allem dieses, zu zweit, gewiss auch zu dritt, möchten die Regisseure wohl vermitteln.

 

Aus den orgastischen Lauten ist ein Wimmern geworden, - der Lauf der Welt.

Auch das Bett hätte diese seine Zukunft nicht ahnen können. Es war überrascht von der plötzlichen Belastung durch eine Schreibmaschine. Wahrscheinlich hat noch nie eine Schreibmaschine auf dem Bett gelegen.

Das Bett ist böse überrascht und wimmert. Die Schreibmaschine hingegen bleibt ganz sie selbst, überlegen, geborgen im Koffer. Das „Unbelebte“ ist höchst lebendig und hat heftige Erlebnisse.

 

Fink sieht ein Urlaubsreise-Photo mit einer schönen Frau am Strand, die dem Betrachter den Rücken zuwendet. Ganz zum Schluss des Films kommt ihm diese Frau entgegen, spricht mit ihm und sitzt schließlich genauso da wie auf dem Photo. Was wollen die Regisseure damit wohl sagen? Dass sich vieles wiederholt und alles einander ständig ersetzt, austauschbar ist. Ein Photo ist mit einer leibhaftigen Person austauschbar. Charlie hat Finks Schuhe mit seinen verwechselt und bringt sie zurück.

 

Fink beschwert sich beim Portier Chet über die störenden Lachsalven seines Nachbarn Charlie, eines Serienmörders, wie sich später herausstellt.

 

Dieser tritt unter viermaligem, energisch protestierendem Türklopfen ein, um Fink zur Rede zu stellen. Fink entschuldigt sich, redet sich darauf hinaus, er habe sich nur Sorgen um Charlie gemacht. Da ist von Charlies Seite „alles schon vergessen“.

 

Man freundet sich gut und rasch sich an, mit einem Mann wie Charlie, mit dessen gutmütigen Gesichtsausdruck und gemütlichen Übergewicht (einem „Pfundskerl“), und der auch immer eine Flasche Whisky mit sich führt und Fink wiederholt anbietet, (wenn es eine Frau wäre: „An diesem Hintern, -  da mecht ich überwintern, an diesem Po, - ebenso“.) kann man auch gar nicht anders. Fink nimmt aber seine ausgestreckte Hand nicht entgegen.

 

Zweimal ein einsames, fernes Autohupen, klingt sehr seltsam, aber irgendwie großartig ist diese Erfindung, es ist schwer zu sagen, warum. meldet sich hier noch etwas Anderes, das immer im Spiel ist, im Hintergrund oder im Vordergrund oder nebendran oder sonstwo immer mitspielt, - das wir aber nicht näher bestimmen können?

 

Es könnte an barocken Generalbass erinnern, der immer irgendwie dabei ist und heimlich alles lenkt oder begleitet, und bei man ebenfalls nie weiß, ob er mehr begleitet oder führt oder herausgefordert wird, - er ist jedenfalls immer dabei. Genau so gut könnte jemand nebenan oder im Zimmer selbst einen einsamen Pfurz lassen, und auch dieser hätte eine nicht klar fassbare Bedeutung.

 

Auch wird die gegenwärtige Szene durch das Autohupen irgendwie betont und herausgehoben. Ist es eine Art Anerkennung der laufenden Szene, wenn auf einmal ein fernes Autohupen zu hören ist? Das Auto sagt etwas zu der Szene. Es ist ein Gespräch zwischen den beiden. Auch ist es ein Widerhall der Alltagsgeräusche, die sich immerfort in unsere Handlungen einschleichen, wie auch der unaufhörlichen Geräusche der vielen Gäste in diesem Hotel, von denen man nur die Schuhe vor den Zimmertüren stehen sieht, wie auch eine Antwort, eine Begleitung zu unserem eigenen Atemgeräusch. Alles hängt mit allem irgendwie zusammen, alles spricht mit allem und hört von allen.

 

Charlie erzählt, dass er Versicherungsvertreter ist und den Hausfrauen „Seelenfrieden“ bringt, in dem er ihnen Versicherungen anbietet, nur leider wissen diese oft nicht, was für sie gut ist, und so bringt Charlie sie um, - weil „Hausfrauen so grausam sein können“ und er, wie er am Schluss sagt, mit ihnen leidet und sie erlöst, -„ich wäre froh, wenn das auch jemand für mich täte“.

 

Aber ganz zum Schluss beschwert sich Charlie fast weinend bei Fink, dass dieser in seinen Bereich eingedrungen sei, wo er doch nun mal lebe, in sein Zuhause also, und sich dann noch über ihn beschwert habe, „weil ich zuviel Lärm machen würde“. Charlie zeigt hier seine andere Seite: Weich, höchst empfindsam, empfindlich, traurig, ein richtiger, liebenswerter Mensch, unter seinem Übergewicht und der Hitze im Hotel leidend und stark schwitzend („Mein Gott, ist das heiß hier, ...die Zentrale macht mir die Hölle heiß, ich möchte aus der Haut fahren“, - ein armer Teufel, der in seiner eigenen Hölle und in der Hölle Anderer schmort) und so anscheinend keine Spur mehr von einem Serienmörder bei ihm, jedenfalls so wenig erkennbar, dass man auch nicht mehr danach sucht oder darauf gefasst ist.

 

Ich habe allerdings den Endruck, dass die Regisseure Coen & Coen nicht zwei Seiten ein und desselben Menschen zeigen wollen, - das wäre noch konventionell und fast harmlos gegenüber dem, was sie dem Zuschauer wirklich auferlegen.

 

Die Menschen sind komplett austauschbar, und zwar von einem Augenblick zum anderen. Wir wissen dies ja schon aus anderem Zusammenhang. Der Kommandant des KL Auschwitz wohnte dort harmonisch mit seiner Familie und pflegte dort sein Gärtchen, über Großverbrecher des 2. Weltkriegs überhaupt auf so gut allen Seiten kann man leicht ihr harmloses, fleißiges, bisweilen geradezu musterhaftes, auch durchaus liebevolles und liebenswürdiges Vorleben nachlesen. Diese Verbrecher hätten selbst (!) niemals vorausgesehen (und auch nicht gewünscht!), dass sie sich zu Ungeheuern entwickeln würden, und zwar binnen kürzester Zeit, - wenn die Umstände sich entsprechend wandeln. Auch in diesem Film zeichnen die Regisseure dies meisterhaft an den verschiedenen Figuren nach.

 

Aus Jedem kann alles werden, und wieder zurück. Das Böse und das Gute, vielleicht in dem Paket dargestellt, von dem die beiden Hauptfiguren sagen, es gehöre ihnen, nein, es gehöre ihnen nicht, und sie wüssten gar nicht, wem es gehöre. Sehr richtig! Es kann wandern von einem Menschen in den anderen und wieder zurück, und die Betroffenen wissen ebensowenig wie ihre Opfer und Empfänger, wie ihnen geschieht (!). Obwohl selbst höchst aktiv, haben sie doch nicht das Gefühl, selbst handelnd zu sein. Zu der Ausflucht, sie hätten nur Befehle befolgt, ist es nur ein winziger Schritt, den sie aber alle mit Leichtigkeit tun können. Sie sagen das, was sie fühlen, sie lügen nicht einmal.

Etwas Ähnliches glaube ich bei vielen zerstörerischen Scheidungen gesehen zu haben (Krill 2008, 282 ff). Die Menschen handeln plötzlich hasserfüllt wie in Trance, haben nicht das Gefühl, selbst etwas ins Werk zu setzen, sondern sind höchst erstaunt, wenn man sie darauf hinweist. Früher hat man gesagt, „wie wenn der Teufel hineingefahren ist“, oder die Person sei vom Teufel besessen“. Man hat ja früher auch gesagt: „Da soll der Teufel hineinfahren“. Hier ist durch das Wort „fahren“ auch die Geschwindigkeit und Unvorhersehbarkeit der Veränderung im Menschen abgebildet.

 

Der Teufel geht nicht zu Fuß, zumal er durch einen Klumpfuß behindert ist, sondern er fährt, er fliegt. Er ist blitzschnell. Dies war vielleicht gar nicht so falsch. Jedenfalls war es praktisch höchst brauchbar und bildete und bildet in vielen Zusammenhängen, im Alltagsgeschehen, im Kriegsgeschehen, im Kampf der Fanatiker, aber auch in plötzlichen Ehekrisen oder Auseinandersetzungen mit Nachbarn, mit denen man viele Jahre in Frieden gelebt hatte, die Wirklichkeit besser ab als die Psychoanalyse mit ihren vornehmen, wenn auch nicht falschen, Vorstellungen über Charakter und Entwicklung sowie braver Lösung von inneren Konflikten.

 

Wir glauben uns über jeden Geisterglauben hoch erhaben. Aber es gibt noch 250 offizielle, ausgebildete Teufelsaustreiber in der katholischen Kirche, und neben dem aufgeklärten Christentum hält sich z. B. in Südamerika hartnäckig Anderes. Wenn man statt Teufel das Wort „Neuronen“ einsetzt, ist man gewiss nicht weit von der Wahrheit weg.

 

Es scheint so zu sein, dass ganze Neruronenverbände plötzlich aktiviert werden können und in andere feuern und diese dann immer weitere mitreißen. Hierzu gehört ja auch der generalisierte epileptische Anfall.

Auch die plötzlich gewalttätigen Fans fallen in diesen Zusammenhang.

 

Das Gehirn ist ein riesiger Apparat, und in ihm können sich Stürme ohne großen äußeren Anlass entwickeln, die alles an guter Erziehung, Frömmigkeit (Maiandachten? Firmung? Messen? Predigten? Gebete? Beichten?), Vorsatz, Vernunft hinwegfegen. Homo homini lupus.

 

Es ist, als ob die Menschheit im Tiefsten die Überzeugungen der Brüder Coen teilt, oder diese nur das sagen, was die Leute ohnehin glauben.

 

Nach kurzem Schlaf bemerkt Fink entsetzt, dass sich die Tapeten von den Wänden lösen, mit einem ekligen Klebstoff-Laut, und als Fink sie wieder an die Wand drückt, hat er eine fädenziehende, verkäste, ekelhafte Substanz an den Händen. Später das Gleiche im Beisein Charlies, seines Nachbarn. Dies zeigt das Heruntergekommene des Hotels und der Zeit überhaupt, - mehr Schein als Sein und mehr Schleim als Schein, wohl den Klebstoff, nämlich Scheiße, welche die Welt zusammen hält. Auch hinter der Tapete sieht es ekelhaft aus. Nichts und keine Menschen sind so wie versprochen.  Das Hotel schält sich innen wie ein Darm.

 

Dementsprechend ist es auch unnatürlich heiß im Hotel, - eine Anspielung auch an die alte Druck- Dampfheizung mit 120 Grad Temperatur in solchen alten Hotels, die sich nicht herunterdrehen lässt und zu ständigem Lüften auch im Winter zwingt, dafür immerhin nicht die Leitungen mit Kalk verstopft, aber besonders wohl auf das untergründig Erhitzt- Wabernde der menschlichen Aktivitäten anspielend, namentlich wohl auch auf das Verdampfen von Blut in diesem Hotel, in welchem der umgängliche, herzensgute Charlie, den auch der Zuschauer sofort in sein Herz schließen m u s s , nebenan sein Serienmordhandwerk fortsetzt. Man hört sein – wohl sadistisches - Lachen, als er – nach den wimmernden, jammernden Lauten des Opfers zu urteilen – nebenan eine Frau zu Tode quält.

 

Weil wir gerade beim Akustischen sind: Fink hört später, wie über ihm ein Körper über den Boden geschleift wird, dann, wie der Körper zu handhabbaren Portionen zerhackt wird. Es ist der Körper der Lebenspartnerin des Dichters Mayhew, Judy,die ihn besucht, um ihm aus seiner Schreibhemmung herauszuhelfen, und die Fink nach dem sexuellen Zusammensein mit ihr zu seinem Erschrecken ermordet hat, denn sonst war niemand in seiner Wohnung, - oder war doch Charlie darinnen, als Fink schlief?

 

Es kommt nicht darauf an, denn die Menschen und ihre Untaten, aber auch ihre gewöhnlichen Tätigkeiten (Fink sieht man seine Tasten tippen, unmittelbar dabei stellt sich heraus, dass es nicht seine Finger sind, sondern die einer Sekretärin) sind austauschbar.

 

Überall passieren die grauslichsten Sachen, aber Fink und Andere verleugnen diese in gröbster Weise.

 

Auch das Umgekehrte tritt ein: Fink sieht den allseits verehrten Schriftsteller Mayhew aus der Toilette kommen, piekfein, mit gut sitzendem Schlips, total sauber. Unmittelbar zuvor hat dieser, sich vor die Toilettenschüssel kniend, wie Fink , sich ebenfalls hinkniend ,von außen sehen konnte, in übelster Weise erbrochen und dabei die allergrauenhaftsten Geräusche von sich gegeben, eine Mischung von Ekel, Abscheu, Verachtung, alle Schlechte aus sich möglichst laut und rücksichtslos- ausstoßend, herauswürgend, herauskotzend. Also hier zuerst das Fürchterliche, das sich dann als harmlos entpuppt, sozusagen eine Verleugnung des Bösen, die man hautnah miterlebt.

 

Gemeinsam ist die Unzuverlässigkeit unserer Sinneswahrnehmungen, Meinungen und Pläne, also kurzum die Unvorhersehbarkeit unseres Schicksals. Auch die Polizeiagenten laufen an dem Paket mit dem Kopf der Ermordeten darinnen, den sie doch suchen, da sie den Körper ohne Kopf  gefunden haben, achtlos vorbei, fragen gerade einmal, wem es gehört.

 

Am Schluss wirkt Fink wie ein Kind mit Größenwünschen, das seine Eltern zu früh verlassen hat, ratlos und klein, nur zufällig gerettet von einem Großen, Mächtigen. Um ihn herum gibt es nur elterliche Figuren, die ihn an Macht, Einfluss und Selbstbewusstsein gewaltig überragen. Nein, schon am Anfang ist er ein Kind, das nicht weiß, wie ihm geschieht und das unerwartet zu Erfolg gekommen ist, über das aber Erwachsene unentwegt verfügen. Er glaubt selbst nicht an seinen Erfolg, vor allem auch nicht an die Urteilskraft der Kritiker und Zeitungsschreiber, verharrt aber in seinen diffusen, visionären Ideen, vom sog. einfachen Menschen  zu schreiben und so im Schreiben von Theaterstücken die Welt zu verändern, - ein sozialismushafter Phantast.

 

Zum Schluss wird er noch einmal, diesmal endgültig, entmündigt: Er darf zwar Theaterstücke schreiben, soviel er will, er niemals wird eines von ihm aufgeführt werden, und alles, was er noch jemals produziert, gehört in alle Ewigkeit dem Theaterverlag.

Das erinnert auch an die Mär von Schriftstellern und Dichtern, die oft nur ein Gehabe ist, sie hätten befohlen, alle Werke und Aufzeichnungen zu verbrennen (so angeblich Kafka an Brod, das Aufführungsverbot seiner Dramen für Österreich durch den österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard). Er gehört auch als Person ganz und gar dem Verlag und muss sich in die Unzahl von erfolglosen, nie aufgeführten Theaterstückschreibern einreihen wie in ein Gräberfeld von lebendig Begrabenen, und zwar im sog. Autorenhaus, einer ausgedehnten Ansammlung von Kleinstwohnungen mit den Namen der Schriftsteller und der Hausnummern aneinandergereiht, wie es trostloser nicht sein kann.

 

Ihm soll es nicht anders ergehen, als der unendlichen Reihe schon verbrauchter Autoren, die im Autorenhaus Tür an Tür (ein Seitenhieb auf die winzigen Reihenhäuschen auf Kredit) vom Gnadenbrot leben, als Sklaven der theater company.

 

Es wäre zu kurz gegriffen, hier nur einen der vielen üblichen Seitenhiebe auf die geldgierige, kunstfeindliche, nur auf Vermarktung ausgerichtete Theater- und Filmindustrie zu vermuten, wenn diese Zeichnung auch nicht ganz aus der Welt ist, denn jeder, der einmal publiziert hat, weiß, wie willkürlich Verlage mit ihm umspringen, mit dem Text, der gekürzt werden muss, auch wenn dabei viel Blut fließt, aber schon mit der Umschlagsgestaltung, die oft geschmackloser nicht sein kann („Über den Umschlag bestimmt der Verlag allein, da können Sie als Autor nicht gehört werden, und erst mal 300 Erstexemplare für den Verlag ohne Honorar, und alle Rechte einschließlich der Übersetzungen - von denen der Verlag aber keinen Gebrauch machen wird -  auf Ewigkeit für den Verlag“).

 

Vielmehr benutzen hier die Autoren Coen eine traurige, weit verbreitete Realität, um die Kleinheit, das Ausgeliefertsein des Menschen überhaupt darzustellen.

 

Fink ist ebenfalls immer wieder kleinmütig zusammengesackt vor den mächtigen Figuren, die ihn umspielen und die mit ihm spielen, darunter auch schon gleich zu Anfang den Überredungskünsten ausgebuffter Geschäftemacher in der Film- und Theaterbranche ausgeliefert.

In deren Machtbereich wird der einsame Fink schließlich oder von Anfang an doch eingesaugt und lebendig eingesargt, ohne dass er bemerkt, wie ihm geschieht, und schon gar nicht ist daran zu denken, wie er dem Einhalt gebieten kann. Er hat sein Werk vollendet, darf es aber nicht anwenden, und dies ist so gut, als wenn er es nie geschrieben hätte. Er ist in die Gemeinschaft der verbrauchten Autoren exiliert worden und darf im Autorenhaus leben, bis der Tod ihn erlöst.

 

Gerade sein Erfindergeist ist ihm zum Verhängnis geworden, denn dieser ist den routinierten, ignoranten Mitmenschen, auch wenn sie „branchenkundig“ sind, verhasst, weil verneidet. Diese spüren ihre Mittelmäßigkeit genau, auch wenn sie in Verhörtechniken eingeübt sind wie die beiden Polizeiagenten, die hinter dem Serienmörder her sind.

Diese bemerken aber nicht, wie nah sie dem Mörder auf den Fersen sind, sondern tappen dicht neben ihm vorbei, kommen sogar in einem verpatzten Schusswechsel um, von der Hand des Serienmörders. Die Schlaumeier sind eben auch nicht schlauer. Dieses Motiv zieht sich durch den ganzen Film.

 

In einem erweiterten Sinne geht es um die Blindheit und den blinden Eifer der Menschen. Fink erkennt nicht das sozial und traditionell Vorgegebene des Hollywood-Betriebs mit seinen Flachheiten, seinen billigen Geschäftemachereien und dem langwährenden Fehlen jeglichen Sinnes für Film- und Theaterkunst und dem Bestehen auf einem billigen Catcherfilm, wie es schon unzählige gegeben hat.

 

Die Hollywood- Betriebsamen haben keinen Schimmer von Schöpferkraft, sondern können nur mit einfältigem Hochmut darauf reagieren. Fink wird auf ein museales Dasein, auf ein Dasein in irgendeinem Archiv, reduziert, wo er sich mit anderen „Spinnern“ wiederfinden wird.

 

Es war ein Irrtum, auch sein eigener, in ihm eine Art mobilen Thinktanks zu sehen, den man einfach von New York nach Los Angeles verschicken könnte.

 

Zum Schluss werden die beiden FBI-Beamte, die Mördermund Charlie fangen sollen, von Charlie mit seiner schweren, einläufigen Elefantenbüchse (großkalibrige Wildmunition!) erschossen, unter Charlies Ruf : „Ich bin der kreative Geist“, „Ich zeige euch den kreativen Geist“, nachdem sie Charlie aufgefordert hatten, „sich zu zeigen und hervorzukommen“ (so, wie Faust Mephistopheles beschwört, sich nun zu zeigen“) und seinen Koffer abzustellen und „schön die Hände hochzuheben“.

 

Majestätisch tritt Charlie hinter einer vorausgestoßenen Dampfwolke (eine Reminiszenz an die Art, wie man seit jeher böse Geister im Theater auftreten ließ, - der Teufel kommt dampfend direkt aus der Hölle - , mit einem sanften, aber großen Schritt von seitlich her auf den Flur. Ebenso majestätisch- würdig ist sein letzter Gang in sein Zimmer in dem lichterloh brennenden Hotel ganz zum Schluss. Er steht vor seiner Tür und tritt dann plötzlich ein, wie wenn er sich betrachten lassen wollte, - auf jeden Fall würdig und völlig unaufgeregt.

 

Nachdem Charlie die beiden Beamten erschossen hat, tritt er zu Fink und fragt ihn: “Was siehst du mich so an?“ Fink antwortet mit seiner Klage und Frage, warum gerade er es mit einem Serienmörder zu tun haben musste. Darauf Charlies Antwort: „Weil du mir nie zugehört hast“. Dies klingt so, als ob Fink die Chance gehabt hat, Charlie von seinem Tötungswahn abzubringen, ihn davon zu erlösen, - wenn er ihm nur mal zugehört hätte. Dies erinnert an das offene Ohr, das wir alle für unsere Nächsten und Fernsten haben sollten. Alle machen etwas verkehrt, ohne es zu merken. Dabei wäre das Richtige so leicht zu tun gewesen, eine Anspielung nicht nur auf den Holokaust, sondern nicht weniger auf andere Massenverbrechen. Erst im Suezkrieg 1956 haben sich zwei englische Piloten geweigert, die zivile Stadt Suez zu bombardieren. Nach der Bombardierung deutscher Innenstädte hat es also noch ganze 11 Jahre dazu gebraucht.

 

Zum Schluss wird ausgerechnet der Jude Fink von einem großen blonden Hünen, seinem umgänglichen, jovialen Nachbarn und Serienmörder Charlie gerettet. Dieser drängt mit ungeheurer Anstrengung die schweren Eisenstäbe auseinander, an die Fink von ihm ganz ähnlich aussehenden Figuren, also von „seinesgleichen“, gekettet wurde.

 

Der Untergang ist fürchterlich. Das ganze Hotel steht in Flammen. Es widerstrebt mir, darin nur eine Anspielung auf den Holokaust zu sehen. Der Film will eher zeigen, dass alles Mögliche und Furchtbare jederzeit und überall und in jeder Person auf Verwirklichung und in jeder Person lauert.

 

Von dem Paket, das er von Charlie erhält und das wahrscheinlich den abgetrennten Kopf der Partnerin des Dichters Mayhew, Judy, enthält, sagt Fink zum Schuss, dass er nicht wisse, wem es gehöre, auch nicht, was darinnen sei, auch nicht, woher er es habe. Auch Charlie bestreitet zum Schluss, das e ihm selbst gehöre. Zuvor hatte er Fink dieses Paket zum Aufbewahren gegeben, mit der Bemerkung, darin seien seine Kostbarkeiten, von denen er sich nicht trennen wolle, die er aber nicht immer mit sich schleppen wolle.

 

Man darf auch hier annehmen, dass auch diesem Film, wie in „A Serious Man“ dieser Regisseure, eine tiefliegende religiöse (nicht religionshafte, etwa christliche, jüdische oder andersartige Richtung) Auffassung und zugleich eine Anklage gegen jede Religion und die Figur, die eine Religion verehrt, zugrunde liegt, ohne die einzelnen Erfindungen in diesen Filmen damit erklären zu wollen.

 

Es ist so, dass die Autoren sagen wollen: „Da ist noch etwas, was wir nicht verstehen, und wir haben Respekt davor“. Die Figuren schwimmen alle irgendwie in einer Suppe, die sie nicht kennen, geschweige denn deren Strömungen sie voraussehen könnten. Sie werden hineingezogen und in ihr und auf ihr herumgewirbelt, dass ihnen Hören und Sehen vergeht, und der Zuschauer wird, will er den Weg der einzelnen Figuren ernsthaft verfolgen, nicht anders, von Schwindel befallen.

 

So verfällt Fink kurz vor Schluss in ein „never stop working“ und schreibt so das ganze Theaterstück in einem Zuge nieder. Das ehrwürdige, harte Schreibmaschinen-Tasten –Doppelklicken mit dem typischen hart- metallischen, (wie in Ewigkeit gemeißelt) echohaften (darin schon das Echo der Zuschauer vorwegnehmend), überaus würdigen Nachklicken der alten, wundervollen Underwood-Maschine mit den ausgetippten, plastikeingehüllten, und trotz viel Fingerschweiß noch gut aussehenden, nur leicht vergilbten, alt gewordenen Buchstaben und dem hellem Klickgeräusch beim Öffnen des schwarzen Koffers (ein typisches und herrliches, uns an unsere Reisen, als wir noch jung waren, erinnerndes Koffergeräusch), in dem sie transportiert wird,  ist ein Genuss, mit dem uns die Regisseure so ganz nebenbei – unverdient, wie alles, was wir hier erleben dürfen, - beschenken.

 

An einer Stelle wird das Innere der Schreibmaschine vergrößert, - nun sieht es aus wie ein Amphitheater. Die Buchstaben schlagen nach vorn, auf die Bühne, auf die halbmondförmige arena. Sie sind es, die das Theater machen. Das Theater auf der Bühne mag seine Zuschauer haben, aber hier geht es plötzlich umgekehrt. Die Bühne muss sich das gefallen lassen, was die Zuschauer produzieren, also womit sie die Bühne „schlagen“. Fink soll ja lt. Auftrag ein Drehbuch für einen „Catcher-Film“ schreiben. Wenn Fink dies nicht kann, soll sich die Schreibmaschine auf ihr Eigenleben besinnen und das Stück selbst schreiben, indem sie die Buchstaben mit Hebelwirkung auf das Papier haut. Es muss notfalls eben auch ohne Fink gehen. Der Auftrag und die Schreibmaschine haben sich verselbständigt.

 

Damit sind wir erst recht beim Thema „Catcher-Film- Theater, über das doch Fink lt. Auftrag ein Drehbuch schreiben soll. Die Herren von Hollywood bestehen eisern darauf, weil sie Bildungsgut verabscheuen. Charlie, dem Fink seine Schreibhemmung beichtet, um Ideen dazu zu erhalten, macht daraufhin mit Fink ein kurzes Wrestling (ein Schau-Ringen als Theater, hier allerdings ohne die übliche Verabredung, wer siegen, wer verlieren soll), nach dem Fink hilflos wie ein Klammeräffchen auf ihm sitzt und von dem Fink Nackenbeschwerden davonträgt („tut mir sehr, sehr leid...“).

 

Charlie verlässt den Raum und schließt die Tür hinter sich, - dies macht ein geisterhaftes, schlürfendes oder rauh hauchendes, menschenähnliches Geräusch. Dieses gehört wieder zu den kleinen, liebenswürdigen Geschenken, die von den Regisseuren so ganz nebenbei an die Zuschauer verteilt werden.

 

Aus der vorherigen Schreibblockade möchte Fink durch die Hilfe des bekannten Schriftstellers Mayhew herausfinden. Wie Kafka in seinem Roman „Das Schloss“ den Weg zum Schlossherrn sucht, aber bei einem Schankmädchen landet oder in seinem Roman „der Prozess“ statt bei seinem Anwalt in der Umarmung dessen Sekretärin und Geliebten „Mizi“, so ergeht es jetzt Fink mit Mayhew. Er kommt nicht an diesen heran, zumal dieser sich durch seine Alkoholexzesse entzieht. Er muss mit dessen Sekretärin und Geliebten Judy vorlieb nehmen bzw. sucht deren erotische und mütterlich stützende Zuwendung. Klappt es mit den Männern nicht, muss man sich den Frauen dieser Männer zuwenden, um wenigstens über diese noch einen dünnen Kontakt zu den Männern zu knüpfen und so doch noch den Mann anzuzapfen.

 

Hier stellt sich aber heraus, dass Judy die eigentlich Produktive ist: Sie ist es, die die Drehbücher des Mayhew geschrieben hat.

Hier wieder das Thema der unvermuteten plötzlichen Verwandlung: Aus der Sekretärin eines berühmten Dichter ist plötzlich die große Autorin selbst geworden, und Mayhew zu einem unproduktiven Alkoholiker, einem bloßen Aushängeschild.

 

Fink gerät in einen schlimmen Zustand der Wut und Enttäuschung, da er sein Ideal von Mayhew verliert. Nun verachtet er diesen, - wieder ein plötzlicher Wandel ins Gegenteil.

 

Fink kommt aus seiner Schreibhemmung erst nach dem erlösenden sexuellen Zusammensein mit Judy, aber auch deren Ermordung durch Fink selbst (Lustmord) heraus.

Dass er sie umgebracht haben muss, entdeckt er erst, als er aus einem tiefen Schlaf erwacht und in eine Zimmerecke blickt. Dabei geht ihm auf, dass es sich „eigentlich“ um die Großumrisse der weiblichen Genitalgegend handelt. Oder besser umgekehrt: Er sieht eine weibliche Genitalgegend, bis er begreift, dass es sich um eine Zimmerecke mit einem schwarzen Punkt und den davon abgehenden Linien handelt.

 

Dann hört er ein Insekt summen, das sich auf dem Körper der neben ihm abgewandt liegenden Judy niederlässt und Blut saugt. Als er dieses totschlägt, bemerkt er, dass Judy tot ist und am Rücken eine, von ihm selbst zugefügte, Stichwunde trägt.

Dann kann er sein Stück in einem Zuge zu Ende schreiben.

 

Sein willenloses Sich- Ergeben in diesen sexuellen Akt, der zunächst nur ganz konventionell mit dem beiderseitigen Abstreifen des Schuhwerks angedeutet, aber dann gewaltig vertieft wird in Form eines Waschbeckens, das viel aufnehmen kann (viel Schmutz, wie vorgesehen), aber erst recht in Form des Abflussloches, das zunächst ganz harmlos einfach das Abflussloch ist, sich dann aber zu einem riesigen schwarzen Loch, dem schwarzen Loch eben, erweitert, das alles verschlingt, das heißt den ganzen Fink mit Haut und Haaren, samt seinen frommen Vorsätzen und seinen Weltverbesserungsallüren, sodass er dann zum Mörder wird, an der Judy, die ihm soeben geholfen hat, und diese so zerfleischt., dass selbst seinem hartgesottener Zimmernachbar Charlie zuviel wird, - der in seinem Eigenleben ein lang gesuchter Serienmörder ist ( FBI-Beamte: „Charlie heißt überall „Mörder-Mund“ und ist irre im Kopf, erschießt Leute und schneidet ihnen dann die Köpfe ab“, Charlie dazu: „Aus Mitleid, weil sie alle so leiden. Ich gebe ihnen Seelenfrieden. Ich wollte, es täte jemand auch mir.“ „Haben Sie vielleicht vorher eine Frau gesehen, wir meinen, als der Kopf noch drauf war, also eine Frau mit Kopf“? )

 

Beim Anblick der furchtbar zugerichteten Leiche, muss sogar der hartgesottene Charlie erbrechen. Dann teilt ihm Charlie seine baldige Abreise mit („Da ist etwas in der Zentrale ((seinem Gehirn? Oder in einem imaginären Ort, in dem Menschheitsverbrechen geplant werden?)) in New York (ist Berlin gemeint? Nein, jeder Ort könnte es sein, war es, wird es sein) nicht in Ordnung“, verspricht aber, in sein lange Jahre gewohntes Hotelzimmer zurückzukehren.

 

Er wird nun als Serienmörder („Mörder- Mund“ von der Polizei gesucht. Er hat soeben seinen Hals-Nasen-Ohrenarzt umgebracht, weil er diesem seine richtige Diagnose gesagt hatte, aber dafür zehn Dollar bezahlen sollte.

 

Er hat auch die Leiche, die Fink hinterlassen hatte, entsorgt und den Kopf der Frau, luftdicht eingepackt, an Fink übergeben, damit dieser dieses Paket aufheben solle für ihn.

 

Fink trägt dieses Paket bis zum Filmende, d.h. bis zur Begegnung mit der Strandschönheit, mit sich herum und antwortet wahrheitsgemäß, er wisse nicht, was darinnen sei und wem es gehöre. 

 

Außerdem konnte Fink aus dem Nebenzimmer hören, wie eine Frau zu Tode gequält wurde, aber er - Abwehr des Schrecklichen durch grobe Verleugnung und Verharmlosung – glaubte, nur die Orgasmusschreie einer Frau bei Charlie zu hören.

Charlie kam nach Erlöschen dieser Todesschreie verschwitzt und an seinem rechten Ohr blutend in Finks Zimmer („Ohrentzündung“). Er verbot nicht ohne Grund Fink wiederholt, sein Zimmer zu betreten („eine Müllhalde“, „kann niemanden hereinlassen“). Er gibt an, es handele sich um eine schon länger bestehende Ohrenkrankheit.

 

Erst die Liebe und die Sexualität, in einem fade errungenem, mehr geschenktem ödipalen Sieg über den schon berühmten, alkoholkranken Schriftsteller Mayhew, dann der Mord an dessen Frau durch ihn, Fink selbst, - das war offenbar das richtige Elixier, das Fink benötigte, um aus seiner Lethargie zu erwachen.

 

Geistige Produktivität hält sich nicht an Moral, - das ist das Mindeste, was man dazu sagen kann. Eine teuflische Mischung von Liebe und Mord ist hingegen das „Richtige“, das zum genialen Erfolg führt.

 

Alles andere hatte nichts genutzt, so Druck von Seiten der Geschäftemacher, Druck von ihm selbst, finanzielle Notwendigkeiten, - nichts. Nur eine Teufelsmischung hilft, - man kann sich an Faust erinnern, der sich mit dem Teufel verbindet und verbündet.

 

Es muss gebrannt und gemordet werden. Phönix aus der Asche, Genie und Kultur aus dem Detritus der Menschheit.

 

Fink wird als zwangshaft, überaus ängstlich und skrupelhaft gezeigt, eine Art zweiter Franz Kafka, sowohl im Aussehen als auch in der Schüchternheit seines Benehmens.

 

Die Skrupel vergehen vorübergehend mit der angesehenen und selbst ausgeübten Grausamkeit, sowie mit der Geschäftemacherei Anderer. Er findet so zu einem raptus des Schaffens, schreibt sein Stück ununterbrochen zu Ende, dabei ständig auch mit den Füßen arbeitend (bereits zuvor sieht man ihn verzweifelt im Zimmer hin und her laufen. Man erinnert sich: Vor der Klagemauer und auch beim Lernen beugen die Juden den ganzen Oberkörper vor und zurück, - eine alte Weisheit, dass man in Bewegung besser lernt, hierzu s. auch die Peripathetiker, die Herumgeher, im alten Griechenland), anscheinend ohne Korrekturen und nicht ohne Abgabesorgfalt, - er schreibt in Großbuchstaben: THE END.

 

Die Regisseure/ Autoren vermeiden den Abstieg eines Films in einen bloßen Roman, womöglich noch in einer der üblichen Sozialromane (Finks Projekt des „einfachen Menschen“) mit Marketingsaussicht, oder jedenfalls etwa mit einer durchgehenden, einigermaßen vernünftigen, „plausiblen“ Geschichte.

 

Dieser Film macht besonders deutlich, dass Filmkunst ein eigenes Metier ist, - das auch den Mut aufbringen kann, eine Art „Antistory“ darzustellen, wie sie uns übrigens auch ständig in den Biographien unserer Patienten begegnet, wenn wir dafür auch nur etwas offen sind und für das Psychotherapie - Antragsverfahren (Krill 2008) nicht allzusehr mogeln, um den Antrag durchzukriegen.

 

Kein Geringerer als Freud würde hier seine Freude haben, denn hier handelt es sich ausnahmsweise einmal nicht um eine der vielen „geglätteten Krankengeschichten“, über die er sich so verwundert und empört zeigte, weil er das Verlogene daran nicht mochte.

 

Wir mögen es auch nicht, möchten die Regisseure sagen, und, wenn Sie gestatten, ich mag es auch nicht. Die Schreibhemmung dazu kriegen auch wir hier geschenkt.

 

Der Schluss wirkt wieder, wie schon öfter gesehen, so in „Burn after Reading“ der gleichen Autoren, an den Haaren herbeigezogen. Diese Regisseure haben einfach chronisch Schwierigkeiten, den Schluss aus dem Stück herauswachsen zu lassen. Bei den Skills in Sachen Film, den die Regisseure vielfach bewiesen haben, nimmt dies nur auf den ersten Blick Wunder. Tatsächlich dürfte dies ihrem ungeheuren Einfallsreichtum geschuldet sein. Sie haben es schwer, diesem Einhalt zu gebieten. Sie möchten und könnten lieber endlos so weitermachen. Aber bei ca. 120 Minuten muss nun mal Schluss sein. Längeres würde kein Verleih mehr annehmen. Daher wohl das künstliche im Ende ihrer Filme. Sie machen ja auch den Schnitt selbst. Das hat ihnen sicher selbst wehgetan, - hart gegen Andere und grausam gegen sich selbst. Auch die Suizide sind austauschbar. Sie verschonen sich selbst nicht davon. Den Nachbarn Charlie haben sie einfach in sein brennendes Zimmer gehen lassen. Fink lassen sie noch entkommen. Den Fink lieben sie einfach zu sehr. Und auch, das ist wieder eine Überraschung, die Strandschönheit, die Fink in seinem Hotelzimmer auf einem eingerahmten Billig- Reisen –Photo gesehen hat, ist plötzlich wieder da. Inhaltlich entspinnt sich ein nichtssagender, scheintiefsinniger Dialog, der u.a. , um die mitgeschleppte Kiste geht, von deren Inhalt und Herkunft Fink, so Fink, nichts weiß, was ja einfach zutrifft.

Aber immerhin, auch hier geht es um eine Coensches Thema: Wie sich an anderen Orten und zu anderen Zeiten das Gleiche wiederholt, wie geisterhaft, - entweder identisch oder nur leicht verwandelt. Die gleiche Frau in der gleichen Haltung am Strand wie auf der Ferienreklame in seinem Hotelzimmer.

 

So auch immer wieder antisemitische Sticheleien: „Fink, - das ist doch ein jüdischer Name, nicht? Dein kleiner jüdischer Schädel, was Du dir einbildest“. Und Versuche, Fink zu erniedrigen. Die Polizeibeamten wechseln zum „Du“, geben ihm einen Klaps wie einem Hund, nachdem sie ihn in dem brennenden Hotel angekettet haben.).

 

Die Autoren sind zum Glück weit davon entfernt, den gleichen Respekt, den sie dem Zuschauer zollen, von Anderen zu fordern. Sie wollen niemanden bekehren.

 

Der Film ist kaum zu fassen, wie das Leben und das Universum. Es wäre daher auch ganz verkehrt, in den Film eine (jeweils die unsrige) Ordnung hineinbringen zu wollen. Die Regisseure wollen zeigen, wie chaotisch die Welt und die Menschen sind, und sie stellen sich daher quer.

Ein für Rezensenten („Er ist ein Rezensent, schlagt ihn tot“) ausgesprochen sperriges Stück, wie später in „A serious man“. Das Leben ist eben keine glatte Krankengeschichte.

 

Dr. med. Manfred Krill, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalyse (DPV, IPV,FPI, IPAA)

 

 

 

 

        

 

 

        

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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