Dr.  Manfred  Krill  Verlag FÜR PSYCHOANALYSE

HAINERBERGWEG 53, D-61462 KÖNIGSTEIN IM TAUNUS

Telefon 06174-23660

Inh.: Dr. med. Manfred Krill

 

 

 

Rezension

 

 

Dr. phil. Jörg M. Scharff

 

Die leibliche Dimension in der Psychoanalyse,

 

Brandes & Apsel, 1. Auflage, 2010, 205 Seiten

 

 

 

von Manfred Krill

 

ISBN 978-3-9815177-7-4

Dr. Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse (ISBN 978-3-9815177)

D-61462 Königstein im Taunus

http://www.drkrillverlag.de

 

 

Impressum

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http:/ dnb.ddb.de> abrufbar.

Originalausgabe

Buch, ungebunden

(C) 2014 Dr. Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse, Hainerbergweg 53, D-61462 Königstein

Satz und Druck: Dr. Manfred Krill (Autor), Königstein

Schrift: Arial

Das Urheberrecht: liegt ausschließlich bei Dr. Manfred Krill. Alle Rechte sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert, übersetzt oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Printed in Germany, 1. Auflage

ISBN 978-3-9815177-7- 4                                               

Verlag ISBN 978-3-9815177  Dr.Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse, Königstein

 

  Umschlaggestaltung (Deckblatt): Manfred Krill 2014

 

 

 

 

 

 

Rezension

Dr. phil. Jörg M. Scharff:

 Die leibliche Dimension in der Psychoanalyse

 Brandes & Apsel, 1. Auflage, 2010, 205 Seiten

 

 

 

 

 

Mit Analytiker, Therapeut, Arzt, Patient und Analoga ist nicht das Geschlecht gemeint, sondern die Funktion. Wiederholungen gemäß den Wiederholungen im Text sind beabsichtigt.

 

Wichtige Stichwörter:

Leiblicher Austausch, auch unter Analytikern in der Gruppe, „Zwischenleiblichkeit“, „Leiblichkeit“ auch im Umgang der Analytiker miteinander in Seminaren, Regression vs. Erwachsenenstatus und Progression, Antizipation, Kindheitsthese, Infantilimorphismus (genetic fallacy) mit der üblichen Detailverliebtheit, Abwehranalyse, Intellektualisierungen, Schneiderwitz, scholastische Denkweise, Isolierungen, suggestive Manipulation, verdeckte Fehlschlüsse, der „Dritte“, Durchbezahlen, Auftrag, „Psychose“, Ignoranz, Desinteresse, Neglect, Couch, Imitation, Compliance, Soziologie, Philosophie, „Räume“, Performance, Fairbairn, Melanie Klein, Bion, Werner, Shapiro, Gray, Kernberg, Fonagy, Krill, Bollas, Rhode-Dachser, Stern, Altmeyer, Dornes, Braten, The Boston Change Study Group, Fallbeispiele, Phobie der Analytiker vor der Erwachsenen-Sexualität und - Aggressivität, verkappter Antifeminismus, Dramatisierung, topographisches Modell vs. Strukturmodell, unanalysierter „Beifang“, Achtsamkeit, Behutsamkeit, Bruxismus. Gefühl der Schwere des Erwachsenenkörpers vs. dem „kinderleichten“ (sic!) Körpergefühl.

Der Autor hat die Tür zu einem wenig bearbeitetem Feld weiter geöffnet.

Die theoretischen Ausführungen und Falldarstellungen sind sehr detailliert ausgeführt. Auch die Sprache ist auf hohem Niveau, vermeidet Sensationshaftes, ist angenehm zurückhaltend, was bei der auch lebhaften und leibhaften Beteiligung nicht selbstverständlich ist, und nirgendwo behäbig. Allerdings ist sie nicht frei von Intellektualisierungen und verschraubtem Stil, zu dem freilich der komplizierte Gegenstand verleiten kann, so, wenn es auf S 11 heißt:

„Angesichts der in der Theorie schier unbegrenzten Möglichkeiten, ein jeweils Unbewusstes zu deuten, gibt uns die sorgfältige Wahrnehmung sinnlicher Details eine Feinjustierung an die Hand, die das Fragen des Analytikers im orientierenden Rahmen eines sinnlich konfigurierten Erlebnisraumes ansetzen lässt.“

Der Autor möchte wohl schlicht sagen, dass analytische Deutungen durch das Achten auf körperliche Wahrnehmungen gestützt und ergänzt werden können  besser noch von Anfang an eine Einheit bilden, und dass leibliche Erlebnisse beider Teilnehmer bereits unbewusst im Dialog miteinander stehen, dies schon in der leiblichen Dimension der Sprache („.. das leibliche im Sprechen,...die nonverbalen Dimensionen im Sprechen wie Klang, Rhythmus und Melodik..), dann aber ebenso außersprachlich:„..leibliche Dimension in der Interaktion zwischen Patient und Analytiker analytisch zu erfassen...Interagieren zweier verkörperter Subjekte... unbewusste Verstrickung im Sinne des Handlungsdialogs (Klüwer 1983)... Geschehenslogik.. interaktiv-dialektische Inszenierung, performativer Überschuss (Küchenhoff 2007).. Performanz (Pflichthofer 2008, a, b, Dankwardt 2006) u. a. (S 104- 105))

Der performative Überschuss dürfte auf die Alleinherrschaft der körperlichen Performanz in der Evolution vor Entwicklung der Sprache zurückgehen (Verf. hier). Man konnte sich allein über den Körper ausdrücken (Verf. hier). Die heutige Gebärdensprache bei Gehör (-und Sprachlosen) zeigt, über welche Möglichkeiten nonverbaler Verständigung wir noch heute verfügen (Verf.hier). Die Sprache ist heute immer noch entbehrlich. „Jede intime Erfahrung wie der analytische Prozess ist auch eine physische, die als nah, haltend, containend, abgestimmt, gebunden erlebt wird.“(frei zitiert von S 107).

Vor dem Sprechen steht der Körperkontakt, besonders der visuelle, besonders durch Mimik, Bewegungen des Körpers, Kleidung, aber auch der akustische (wie kommt ein Patient die Treppe herauf? Wie klingelt er? Zaghaft? Drängend? Mehrfach? Kurz, lang?), der olfaktorische, taktile Kontakt, so beim Händegeben.

Nicht erklärt ist hiermit die unbegreifliche Begeisterung, entdeckt zu haben, dass ein Wort selbst die Handlung ausdrückt und somit performativ ist. Ein Beispiel ist die Taufe. Mit dem Spruch „Ich taufe dich hiermit...“ ist tatsächlich die Taufe vollzogen, und aus dem Heiden ist ein Christ geworden (Verf. hier). Na und? Was soll an diesen alltäglichen Vorgang so wichtig sein? Die Begeisterung für Performativität erinnert an die naive Begeisterung, die Reime hervorrufen. Reime wirken ebenfalls sehr suggestiv, nicht nur auf Kinder. Man ist mit Reimung allgemein vom tiefen Wahrheitsgehalt überzeugt, auch wenn es inhaltlich noch so unsinnig oder banal ist („Nimm es wie die Sonnenuhr, zähl die heitren Stunden nur“, „ Punk sei Dank!“, „Kopf kühl, Füße warm, macht den besten Doktor arm“. „An apple a day keeps the doctor away“. „Eben schließt in aller Ruh, Lämpel seine Kirche zu“ „Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch `was lernen muss“). Es ist rational nicht verständlich, warum Soziologen und Analytiker so entzückt sind von Performativität. Der tiefere Grund dürfte darin liegen, dass Ratlosigkeit herrscht und man daher bereit ist, nach jedem Strohhalm zu greifen.

Zudem wird „Performativität“ immer wieder in einen „Zwangs-Zusammenhang“ (Verf. hier) mit Regression, Infantilität und namentlich infantile Sexualität gebracht, ohne dass hierzu ein Grund besteht.

Auch die Liegesituation begünstige, so der Autor, das Auftauchen eines archaischen Körpererlebnisses (Leikert 2008b), nach Fonagy & Target frühe sinnliche Erfahrungen mit dem mütterlichen, unterstützend -haltgebenden back-ground-object.(Grotstein 1980, alle vom Autor zitiert). Weiteres zum Thema Analyse im Liegen auf der Couch s.u.

Der Autor zitiert auch Alfred Lorenzer (1981): „..hat...die Spuren der sinnlichen Interaktion mit den Primärobjekten aufgegriffen // (Verf.) und die Psychoanalyse als eine Hermeneutik des Leibes entfaltet“.

Der Autor bemerkt nicht, dass sich der erste Teil des Satzes auf einen (früheren) Zeitraum bezieht, der zweite Teil auf den Leib, und dass Lorenzer hier keine Disziplin hält. Die beiden Gesichtspunkte werden miteinander vermengt. „Primärobjekte“ und Leib werden in einem Atemzug (ebenfalls eine wohlbekannte, suggestive, Einfluss heischende Leib- Sensation und körperliche Handlung !) genannt und somit als unbedingt zusammengehörig suggeriert, ohne dies deutlich zu sagen. Dies ist ein bekannter Trick, rhetorisch- sophistisch, ein verdeckter Fehlschluss, üblich auch in der Politik, mit dem Ziel, dass der Zuhörer / Leser selbst (!) eine falsche Verknüpfung herstellt und auch aus diesem Grunde nicht bemerken kann, wie er manipuliert worden ist, sondern fest an sie glaubt, - eben weil er selbst darauf gekommen ist.

Dies zeigt, mit welchen Mitteln hier gearbeitet wird, um Meinungen an den Mann zu bringen.

Auch der Autor bemerkt nicht (wie schon Lorenzer nicht) die Willkür, wenn er einseitig die Primärobjekte erwähnt. Es mag sein, dass es in der Kindheit so war, aber ist ein Baum das gleiche wie sein Samen, und laufen in ihm die gleichen Vorgänge ab wie im Sprößling, und wird der Baum bei Krankheit wie sein Samen behandelt („genetic fallacy“, Shapiro 1982, Werner 1940: „constancy fallacy“) ? Was ist mit späteren Objekten wie Freunden, Partnern? Ist man zu bequem, sich mit späteren Entwicklungen zu befassen? Die ständige Verknüpfung mit der frühen Kindheit kommt einer Stimmungsmache nahe.

Auch die zitierte Aussage des Boston Change Study Group (2008 a, S 566, im Buch S 110),.. „dass die körperliche Choreographie sich in die sprachliche Dimension hinein verlängert.. die sprachliche Kinetik hat ihr Fundament in der körperlichen und in der interaktiven Bewegung mit anderen“ und seiner Zusammenfassung als „Embodiment“ ist ja nicht zu bemängeln, - aber woraus soll hervorgehen, dass die Choreographie immer eine infantile bleiben und sein soll?

Darüber fehlt es an Reflektion. Der Gedanke, dass sich auch die infantile Leibbezogenheit zu einer jugendlichen und erwachsenen weiterentwickelt (Verf. hier), ist nicht aufgekommen. Statt dessen soll das Motto gelten: „Einmal Kindheit, immer Kindheit“. Renik, O (1999a mündliche Mitteilung) hat Recht, wenn er hier Sentimentalität und Romantisierung vermutet. Wir alle verklären ja die Kindheit und Jugend, spätestens, wenn wir im Alter dazu Zeit haben, und dazu müssen wir nicht einmal Analytiker sein.

Ein weiteres Motiv ist Bequemlichkeit. Es ist doch so einfach und naiv- eingängig, alles auf die „Wurzel“ zurückzuführen und psychotherapeutische Behandlung als „Wurzelbehandlung“, „Erneuerung von Grund auf“, Krill 2008)) aufzufassen und sich dabei vor allem auch im Einklang mit der psychoanalytischen Gemeinde (Krill 2008) zu wissen.

Das Gleiche gilt für die Formulierungen Anderer, zitiert  auf den Seiten 110-111. („..sensomotorisch- affektive Erfahrungen.. durch unseren Leib bewohnen wir unsere Welt...die Bedeutung einer Situation wird handelnd hergestellt.. ist der Körper der Grund-Referent für die Konstruktionen der Welt in uns  .. “) , Dantlgraber (2008): „Affekthören, Hörassoziationen“. .

Was soll dies alles mit der frühen Kindheit zu tun haben? Nur weil dies schon in der frühesten Kindheit erfahren wurde? Soll es keine derartigen Erfahrungen später mehr geben? Wie steht es mit der Erektion und Ejakulation, nur um ein Beispiel zu nennen, wie mit einem Orgasmus? Alles Kindheit? Was geht in einem Motorradfahrer, in einem Piloten, in einem Arzt oder Anwalt vor? Nur Kindliches? Was geht in einem Patienten vor, der wegen seiner Eheprobleme kommt? Geht es wirklich um die Mutti und seine Gefühle für sie? Soll wirklich auch der Analytiker nur aus seiner Kindheit bestehen? Die Verliebtheit in die – tatsächliche oder auch nur vermeintliche - Kindheit mitsamt der Verliebtheit in Details treibt trotz deren enormen Verdrehungen durch nachträgliche Bearbeitungen, durch Abwehr (Krill 2008, 25 ff), aber auch durch eine Kleinianische Nomenklatur, die genau zu wissen glaubt, was sich in einem Säugling abspielt, seltsame Blüten, und Psychoanalyse ist doch die letzte Rettung vor einfältiger Gleichsetzung.

Wozu hat Freud eine Abwehrlehre, den entscheidenden Schritt vom topographischen Modell weg, entwickelt? Soll es in der Psychoanalyse keine Evolution gegeben haben?

Wenn auch gewiss Abwehr eine vereinfachte Version eines weit komplexeren Vorgangs ist, so bleibt sie in unserem, uns nicht bewussten, mehr oder weniger automatisch arbeitenden inneren Netzwerk, namentlich in der Konfliktpsychologie der Psychoanalyse unentbehrlich.

Soll das „Erschaffen neuer Wirklichkeiten, die erlebt werden müssen“ (Pflichthofer 2008b, 38 zit. vom Autor), die „Hervorbringung...nicht nur das Verlauten zuvor existenter Begebenheiten“ (Autor, S 129) sich nur auf die Kindheit beziehen dürfen?

Hier wird die Einseitigkeit des Autors (und der von ihm Zitierten) deutlich, immer nur an „frühe“ Erlebnisse zu denken, wenn es um körperliche Erfahrungen geht. Sollen Erwachsene oder Jugendliche keine solchen Erfahrungen gemacht haben und nicht noch entwickeln? Wollte man dem Autor folgen, hätten Erwachsene keinen erwachsenen Leib.

Argumentativ kann der Leib nicht dafür herhalten, Mutter-Kind-Erlebnisse als alleinbeherrschend auch im Erwachsenen aufzufassen. Soll die Liegeposition des Patienten nur an Erfahrungen mit der Mutter erinnern dürfen? Soll ein Patient nicht auch zu neuen körperlichen Erfahrungen finden können? Im Gegenteil: Erwachsene fühlen sich körperlich als Erwachsene, nicht als Kinder, nicht einmal als Jugendliche. Sie weigern sich nicht nur, wieder zu Kindern zu werden, nein, sie könnten dies auch gar nicht.

Welches Motiv sollte ein erwachsener Patient haben, sich bei neuen körperlichen Erlebnissen wie die, auf einer Analyse- Couch zu liegen und hinter sich einen Analytiker atmen und rascheln zu hören, vorwiegend oder gar ausschließlich mit kindlichen oder gar frühkindlichen Erlebnissen zu verknüpfen? Keines. Nur der Analytiker mit seiner Annahme, dass sich alles aus der Kindheit herleite, hat ein solches Motiv.- Unzählige Male hat sich jeder Patient allein oder mit Anderen abends ins Bett gelegt, - warum soll er sich da jedes Mal an seine Position im Kinderbettchen mit der Mutter nebendran, oder als an ihrer Brust liegend, erinnert und sich so wieder gefühlt haben? Dazu hatte er keinen Anlass. Er ist ja erwachsen und hat jetzt andere Interessen. Und seine Mutter ist schon längst nicht mehr dabei, stattdessen vielleicht eine Partnerin oder niemand oder der Wunsch nach einer Partnerin, nach eigenen Kindern. Will der Erwachsene wirklich noch eine mütterliche Figur dabei haben, auch nur in Gedanken? Er hat längst eine Autonomie auch im Schlafverhalten und in seiner Phantasiewelt, auch in der Art seiner Konflikte, erreicht.

M.a.W.: An der Leiblichkeit des Zu-Bett-gehens ist nicht zu zweifeln, auch nicht an der Reziprozität der leiblichen – seelischen Empfindungen (schon bei Griechen und Römern ist der Genitivus subiectivus und der Genitivus obiectivus gleichlautend (desiderium patris: Sehnsucht des Vaters, Sehnsucht nach dem Vater, was darauf hinweist, dass die Gefühle immer wechselseitig  hin und her laufen und dies in der Antike so selbstverständlich war wie die Alltagssprache selbst), wohl aber daran, dass diese Leiblichkeit unbedingt „ein mütterliches, unterstützend-haltgebendes back-ground-object“ (S 107) einschließen muss. Auch Erwachsene gehen ins Bett, manchmal auch zu zweit oder zu dritt, - eine Vorstellung, die manchen abhanden gekommen zu sein scheint, sie setzen sich sogar in Flugzeuge, trinken und essen schlimme Sachen, gebrauchen schlechte und gute Worte, fahren Auto (immer mit Mutti?), studieren, arbeiten, diskutieren, schwitzen, frieren, werden müde, werden wach, verspüren Hunger und Sattheit und Kopfschmerzen, reiben sich die Augen, husten, schlucken, rauchen, vermeiden das Rauchen, lutschen statt dessen ein Bonbon, haben Suhlgang, lassen Wasser, halten beides auch zurück, spucken, erbrechen, niesen. Frauen haben die Periode, werden schwanger, haben Heißhunger und Erbrechen, Andere verspüren Juckreiz, kratzen sich.

Alles frühkindliche Leiblichkeit? Nur, weil sie solches auch schon als Säuglinge erlebten?

Durch sein einseitiges Haften an „Regression“ hat sich der Autor selbst unnötig in seinen Denkmöglichkeiten eingeschränkt.

Dasselbe gilt sinngemäß auch für andere körperliche Äußerungen beider erwachsenen Teilnehmer. Warum sollen diese kindlichen und frühkindlichen Ursprungs sein? Händegeben? Räuspern? Atmen? Sprechen? Augenbrauenhochziehen? Augenschließen? Rascheln? Blicken? Hören? Riechen? Schnüffeln? Haben Erwachsene kein Recht auf Erwachsensein, namentlich nicht beim Händegeben, Händeschütteln, Autofahren? Der Erwachsene ist und bleibt ein Kleinkind, so soll es sein. Der Erwachsene wird in eine (seine?) Kindheit geschubst. Die falschen Vorgaben (auch die Ausbildung, das Gutachterverfahren und das Kongresswesen) erzwingen dies, geben zumindest diese Richtung vor. Dem einzelnen Analytiker bleibt es unbenommen, davon wegzukommen, aber er wird erhebliche innere und äußere Mühe damit haben.

Die VT behandelt einen Erwachsenen nicht als Kind. Hat sie auch deshalb so gute Erfolge? Wenn wir Erwachsene als Erwachsene behandeln, können wir uns durchaus sehen lassen.

Als Fall-Beispiel verwendet der Autor ein Zitat von Fonagy und Target (2007a, 431): Der Patient erinnert sich an sein Weggehen nach der ersten Stunde seiner vorherigen Analyse. Dabei war es ihm vorgekommen, „als ob er mit seinen Zehen die Oberfläche eines jeden Steins abtasten und von diesem wie erwartet würde.

M. E. hat sich der Patient in der ersten Stunde noch nicht sicher gefühlt und suchte nun woanders Sicherheit in Form von körperlichen Empfindungen, und gleichzeitig trampelte aus Wut er auf dem steinharten Analytiker herum,  - verschoben auf die Steine, - keine Spur von Regression, sondern (aggressives) Erwachsenenverhalten.

In der nächsten Analysestunde sagte der Patient, er habe sich dabei „wie ein Baby gefühlt, das vom Storch im Windeltuch getragen“ würde. Der Analytiker wies dies, und in eine tangentiale Antwort ausweichend (Abwehr durch Verschiebung des Themas Aggression gegen den Analytiker) - zurück mit den Worten, er könne den Patienten aber nicht tragen.

Nach Ansicht des Autors hat er den Patienten nicht verstanden und keine Resonanz gezeigt.

Nicht gedacht wird an die Möglichkeit, dass der Analytiker hier - richtig - eine Verunsicherung des Patienten nach der ersten Stunde gefühlt und angenommen hat, aber in der „Deutung“ durch den Patienten eine bloße compliance des Patienten gefühlt und erkannt hat. mit dessen Wunsch, sich zu unterwerfen und das zu sagen, was der Analytiker vermutlich gern hören würde (s. Sampson & Weiss, Weiss, Mount-Zion-Gruppe 1977-82).

Ist ja zu schön, der Storch... Das erinnert mich an einen erwachsenen Patienten, der immer „Lokolade“ statt Schokolade sagte. Dies ist ein Beispiel, wie grob ein Analytiker einen Patienten missverstehen kann, wenn er nicht bemerkt, wie theoriegeleitet („Regression“, „frühe Kindheit“, Infantilisierung der Patienten) er ist.

Der Behandler hatte nicht dieses Brett vor dem Kopf, ihm wird dies aber angekreidet, - als fehlende Resonanz, was soviel heißen soll wie fehlende Empathie. Hier wird ein weiterer Brauch unter Analytikern sichtbar: Wenn ein anderer Analytiker die Stunde anders versteht, werden ihm rundheraus der Sachverstand und die Einfühlung abgesprochen, die der Beurteiler für sich gepachtet haben will. Analyse ist nur das, was der Beurteiler selbst macht.

In einem anderen Fallbeispiel für die o.a. Phobie vieler Analytiker vor der Erwachsenensexualität (wie auf S 12, jetzt S140 ff, zit von Stoller 1986) „bietet eine Patientin den Ansatz ihrer Brüste dar, in einem flott geschnittenen Oberteil“. Der Autor (Stoller) berichtet, er habe dabei „eine noch nie erlebte Angst“ entwickelt, beteuert, diese Geste der Patientin habe keine „Borderline- Qualität“ gehabt, er habe eine „Art Todesgefahr für sich und die Patientin“ empfunden, es habe „das vage Gefühl der Gegenwart eines Dritten gegeben, der feindselig triumphiert hätte, wenn alles zusammengestürzt wäre... Dass ich mich vom Gestus der Patientin nicht einfach durch den rettenden Sprung in eine begriffliche Festschreibung (aha, da ist sie wieder, die Intellektualisierung, die Berufskrankheit vieler Analytiker, sowie das Retten, Anm. d. Verf.).zu distanzieren versuchte..., sondern mich auf die Intensität meiner körperlichen Gegenübertragungen einließ“. Oh my god, was hat der Analytiker (Stoller) hier für ein Glück gehabt, dass er mit dem Leben davongekommen ist, mit einem rettenden Sprung. Was ist doch eine attraktive Frau für ein teuflisches Ding, sie bringt jeden in Todesgefahr. Ein Schelm, wer hier an Misogynie, etwa an Otto Weininger, denkt. Und nicht auszudenken, wenn ein Dritter zugeschaut hätte. Und wie würde es ihm erst ergehen, wenn er mehr zu sehen bekommen hätte. Und beinahe wäre es ein „Borderline“ gewesen, - der Versuchung, Sexualität in das Reich schwerer Krankheiten outzusourcen, hat Stoller noch gerade widerstanden. Früher musste der Teufel dafür herhalten. Hier wird deutlich, wer der Gesündere von beiden ist. Das Bedenklichste an solchen Fallauffassungen ist aber, dass niemand Einspruch einlegt, sondern es bei frommen Zitaten bleibt.

Von Abwehr der sexuellen Gegenübertragung, hier in Form von Intellektualisierung und Isolierung (von sexueller Erregung), Wendung gegen die eigene Person (Angst zur Selbstbestrafung für die schönen sexuellen Phantasien), Vermeidung (das Thema zur Sprache zu bringen) und Verleugnung (des provozierenden Sich-zur-Schaustellens der Patientin) keine Rede ! Die Abwehr hat Stoller hier einfach weggelassen, bis zu einem grotesken Neglect.

Hoch ist der Autor Stoller immerhin dafür zu preisen, dass er das Zeigen der Brüsteansätze und die dadurch hervorgerufene Gegenübertragung nicht der Kindheit zuweist.

Auch in der Couch nur den „durch die primären Objekte gegebenen Halt“ zu sehen (S 145) greift zu kurz. Weibliche Patienten haben bei einem männlichen Analytiker erhebliche Abneigung, sich auf die Couch zu legen, - aber dies aus den bekannten anderen Gründen (sexuelle Konnotation, sie fühlen sich sexuell ungefragt ausgeliefert). Auch männliche Patienten legen sich nicht gern hin, es sei denn, sie haben in der Literatur davon gelesen, dies sei für die Heilung unerlässlich, - weil auch sie sich in der Rückenlage – ganz selbstverständlich – ebenfalls hilflos fühlen müssen.

Die Couch ist das Gegenteil von mütterlichem Halt, wenigstens im Anfang. Es darf auch daran erinnert werden, dass das Kind seine ideale Lage auf dem Arm an der Brust der Mutter findet. Flachliegen bedeutet Trennung von der Mutter.

Wie kommt es, dass dies übersehen wurde? Ideologische Blindheit, bloße Nachahmung ohne eigene Überprüfung. ohne eigene Beurteilung.

Die Abwehr wird auch in anderen Falldarstellungen unterschätzt bzw. ganz außer Acht gelassen, so im Fallbeispiel Anzieus (S 151), in dem ein Patient sich ausbittet, im Raum herumgehen und die Gegenstände berühren zu dürfen, „ob sie wirklich vorhanden sind“. Dies wird missverstanden als „Bedürfnis,....die Präsenz sinnlicher Eigenschaften...in sich zu bestärken“. Auch hier wird der Patient infantilisiert, - als ob er tatsächlich darin unsicher sei wie ein Kleinkind. Hier handelt es sich um eine der vielen notorischen, leichtfertigen Verwechslungen von Klagen des Patienten mit psychopathologischen und analytischen Befunden, zugunsten einer Pathologisierung und Infantilisierung, also um billigste Küchenpsychologie, - als ob nie eine Psychoanalyse entwickelt worden wäre.

Der Sog im Analytiker, seiner Fixierung auf die Kindheit nachzugeben, ist so groß, dass auch Übertragungsaspekte, z. B der Wunsch nach vermehrter Zuwendung, und Gegenübertragungsaspekte und eigene Übertragungen auf den Patienten, z.B. die unprofessionelle Neigung, die angebotene Mutterrolle zu übernehmen, ganz aus dem Blick geraten sind und der Analytiker die Begründungen des Patienten wörtlich nimmt, als seien sie nicht symbolisch zu verstehen. Hier muss er sich erneut die Frage gefallen lassen, ob ein Patient, der von sich behauptet, er habe keinen sicheren Realitätssinn und müsse sich deshalb konkret versichern, wirklich realitätswahrnehmungsgestört sein soll, oder ob er, der Analytiker, sich hier nicht naiv verhält. Fühlt er sich nicht manipuliert? Fragt er sich nicht, was in der Patientin psychodynamisch vorgeht? Hat sie den Wunsch, besonders beachtet zu werden und den Analytiker auf eine Zuschauerrolle zu reduzieren? In sein Privatleben einzudringen? Ihn lächerlich zu machen? Hat sich der Analytiker gefragt, warum er ihr dies erlaubt?

Nicht einmal ein manifest Schizophrener könnte eine derartige Störung des Realitätssinns aufweisen.

Nicht einmal, wenn ein Schizophrener Stimmen aus seinem Bein oder aus einem Nebenzimmer hört, sieht er nach, ob dort jemand ist. Er weiß, dass dort niemand ist.

Hier fehlt es elementar an Vergleich mit anderen Patienten.

Ebenfalls ist es hier nicht erforderlich, einen „Rückgriff auf einen der frühesten Kommunikationsmodi In Form einer Berührung der Haut zwischen Mutter und Kind“ anzunehmen. Wieso Rückgriff? Zweifellos war die erste Beziehung so. Aber sie hat sich weiterentwickelt und somit verfestigt und wurde fortlaufend gebraucht. Würde man bei einem Sehvorgang ebenfalls davon sprechen, hier sei ein Rückgriff auf die ersten Tage des Sehens notwendig? Würde man von einem Rückgriff auf das Trinken an der Mutterbrust sprechen wollen, wenn ein Erwachsener etwas trinkt? Auf die frühe anale Phase, wenn ein Erwachsener Stuhlgang hat? Soll eine schizophrene Psychose oder eine hirnorganische Psychose mit Desorientierung und Verlangsamung ein „Rückgriff“ auf einen frühen Entwicklungsstand sein? Warum soll die Kommunikation...mit Hilfe von Gesten, später mit Worten eine... „Reaktualisierung und Wiederbelebung dieser primären echotaktilen Kommunikationsgrundlage“ sein (S 157)?

Es handelt sich hier um einen notorischen gedanklichen Kurzschluss aus Voreingenommenheit. Nur weil etwas schon früh da war, braucht keineswegs darauf zurückgegriffen zu werden. es handelt sich um eine Körperfunktion, die dem Erwachsenen zur Verfügung steht. Ein „Rückgriff“ soll es nur deshalb sein, weil lt. Lehrbuch unbedingt alles auf die Kindheit zurückzuführen sei.

Auch bereits aus evolutionären Gründen sind die behaupteten Rückgriffe nicht möglich, denn dies wäre viel zu umständlich für eine Entscheidung. Ein Lebewesen, das sich in lauter Rückgriffen ergeht, wäre nicht überlebensfähig, noch fortpflanzungsfähig.

Die Suche nach kindlichen Vorläufern trägt religiöse Züge, - als ob darin die Patienten fixiert seien und alles Heil versammelt sei.

Die Formulierung auf S. 43: .. „Interpenetration der Psychismen von Analytiker und Patienten..“ lässt keinen informativen Vorteil gegenüber der einfachen Aussage erkennen, dass Analytiker und Patient als Personen psychischen Einfluss aufeinander haben und dies auch reflexiv wissen und fühlen.

Die „Möglichkeiten, ein jeweils „Unbewusstes zu deuten“, sind keineswegs „unbegrenzt“ (S 11). Für jeden Therapeuten sind diese vielmehr sehr begrenzt, wenn er nicht in Anderes ausweicht, sondern bei seinen klinischen Aufgaben bleibt. „Unbegrenztheit“ wäre eine unnötige Erschwerung der Aufgabe (Entscheidungstheorie!) und ein unbegründeter, vollmundiger Anspruch. Alles, was wir tun, ist höchst begrenzt, und Bescheidenheit ist das, was uns gut steht.

Der Autor macht darauf aufmerksam, wie „Patient und Analytiker immer wieder versuchen, die Aufmerksamkeit davon abzuwenden, wie sehr ihnen die Dinge auf den Leib gehen (S 11), - eine sehr treffende Formulierung. Damit ist Abwehr durch Negation, Verschiebung, Vermeidung und Intellektualisierung gemeint, ohne dass der Autor allerdings dies so nennt, offenbar weil er ohnehin den Begriffen eines Abwehrmechanismus oder der Abwehr überhaupt abgeneigt ist (s.u.), zugunsten von Formulierungen wie „Unterbringung in „konventionelle Denkformen und Theoretisieren“, ins „Denken über“ (S10).

Dass dazu „Mut und Unerschrockenheit“ (wo ist das Risiko?) gehören würden (S 11), ist aber übertrieben- dramatisierend und selbstidealisierend (der Analytiker als Held? Verf.: „Die Patienten sind schwerkrank, leiden an Psychosenähe oder Borderline, sie wissen es nur nicht, wir aber bringen ihnen das Wissen bei und wir sind die großen Retter“ „Wir sind Heroen und bringen das Heil“. „Die Sprache der Patienten ist zerstört, aber wir lassen sie wiederauferstehen, wir rekonstruieren sie “, und andere unverkennbar quasi-religiöse Ansprüche und Versprechungen.).

Solches (der Analytiker als Held und Helfer) könnte man von der übrigen Alltagsarbeit des Analytikers am Patienten auch sagen, wenn man denn dies wünschte.

Vernünftigerweise lässt man das. Wir machen schlicht unsere Arbeit, zur Selbsterhöhung haben wir keinen Anlass, und die Patienten sind keinesfalls zu diesem Zweck gekommen, auch nicht, um einen mutigen und unerschrockenen Analytiker zu erleben.

Sie wünschen lediglich, Erleichterung von ihren Beschwerden zu erreichen. Sie werden durch solche Ansprüche abgestoßen, und auch unser Ansehen kann dadurch gewiss nicht steigen. Wir müssen uns nicht selbst herabsetzen, auch nicht indirekt.

Der Autor bemerkt, dass die eigene allgemeine Beteiligung des Analytikers gern anerkannt und sogar nur zu gern betont wird (auch in übertriebener Weise, in Form einer bisweilen alleinseeligmachenden Beachtung der Gegenübertragung und / oder dessen, was oft leichtfertig dafür gehalten wird), dass man diese hingegen auf leiblichem Gebiet nicht wahrhaben will, sondern sogleich all dieses Leibliche wieder „in den sicheren  Hafen konventioneller Denkformen und theoretischer Verfügung unterbringen möchte“.

Der Autor führt als Grund dafür an, dass es hier „um intime Resonanzen und idiomatische Einwirkungen“ gehe (S 11, - meint der Autor damit „eigentümliche“? Dann wären „eigentümliche“ eindeutiger.).

Der tatsächliche Grund muss aber ein anderer sein, denn solches ließe ich von allen analytischen Vorgängen sagen. Hier, wie wiederholt im Buch, wird die Unspezifität der gegebenen Begründungen übersehen. Denn alles in der Analyse ist intim und eigentümlich.

Die gesamte analytische Situation ist nämlich einmalig, und gerade dies wird ja auch von der Psychoanalyse beansprucht und dient überdies auch für – wenn auch stille- Heilungsversprechen gegenüber dem Patienten und den Versicherungen.

Schon die Behandlung im Liegen für eine „Lege-Artis“-Analyse und die angesetzte, aber oft auch übertroffene Dauer der Behandlung beinhalten einen außergewöhnlichen Anspruch nach dem Motto: „Außergewöhnliche Heilung erfordert außergewöhnliche Mittel“ und „Außergewöhnlich Mittel versprechen außergewöhnliche Heilung“

Langdauernde, hochfrequente Analysen kommen dadurch leicht unter Druck.

Nun kann man sich nicht zur Rechtfertigung einzelne Gesichtspunkte herauspicken mit der Begründung, sie seien eigentümlich.

Andererseits ist dem Autor zugute zu halten, dass er natürlich versuchen musste, etwas Besonderes auf diesem Gebiet aufzuzeigen und so allgemeine Ausführungen hinter sich zu lassen, von denen es genug gibt, und er dies auch nachhaltig versucht hat.

Dass dies nicht immer erreicht werden konnte, hat viel mit der schwierigen Materie zu tun.

Meine Vermutung ist, dass der Autor meint, ohne dies klar zu sagen, dass im  Analytiker körperliche Vorgänge besonders schambesetzt sind, daher mehr abgewehrt werden als manches Andere und daher ungern Anderen, so Kollegen und Kolleginnen, mitgeteilt werden. Dies ist wohl richtig.

Nie kann man z.B. lesen, dass der Analytiker während der Stunde eine Erektion hatte, gewiss selten auch, dass er Herzklopfen bekam, Kopfschmerzen einsetzten, Magenknurren hörbar wurde, oder er einen plötzlichen Stuhldrang entwickelte.

Dies kann kein Zufall sein, sondern weist auf kraftvolle Abwehr hin. Hingegen ist gesellschaftsfähig geworden, dass ein Analytiker in allgemeiner Form immerhin über sein sexuelles Begehren in einer Stunde berichtet.

Andererseits darf auch von psychiatrischer Seite (Verf.) ergänzt und eingewandt werden, dass körperliche Vorgänge und deren Darstellung nicht nur abgewehrt werden, sondern im Gegenteil weit öfter als beeindruckender und realer als Anderes erlebt und auch mitgeteilt werden, auch weit mehr als zur eigenen Person gehörig gesehen werden als Anderes.

Aber der Autor wollte die Abwehr leiblicher Erlebnisse wohl auf die analytische Situation beschränkt wissen, denn er beklagt nur die Abwehr dort, nicht im allgemeinen Leben.

Es wäre interessant, zu verstehen, warum ausgerechnet Psychoanalyse die Abwehr leiblicher Erlebnisse –jedenfalls nach den Beobachtungen des Autors, und übrigens auch nach meinen, - derart verstärkt. Man sollte doch erwarten, dass Analyse Abwehr auflöst und somit leibliche Erlebnisse der Bewusstwerdung besser zuführt.

Versuchsweise Erklärungen durch den Rezensenten: In der Analyse fühlt sich der Patient stärker beobachtet als sonst im Leben, - sogar auf kleinste Regungen und Äußerungen wie sonst niemals, auch nicht von Seiten seines Lebenspartners oder seiner Kinder oder Eltern oder Nachbarn. Daher verstärkt er seine Abwehr wie jeder, der sich bedroht / beobachtet fühlt, - aus Angst, bei etwas ertappt zu werden, so einem aggressiven Gedanken / Wunsch gegen den Analytiker, aus Schuld- und Schamgefühlen wegen solcher „unerlaubter“ Wünsche, wegen Ängsten, dass der Analytiker sich dafür rächen könnte (Vergeltungsangst) oder auch ohne solche Motive zu weit in seine intimen Bereiche vordringen und so seine Autonomie bedrängen könnte.

Es geht um eine keineswegs nur präödipale, sondern auch ödipale Autonomie (oder meint jemand, „Autonomie“ sei ausschließlich ein präödipales oder - allgemeiner - infantiles Ziel? Vermutlich ja: Regressionisten und Anhänger der „infantilen polymorph-perversen Szenarien“, so u. a. S 35.), und es geht um eine reife Angst entgegen routinehaftem Denken, dass es bei Autonomie immer um die frühe Mutterbeziehung gehen müsste, als ob also später keine entsprechenden Wünsche, Ängste. Schuld- und Schamgefühle das Innenleben beherrschen würden

Die Abwehr (gegen seine leiblichen Empfindungen und gegen die des Analytikers) der Patienten (und des Analytikers) in der Analyse besteht in Negation (Verneinung) der leiblichen Empfindungen, Vermeidung, über diese zu sprechen, Identifikation mit dem Aggressor Analytiker (der sich hütet, von seinen leiblichen Empfindungen zu sprechen, - also macht es der Patient genauso), auch Reaktionsbildung (der Patient möchte nur zu gern, geradezu exhibitionistisch, von seinen leiblichen Erlebnissen Mitteilung machen, verkneift sich diese Lust aber aus innerem Verbot).

In common sense gesagt: Der Patient befindet sich in einer Ausnahmesituation, einer Notsituation, wie sie selten ist, mit Hoffnungen, aber auch den o.a. unangenehmen Affekten, und neigt daher instinktiv- automatisch dazu, wie ein Igel alle Stacheln aufzurichten, d.h. alle seine Abwehr zu verstärken.

Umso mehr sollte der Analytiker die Abwehr im Patienten bearbeiten, wie auch in sich selbst. Womit wieder das Thema Abwehranalyse erreicht ist.

Um auf die leiblichen Empfindungen zurückzukommen:

Diese spielen namentlich auch, aber keineswegs nur, bei den coenästhetischen Formen der Schizophrenie und ihrer Vorläufer- und Vorpostensyndrome die größte, namensgebende Rolle. In deren späteren Erscheinungsformen werden sie gern nach außen projiziert und treten dann als taktile, sensorische, akustische, olfaktorische oder gustatorische Halluzinationen auf, selten auch als optische, und können mit schizophrenen Wahnwahrnehmungen einhergehen, die dann Ausgangspunkt sein können für schizophrenen (verfestigten) Wahn.

Hier drängen sich dem Patienten Körperempfindungen auf, weil sie nicht mehr abgewehrt werden können (mangelnde Filterfunktion der Schizophrenen), und der Schizophrene kann sich später von so manchem dauerhaft distanzieren, nur nicht von seinen körperlich erlebten Halluzinationen.

Daher ist es umso bemerkenswerter, dass es in Analysen von Neurosen anders oder nicht in diesem Maße der Fall ist (nur erklärbar durch die Fähigkeit von neurotischen Patienten, ihre Abwehr bei Bedrohung rasch verstärken zu können), außer bei ausgeprägten Angstneurosen.

Bei Angst-Neurosen (i. Ggs. etwa zu Zwangsneurose) verbleiben die körperlichen Erlebnisse im Vordergrund, und von ihnen kann sich ein Angstpatient keinesfalls noch distanzieren, vielmehr kommt er immer wieder auf diese zurück, so, um seine Angst vor weiteren Angstanfällen zu begründen, aber nicht nur zu diesem Zweck, sondern weil diese körperlichen Erlebnisse haften.

Namentlich Herzklopfen und Schweißausbruch, in der analytischen Literatur nicht genügend beschrieben und nicht ernstgenommen, werden von den Angstpatienten mehr betont als die Todesangst, sie werden immer wieder als erlebt beteuert und in allen Einzelheiten, nicht selten mit Uhrzeit des ersten (!) Auftretens, geschildert, und diese Patienten berufen sich ständig auf diese, besonders auf deren erstes Auftreten wie auf ein Schlüsselerlebnis, um sich Gehör zu verschaffen.

Auch der Schizophrene kann sich im Gegensatz zu anderen Erlebnissen von erlebten Körperhalluzinationen oder auch nur nicht- halluzinatorischen Wahrnehmungen nicht mehr lösen.

Korrektur, Distanzierung von den sinnlichen Erlebnissen ist bei diesen Erkrankungen nicht möglich, offenbar, weil diese Erlebnisse als körperlich erlebt wurden.

Man kann spekulieren, ob der Autor diese wichtigen psychiatrischen Beobachtungen für seine Gedankengänge hätte verwerten wollen und können, wären sie ihm bekannt gewesen.

Aber nicht nur Distanzierung, sondern auch Lenkung der erlebten leiblichen Erfahrungen ist nicht möglich, weder dem Patienten noch dem Analytiker, jedenfalls nicht mit analytischen Verfahren.

 

Wenn in einer Analyse bei neurotischen Patienten und im Analytiker die Leibsensationen nicht abgewehrt werden, sondern durchkommen, bedeutet dies, dass der Patient schon einiges an Abwehr aufgeben konnte ((so nach Sampson & Weiss (1977-82), Mount-Zion-Gruppe (1986), dann, wenn der Patient – auch ohne Abwehrdeutungen - genügend Vertrauen gefasst hat, sich also beim Analytiker genügend sicher fühlt, oder wenn – gemäß der Abwehranalyse - die Abwehr konsequent gedeutet und so aufgelöst wurde)) .

Dieses Durchkommen zeigt, dass die Analyse erfolgreich verläuft. Vielleicht lässt sich dies in Zukunft als ein Meßinstument für den Erfolg einer Analyse während des Verlaufs verwenden. Dies käme einer Revolution in der Therapieforschung und im Erfolgsnachweis gleich.

Faustregel wäre dann: Je mehr Leibliches in der Analyse erscheint, desto besser die Prognose der Analyse.

Sollte sich dies bestätigen, hat sich der Autor mit diesem seinem Werk außerordentliche Verdienste erworben, die sich noch gar nicht absehen lassen.

Dies stützt die Forderung des Autors, künftig mehr auf Leibliches zu achten.

Auch umgekehrt wäre es eine Aufgabe für die Zukunft, zu erkennen, in welchen Situationen in einer Analyse genau sich Abwehr so versteift, dass offensichtliche (hier im übertragenen Sinn gebraucht, vor allem offen sichtbare, hörbare, vielleicht auch riechbare) Leiberlebnisse auf beiden Seiten total oder fast völlig abgewehrt werden und in welchen sie auf Seiten des Patienten (und des Analytikers) überhaupt nicht oder wenig abgewehrt werden wie in der Angstneurose und bei den erwähnten Schizophrenieformen.

Da muss es einen Zusammenhang geben. Für die Angstneurose lässt sich bereits sagen, dass diese ihre körperlichen Erlebnisse dann vorbringen, wenn sie die Aufmerksamkeit des Analytikers erreichen und behalten wollen.

Der Autor macht in diesem umfangreichen Werk kein Hehl aus seiner Überzeugung, dass das – frühe - topographische Modell Freuds im Zusammenwirken mit der Objektpsychologie Kleinianischer Prägung anzuwenden sei, nach welchem es darauf ankomme, das Unbewusste bewusst zu machen. Damit muss eine Vernachlässigung der Abwehranalyse einhergehen.

Auch wendet der Autor nachhaltig das Regressionskonzept an. Gegen dieses sind immerhin gewichtige Einwände erhoben worden, so von dem US-amerikanischen Analytiker Renik, der einige Tage in Frankfurt – offenbar vergeblich - zu Gast war, - aber auch wenn er nicht zu Gast gewesen wäre, bestünden diese Einwände. Man kann aber dem Autor zugutehalten, dass z. Z. allgemein das Regressionskonzept mit missionarischem Eifer verteidigt wird.

Das Regressionskonzept verleitet bereits zur mangelnden Begründung von Diagnosen. So wird häufig die Diagnose einer „Borderlinestörung“ oder eines frühen Traumas gestellt, ohne dass mitgeteilt wird, auf was sich diese Diagnosen stützen. Oft lauten die „Begründungen“ nur, der Patient „bewege sich an einer Grenze“ oder sei ein „Grenzgänger“, und der Analytiker müsse „höllisch aufpassen, dass er nicht in eine „Psychose“(in welche bitte sehr?) „abgleite“. Solchen Annahmen liegt blanke psychiatrische Ignoranz zugrunde, und außerdem die übliche Eitelkeit, hiermit einen angeblich schwer kranken Patienten zu behandeln und ihn „aus der Psychose zu retten“. Es gibt kein Abgleiten von einer Neurose u d auch nicht von einer Borderline-Erkrankung in eine Psychose (Krill 2008), und auch Analyse kann keine schizophrene oder andere Psychose erzeugen.

Nicht einmal wird mitgeteilt, nach welcher Nomenklatur hier eingeteilt wurde (Kernberg? Rhode- Dachser? ICD-10? OPD? Andere?).

Die routinemäßige Annahme von Regression muss nicht nur wegen der Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen, sondern auch wegen der daraus folgenden Fehlbehandlung katastrophale Auswirkungen haben.

So im Fall von Bollas (2000) auf S 168. In der Annahme, es handle sich bei der Patientin um eine „Borderline- Regression“ in „tiefer Verzweiflung“, glaubte der Analytiker, ihr Küsse auf die Stirn geben zu sollen und sie mit einem Arm umfassen zu müssen. Die vermeintliche Hilflosigkeit der Patientin hinderte sie aber nicht daran, den Analytiker vor Gericht zu bringen. Wo war die „Regression“ geblieben?

Zu welchen diagnostischen Irrtümern und Fehlbehandlungen das Regressionskonzept führen kann, zeigt ebenso das Fall-Beispiel (Gabbard 2005) einer Analytikerin, die sich, um es kurz zu fassen, immer mehr von einer Patientin („missbrauchte Patientin“), ausbeuten ließ, weil die Diagnose intensive („omnipotente“ nach kleinianischer Nomenklatur, aber Allmachtswünsche sind nicht erforderlich, um die Seelenlage in der Analytikerin zu kennzeichnen, es reichen auch „Machtwünsche, Größenwünsche“) Rettungswünsche in ihr bewirkt hatten. Der Autor hier rät – intellektualisierend und isolierend - von der hier vorliegenden „Konzentration auf ein ausgewähltes entwicklungspsychologisches Konzept“ ab, übersieht aber, dass er damit die Sache verharmlost und den inneren Konflikt der Analytikerin nicht beachtet. Die Analytikerin hat hier eine „Neubeelterung“ (S 169) betrieben und sich als „bessere Mutter“ präsentiert. und auf Belohnung spekuliert, die nicht eintrat. Sie hat die Patientin zu klein gemacht, um ihre Wünsche nach Rettung ausleben zu können. Gleichzeitig hat sie dafür gebüßt (Selbstbestrafung) in Form der Überforderung, aus Schuld- und Schamgefühl für diese verbotenen Wünsche  Sie hat durch ihre Voreingenommenheit eine chaotische Situation erzeugt, die erst mit dem Gerichtsverfahren wieder übersichtlich wurde.

Verdienstvoll sind die Ausführungen des Autors über die Auswirkungen körperlicher Annäherungen des Therapeuten: Schon Küchenhoff (1990, 27) hatte darauf hingewiesen, dass sich ein Patient unfähig oder gar schuldig fühlt, wenn er solche Angebote des Behandlers nicht annehmen kann  (Verf. möchte hinzufügen: Auch nicht beantworten kann, etwa dafür Dankbarkeit empfinden oder erweisen kann) , ob ferner sich ein Patient nicht dadurch abgespeist fühlen muss, und dass es naiv ist („voranalytische Naivität“) , dem Patienten einfach „etwas Gutes“ zu geben,  wo es doch darauf ankomme, dass altes Scheitern, altes Trauma zunächst einen Platz in der Analyse einnehmen müsse, dass ferner der Patient auch die Versagung (Winnicott 1983) durch den Analytiker benötige, dass auch umgekehrt das Nichtgewähren suchtartige Abhängigkeit vom Analytiker bewirken könne (sehr wichtige Beobachtung! S 170).

Auch die stereotype Herleitung aus der Kindheit wird vom Autor nachdrücklich betont. Von dieser Macht der Gewohnheit (die er mit den meisten Analytikern und Ausbildungsinstituten in allgemeiner compliance teilt) kommt er wiederholt nicht los:

So heißt es auf S 14: „Der gestisch-leibliche Modus ist zugleich das Medium, in dem sich bevorzugt all das aktualisiert, was (noch) nicht sprachfähig bzw. konflikthaft ist und aus der bewussten Kommunikation ausgeschlossen ist“... „können wir im kommunikativen Prozess zwischen Patient und Analytiker die Spuren der echotaktilen Beziehung zur Mutter, oder frühen vorsprachlichen sensomotorischen Interaktionen mit dem Primärobjekt ausmachen“.

     Glaubt der Autor wirklich, dass der gestisch-leibliche Modus sich auf das Nicht-Sprachfähige oder Noch- Nicht-Sprachfähige beschränkt?

Und dass es etwa nur echotaktile Vorgänge und Entwicklungen in der Kindheit und nur mit der Mutter gibt? Bleibt der Mensch in seiner Entwicklung ab Kindheit stehen? Hat er gefälligst gemäß dem Schneiderwitz stehen zu bleiben, weil die Theorie es so möchte? Alle Räder stehen still, wenn die Theorie es will?

Ist vielmehr der Erwachsene nicht ständig vom Nicht- Sprachfähigen oder zwar Sprachfähigen, aber nicht Ausgesprochenen begleitet?

Wie soll ein Erwachsener beschaffen sein, der etwa nicht aus Gründen des Erwachsenenlebens ständig in einen gestisch-leiblichen Modus verfällt? Der keine echotaktilen Reaktionen zeigt?

Es trifft auch nicht zu, dass das Nicht-Sprachfähige von der Kommunikation ausgeschlossen wäre, im Gegenteil steht das Nicht-Sprachfähige in seiner Bedeutung und Schnelligkeit weit vor allen verbalen Kontaktaufnahmen.

Wir alle gestikulieren und betätigen unsere Mimik ununterbrochen, ohne dass wir immer sagen könnten oder möchten, ob und was wir damit ausdrücken wollen.

Soll es etwa keine späteren sensomotorischen Interaktionen mehr geben als nur in der sprachlosen oder spracharmen Kindheit und nur mit der Mutter?

Man könnte hier von einem falschen Alleinvertretungsanspruch der Kindheit sprechen, wäre die Kindheit hier eine Person und wäre sie gefragt worden. Fragen Sie Ihren Analytiker und sein Ausbildungs-Institut nach den Nebenwirkungen der Ausbildung!

Explizit (S 38) formuliert der Autor: „Das Sexuelle in der psychoanalytischen Praxis - und natürlich ist hier das Drängen der infantilen Sexualität gemeint.“

Die „drängende“ Sexualität eines Analytikers bei einer attraktiven, jüngeren Patientin ist alles andere als eine bloß infantile.

Wäre sie infantil, womöglich noch weiter reduziert auf eine bloße Harnerotik, wäre die ganze Aufregung um die erotische Beziehung zur Patientin entbehrlich.

Soll / darf nur die infantile Sexualität drängen? Soll es womöglich nur ein Harndrang sein, dessentwegen er das Hemd über seine Hose zieht, wie er mehrfach erwähnt (zuletzt S 32)? Ist der Analytiker ein Kind oder ein Erwachsener, der die Gewalt der Erwachsenensexualität durchaus spürt? Kann seine Gegenübertragung die eines Kindes sein oder ist es hier die benötigte Theorie, die seine Selbstwahrnehmung entstellt?

Der Autor ruft hier anschließend, wie auch an anderen Stellen die „Gruppe“, „die Kollegen“, nun Freud zu Hilfe (S 38):.. „auf eine Zukunft zu dritt - Freud, die Patientin und er“. Sucht er in seiner Bedrängung einen rettenden, wohl verbietenden Vater? Oder bedeutet das Heranziehen eines Dritten nur eine Ausflucht vor der drängenden Erwachsenensexualität, eine Verschiebung auf eine Situation, die real gar nicht vorliegt? Dem Leser kann dies vorkommen, als ob der Therapeut immer wieder zu dieser Notbremse („Gruppe“, „analytische Gruppe“, „Kollegen“, „der Dritte“, „Freud“) greifen muss, wenn die Zweiersituation zu brenzlig wird. Hic Rhodos, hic salta! Er muss das Thema schon da, wo es auftritt, nämlich in der Zweiersituation mit der Patientin, abhandeln. Ist dies die phobische Reaktion (S 12), die der Autor selbst erwähnt?

Ein solcher Alleinvertretungsanspruch scheint auch umgekehrt für die blinden Flecken von Analytikern erhoben zu werden („Blinde Flecken“ S. 37). Diese sollen offenbar nur auf präödipalem Gebiet eintreten („eigene regressiv-infantile Gegenübertragungsverwicklungen“, S 37) und haften bleiben. Auf ödipalem Gebiet hat es keine?

Und was ein tatsächlicher weiterer blinder Fleck ist: Die Progression wird im Buch notorisch fast ausgelassen (nur als „Freiraum für ..Entwicklung“ (S 40) pauschal erwähnt, aber nicht näher ausgeführt, wie es dieses wichtige Thema verdient hätte) - als ob es die progressive Entwicklung und die Wünsche danach, die Ängste davor und die Schuld-und Schamgefühle wegen Nichterreichen der angestrebten Ziele nicht gäbe.

Der „blinde Fleck“ ist die Einseitigkeit der Betonung des Regressiven und Infantilen, also die notorische Rückwärtsgewandtheit der Psychoanalyse. Auch hier schwimmt das Buch mit der analytischen Umgebung mit.

Welches Menschenbild liegt der Annahme zugrunde, dass alles auf die „Kindheit“ zurückzuführen ist? Ist die Implikation, dass nämlich der Erwachsene somit entmündigt und entwertet wird, bedacht? Soll das Kind den leiblich-gestischen Modus für sich gepachtet haben? Will Analyse deshalb die Regression des Erwachsenen zum Kind oder gar Kleinkind, das gefälligst Sitzen noch nicht erlernt haben soll, weil es noch zu klein ist und deshalb zu liegen hat, erzwingen bzw. weiterhin behaupten, anders sei eine Analyse nicht möglich?

Diese Vorgefasstheiten können sich indes verbreiteter Anwendung erfreuen, sodass sich der Autor damit in bester Gesellschaft sehen kann.

Wie ein vergessener Platzhalter taucht dann der „Dritte“ (S. 37), auch der „Bezug zur analytischen Gruppe“ auf. Hier wird es also auf einmal ödipal, darf aber offenbar nicht so genannt werden, weil es das theoretische Wunschbild von Regression und Infantilität in Frage stellen würde.

Auch an anderen Stellen ist offensichtlich von Erwachsenensexualität die Rede, sie darf aber nicht als diese bezeichnet werden, wohl, weil der Autor einseitig die infantile Sexualität betonen möchte. So heißt es auf S 41: „Im Feld dieses Zusammengehörig- Widersprüchlichen lässt sich eine weitere Dialektik ausmachen: Die Tatsache, dass die psychoanalytische Situation die direkte Triebbefriedigung ausschließt...“. Übrigens sehe ich hier keine Widersprüchlichkeit und keine Dialektik. (s. auch unten). Ich sehe nur verschiedene Gesichtspunkte.

Damit kann im Zusammenhang nur die Sexualität unter Erwachsenen gemeint sein.

Denn eine infantile Sexualität kann ein Erwachsener gar nicht ausüben noch wirklich fühlen, auch wenn er sich dazu zwingen möchte, etwa in compliance (Folgsamkeit, Neigung zur Übereinstimmung) mit dem Analytiker. Er ist dazu gar nicht in der Lage.

Ein jeder kann ja bei sich versuchen, sich in seine Kindheit zu versetzen. Es gelingt nicht, schon weil man den schweren Erwachsenkörper und dessen (Leib-) Sensationen mitnehmen müsste. Nicht umsonst geht das Wort Freuds um, das Ich sei vor allem ein körperliches. Deshalb kann eine Regression nie erreicht werden.

Hier dürfte es sich um die bekannten Machtwünsche (Der religiös kontaminierte Terminus Allmacht, Omnipotenz aus dem Kleinianismus ist auch hier völlig unnötig und nur irreführend) vieler Analytiker handeln, nach denen alles möglich sein soll, wenn nur die Theorie es so will. Papier ist geduldig, Theorie noch mehr).

Oder soll er etwa innerlich Harnerotik betreiben? Vielleicht zusammen mit der Patientin, mit Zeigen und Gesehenwerden? Nur mit Mühe könnten Analytiker und  Patienten sich begrenzt in eine infantile Sexualität einfühlen, diese aber gewiss nicht mehr so erleben, wie sie einstmals gewesen sein mag, abgesehen von der Nutzlosigkeit solcher Bemühungen, sogar Abträglichkeit, weil diese vom aktuellen Konflikt nur ablenken (Verschiebung, Intellektualisierung, Negation, grobe Verleugnung, Unterwerfung unter eine Theorie).

Es ist oft nicht das gesagt, was gemeint ist, und dies führt zuweilen zu einem erschwerten Erkennen der Gedankenführung.

So ist auch der Zusammenhang des Gesagten mit dem Fallbeispiel (S 41) nicht ersichtlich: Der Fall: „Ein Patient beklagt sich, dass ich es mit der Stundenpünktlichkeit bei ihm wohl nicht so ernst nehme,.. ergibt sich, seine Mutmaßungen mit seiner Stellung in der Geschwisterreihe und den infantilen Rivalitätskonflikten in Verbindung zu bringen...“ Der Therapeut nimmt einen Uhrenvergleich vor. Dazu entblößen beide ihre Unterarme. Dies wird vom Therapeuten so verstanden, dass –in Verschiebung – ein Penisvergleich nach Art eines Wettbewerbs unter Jungen agiert wird.

Meine Deutung: Wieder viel zu tief gegriffen, in die tatsächliche oder angebliche infantile Sexualität (Penisvergleich von Jungen), während es tatsächlich um die Rivalität zwischen Therapeut und Patient geht. Der Patient macht dem Analytiker Vorhaltungen, dass er die Stunden nicht pünktlich einhalte. Darauf geht der Analytiker nicht ein, vielmehr verschiebt er diese Rivalität („Wer ist hier eigentlich der Pünktliche?“ Der Analytiker oder der Patient?) in die Kindheit des Patienten, in die vermutete Geschwisterrivalität des Patienten innerhalb seiner Geschwisterreihe, - um nicht vom Patienten angegriffen zu sein.

Anzunehmen ist, dass der Analytiker genau gespürt hat, dass der Patient einen kleinen Kampf mit ihm aufnehmen möchte, verdrängt dies aber, wendet dazu noch Reaktionsbildung an. Statt auf den Angriff aggressiv, etwa mit einer Gegenbeschuldigung, zu reagieren, nimmt er den Patienten in Schutz, indem er den Uhrenvergleich anbietet. So gibt er dem Patienten zu 50% die Chance, Recht zu haben. Auch Isolierung wird vom Analytiker gebraucht: Statt das Aggressive in dieser Abfolge zu sehen und voll zu fühlen, trennt er den aggressiven Affekt ab. Rationalisierung und Intellektualisierung sind ebenfalls beteiligt, denn der Analytiker meint, das Ganze sei auch „in einem objektiven Rahmen anzusiedeln“ (S 42). Es geht aber nicht um einen „objektiven Rahmen“, sondern um die Beziehung zwischen Patient und Analytiker. Der Patient möchte seinen Analytiker etwas angreifen, und was der Analytiker darauf antwortet, sind nur Ausflüchte (evasions, otgoworki), analytisch gesehen Abwehren, keine Deutungen, - weil hier Übertragung und Gegenübertragung außer Acht gelassen sind.

Die genannte Einseitigkeit ist auch in einem anderen Fall (S 113) nicht zu verkennen: Der Analytiker „wiederholt ganz langsam ihren väterlichen Familiennamen“ und schreibt: „Darin ließ sich die ganze tiefe Emotion der in der Übertragung aktualisierten, kindlich-ödipalen Liebe fassen“. Immerhin hat es hier der Autor bis zur Ödipalität gebracht, wer hätte das gedacht, - sonst ging es doch eher um Symbolisierung bei frühkindlichster Störung. Aber auch hier darf man fragen, warum es denn die „kindlich-ödipale Liebe“ sein muss und nicht die reife Liebe einer erwachsenen Frau sein darf. Das ganze Ausmaß der ausagierten Voreingenommenheit zeigt sich schon darin, dass der Analytiker hier mit Suggestion arbeitet, indem, er den Namen des Vaters erwähnt, und sich anschließend diese Intervention selbst deutet. Die Patientin wird nicht gefragt. Die „leibliche Resonanz“ (S 113 dito) mag hier bei dem „Namen des Vaters“ (durchaus auch mit einem religiösen Touch) gegeben sein, aber warum sollte die Resonanz bei einer reifen Liebe geringer sein? Weil der Autor leibliche Resonanz von Erwachsenen nicht wünscht. Er möchte Leiblichkeit immer mit Frühkindlichkeit oder höchsten mit infantil-ödipaler Position verbunden wissen und vor allem auf diese reduzieren.

Ist das die Phobie vor der Erwachsenensexualität, die der Autor selbst beschrieben hat? (S 12)

Auch die vom Autor zitierten früheren Autoren, die sich auch gern aufeinander beziehen, und somit auch von sich abgeschrieben haben dürften (Zitierkarussell) und ihre Ansichten damit begründen, wie Leikert (2005) auf Ogden, S 116-117) können es nicht lassen, den körperlichen Modus mit der Frühzeit und / oder der frühen Störung und der Genese der normalen Entwicklung und der frühen Störung zu verwechseln und gleichzusetzen. Hier liegt ein kategorialer Denkfehler vor, nämlich Verhaltensweise und Zeitraum in eine Kategorie zu setzen. Die Verführung zur genetischen Ableitung des Erwachsenenlebens aus der Kindheit, mit oder ohne deren Störungen, ist nicht auszurotten („genetic fallacy“, Shapiro 1981).

Die Psychoanalyse ist belastet durch die verhängnisvolle Tradition, nur noch zu fragen: Wie können wir das Erwachsenenleben aus der Kindheit erklären (zeitorientiert, Infantilimorphismus)? Statt zu fragen: Was geht jetzt in und zwischen den beiden Erwachsenen vor (innenlebenorientiert, konfliktorientiert)?

Als Beispiel mag die Erektion dienen,  - weil sie eine eindeutige leibliche Mitteilung an sich selbst und den Anderen darstellt, wie schon das Feuchtwerden an der Eichelspitze. Soll auch diese nur eine frühkindliche Bedeutung haben? ist es Zufall, dass sie niemals erwähnt wird? Oder ist das Nichterwähnen ein Zeichen der Phobie der Analytiker vor der Erwachsenensexualität? Oder ist es ein Zeichen der Verlegenheit, in die der Autor kommen muss, wenn er auch dieses Leib- Phänomen als frühkindlich einordnen müsste?

Dies ist zu vermuten. Was nicht passt, wird einfach fortgelassen. Nach dem Schneiderwitz hat ein Analytiker keine Erektion zu haben, geschweige denn davon zu sprechen. Er hat sich der Theorie von der Frühkindlichkeit in allen leiblichen Äußerungen zu fügen und fügt sich auch. Es darf nicht sein, was nicht sein soll.

Es wäre interessant, zu erfahren, wie der Autor den Fallstricken der Frühkindlichkeit entkommen möchte, an denen er selbst mitgewebt hat.

Auch andere Beispiele, die der Autor anführt, folgen dem gleichen Muster: Die Beispiele sind voll von beeindruckenden Sprech- und anderen Akten, die durch sich schon performativ wirken und die monoton auf Kindheit zurückgeführt werden. So auf S 123:

Ein Patient spricht von „Ficken“ , und von der entsetzten, lautstarken Gegenfrage seiner älteren Schwester, als er acht Jahre alt war: „Waas?“, die nun somit auch der Analytiker zu hören bekommt und von der er „affektiv leiblich getroffen“ ist.

Was hier gewiss nach einer Wiederholung des Ablaufs im Kindesalter aussieht und auch ist, wird aber nicht weiter auf Übertragungsgehalt untersucht, etwa, was der Patient jetzt damit dem Analytiker sagen wollte und welche Abwehr er anwandte (Verschiebung auf Kindheit und auf eine weibliche Person, Vermeidung eines wohl aggressiven Gefühls gegen den Analytiker, „mal sehen, was der Analytiker macht, wenn ich ihn mit einem harten sexuellen Wort erschrecke“).

Offensichtlich macht der Analytikers nur zu gerne diese Abwehr mit und wendet sich ebenfalls der Vergangenheit zu, verwendet dazu auch die übliche Intellektualisierung („Schnittstelle...rätselhafte Botschaften“.- wirklich rätselhaft?? Schnittstelle von was?? Anm. d. Verf..). Übertragungsdeutungen hätten lauten können: „Sie möchten jetzt sehen, ob ich so erschreckbar bin wie Sie seinerzeit. Sie fürchten zugleich, dass ich so erschrocken bin wie Sie seinerzeit. Sie hoffen (fürchten, und beneiden mich dann) dass ich tragfähiger bin als Sie seinerzeit.“

Was soll damit gewonnen sein, wenn man den Patienten nur auf seine Kindheit und seinen damaligen Schreck verweist? Der Analytiker hat nur bewiesen, dass er Historie nachvollziehen kann, dass er sich in den damaligen Schreck einfühlen kann, kurzum, dass er ein „guter Analytiker mit guter Empathie“ ist oder jedenfalls so wirkt. Er hat sich dargestellt, er war aber nicht beim Patienten im Hier und Jetzt.

Vor lauter Stolz über die Entdeckung des beiderseitigen Leiberlebnisses hat er übersehen, dass er sich damit nur selbst in den Mittelpunkt stellt, - abgesehen davon, dass gute Empathie nichts Besonderes ist, jedenfalls nicht von Analytikern gepachtet sein kann, sondern auch von Pfarrern, Freunden, Nachbarn täglich erbracht wird, und dass bloße Empathie noch keine Therapie sein kann.

Der Patient spricht wohl eher, verschoben auf seine Kindheit, von seiner Rivalität mit seinem Analytiker, - aber dies ist dem Analytiker nicht infantil und nicht infantil-sexuell genug, um beachtet zu werden, es könnte womöglich – „horribile dictu“ - eine Rivalität unter Erwachsenen sein, so mit dem Analytiker, und da sei Gott vor.

Die Vorliebe für das - tatsächlich oder vermeintlich – Infantile hat sich verselbständigt. Das kostbare beiderseitige leibliche Erlebnis wurde auch hier nur dafür verwendet, das Infantile zu verehren.

Zur Verwirrung trägt der unklare Frontverlauf bei: Immer wieder werden leibliche Phänomene den seelischen gegenübergestellt. Hier liegen aber die Meinungsverschiedenheiten schon längst nicht mehr. Das gegenseitige Einwirken auch von leiblichen Äußerungen und deren Intensität, auch schon in der Sprache selbst, ist ja unbestritten.

Tatsächlich geht es hingegen um den Gegensatz zwischen Erwachsenen- Innenwelt und (früh-)kindlicher Innenwelt.

Dieser Gegensatz wird tabuisiert, weil man nur das (Früh)-Kindliche gelten lassen möchte.

Verbreitet ist offenbar eine Feindschaft zur Innenwelt des Erwachsenen, sogar schon des Jugendlichen, und somit unreflektiert zu Jugendlichen und Erwachsenen überhaupt, auch der Rolle des Vaters. Man will sie einfach ausblenden.

Die Rolle des Vaters wird ersetzt durch den „Dritten“, durch die Kollegenschaft und durch den Analytiker selbst. Diese Instanzen und Mitspieler vertreten aber ebenfalls die These von der alles beherrschenden kindlichen Welt, namentlich der These von der ewig fortdauernden Kind- Mutterbeziehung, sodass hier nur eine Schein-Ödipalität erreicht wird, die der Absicherung der These von der Frühkindlichkeit zuarbeitet.

Den genannten Mitspielern fällt hier nur eine dienende Rolle zu, nämlich auf die frühe Mutter- Kindbeziehung zu verweisen und einen Ausbruch aus dieser Auffassung zu verhindern.

Aus diesem Zirkelschluss kann es deshalb von innen heraus kein Entkommen geben.

Der häufigste Typ von heutigem Analytiker will in den erwachsenen Patienten nur Kleinkinder sehen, und sich als großen Retter, zumindest als besseren Elternteil.

Eine häufige klischeehafte Figur von Analytiker nach Lehrbuch ist der Analytiker als Vater, der Analytiker als Mutter, auch mal als Großvater oder Großmutter, jeweils nur der Kleinkinder.

     Jugendliche und Erwachsene haben bekanntlich keine Eltern und Großeltern.

Mit der Kindheit soll es mit dem Seelenleben zu Ende gegangen sein.

Freud wurde an der falschen Stelle angezapft, - an seiner Achillesferse „frühkindliche Sexualität“, an seinem Fuß statt an seinem Kopf.

Motive sind die Verehrung des frühen Freud und die (auch seine) Phobie vor der großen Gewalt der Erwachsenen –Sexualität und Aggressivität. Es hat sich herausgestellt, dass die, welche ständig über Sexualität reden, die meiste Angst vor ihr haben, was gerade analytisch gesehen nicht verwundern kann (kontraphobisches Verhalten).

Psychoanalyse muss dazu kommen, dass sie die Aufgabe hat, die Konflikte jeder Alterstufe und eher noch die zukünftigen („Antizipation“) zu erkennen und zu behandeln. Auf dem Sterbebett geht es nicht mehr um Partnerschwierigkeiten oder frühkindliche Sexualität.

Auch die hegelianisch- marxistische, compliancehafte Anleihe „Widerspruch“, „Dialektik“ (so S 41) wird nicht benötigt, da eine zusammenhängende Lehre nicht besteht. Es handelt sich um Sexualität, Abwehr der Sexualität und Symptombildung, - mitnichten um einen Widerspruch, sondern allenfalls einen Gegensatz. Statt „Dialektik“ ist genauer zu sagen: Kompromissbildung. Wir müssen uns im klinischen Bereich bewegen, oder wollen wir dem Patienten weismachen, er leide an „Widersprüchen und Dialektik“? Abgesehen davon, dass wir theoretische Erklärungen ohnehin nicht geben, da sie nutzlos sind, sogar nur Intellektualisierung als Abwehr fördern.

Der Autor legt sich für dieses Thema einseitig auf Bion (und den Kleinianismus fest. Bion war Analysand und Schüler von Melanie Klein.

Bion ist gewiss originell, aber schwer zu verstehen, über große Strecken verstiegen, teilweise auch verworren, was mit Tiefsinn verwechselt wird und deshalb große Anziehungskraft auf „Tiefenanalytiker“ ausüben muss, hat vergeblich versucht, sich in mathematisch aussehenden Formeln von Scheintiefsinn zu retten.

Sein Konzept vom „Angriff auf das Denken, Antidenken“ ist eine Idee nahe einer Marotte, - was nicht erkannt wird, zumal der Begriff „Denken“ von ihm in anderer Bedeutung gebraucht wird als im Sprachgebrauch (wie Anderes schon bei Melanie Klein) und seine Nomenklatur durch ihre Rätselhaftigkeit die analytischen Gemüter begeistert, wie es schon zuvor mit anderen Begriffen wie „double bind“, projektive Identifikation“ (s. Krill 2008, 88ff) geschehen war. So sollen „Gedanken“ vor dem „Denken“ entstehen und erst zum Denken hinführen. Dazu kommen Übersetzungsfehler, so heißt „to think“ nicht nur denken, sondern auch (meist!) glauben, meinen. Wenn heute so leichthin gesagt wird „Ich denke mal“, ist damit nicht ein Denkvorgang gemeint, sondern eine Meinung (falscher Anglizismus).

Bion fehlt vor allem oft der klinische Bezug. Seine Falldarstellungen zeigen, ähnlich wie bei Fonagy und Kernberg, B., auch vielen anderen Analytikern, keineswegs überzeugend das, was sie demonstrieren sollen, sie sind somit seinen eigenen Maßstäben nicht gerecht geworden. Theorie kann nur so weit brauchbar sein, wie es wenigstens die selbstgemachten Falldarstellungen zeigen.

Werden seine Aussagen mehr oder weniger pauschal geglaubt und wörtlich nachgebetet, machen sie sich bibelgleich gewissermaßen selbständig und gewinnen die Oberhand über den Analytiker, der sich einem scheinbaren Riesen ausliefert. Die Eigenständigkeit, das eigene Urteil des Analytikers muss verlorengehen, wenn er sich und seine Analyse auf Gedeih und Verderb, also Verderb, derartig ausliefert.

 

Jede Psychoanalyse ist unter solchen Umständen zum Scheitern verurteilt, sie wird von der phantasierten Macht einer Autorität erdrückt, die sich weit von der Klinik entfernt hat.

Wie war noch der Schneiderwitz? Wenn der Maßanzug nicht passt, muss sich eben die Figur ändern, bis er passt.

„Befunde“ (S 96-97: „Denkstörung“, „Vernichtungsgefahren“, „Omnipotenz“, „Halluzination“, - die allesamt nicht vorliegen, aber biongemäß geliefert werden) haben sich dann an Bion anzupassen, nicht Bion- Athleten an Befunde.

„Omnipotenz“, vom Autor immer wieder erwähnt, ist ein typisches, immerfort gedankenlos wiederkehrendes Versatzstück aus dem Kleinianismus, nie klinisch dargestellt, auch nicht in Traumanalysen, nie unterschieden von den bloßen ubiquitären Machtwünschen, aber besser klingend. Die Spanne zwischen den anspruchsvollen, verblasenen Aussagen und dem tatsächlichen Verlauf von Psychoanalysen wird allgemein immer größer, ist schließlich nicht mehr überbrückbar und muss in verquasten Sätzen enden.

Häufig Bion zu zitieren, kann den klinischen Nachweis in einer sorgfältigen Einzelfalldarstellung nicht ersetzen (s.u.).

Hier sei nur an die ausführlichen Einwände (gegen das Regressionskonzept und bloße Herleitung aus der Kindheit) der einflussreichen und in ihrer Sicht konsequent argumentierenden US- amerikanischen Psychoanalytiker Shapiro (1981) erinnert, der das „race back“ zu frühen und frühesten Entwicklungsstadien mit den Worten geißelte: „Darf es etwas früher sein?“, - hierzu auch folg. Zitat: aus „On the quest for the origin of conflict, Psa Q, 50, 1-21:  

„Diejenigen, die flink und gerissen genug sind, einen immer früheren Ursprung für eine gegenwärtige Symptomatik zu nennen, fällt die Siegerkrone zu...Melanie Klein und ihre Schüler waren die Sieger der Rückwärtsschau...  Zirkelschluss, gleiche seelische Zustände in der Vergangenheit auffinden zu wollen, um aus ihnen – auf einem gleichsam linear-kontinuierlichen Pfad - die Konflikte von Erwachsenen zu erklären...überhaupt die Vergangenheit zu bemühen, um einen gegenwärtigen Zustand zu verstehen...“.

 und Paul Gray (Lit. 1973-1992), der einen allgemeinen Rückfall vom – späteren - Strukturmodell Freuds auf das topographische Modell heftig beklagte („Heiteres Ratespiel, Angler nach dem Unbewussten, Verschiebung der aktuellen Konflikte auf eine frühere Zeit und auf andere Personen, aus kollusiver Abwehr, besonders gegen aggressive Phantasien in der Übertragung und Gegenübertragung“, s. Krill 2008).

Über die vielen Zitate von Freud (aber nie Anna Freud, kaum zufällig, s.o.), Merleau-Ponty und Anderen, kann aber leicht in Vergessenheit geraten, dass Zitate keine Argumentation und namentlich keine Darstellungen von inneren Abläufen, welcher Art auch immer, also ob mehr „psychischer“ oder „leiblicher“ Art, im Patienten wie im Analytiker ersetzen können. Bloße Zitate weisen auf Argumentationslosigkeit hin.

In der Begriffswelt greift der Autor des Öfteren auch auf andere eingängige Begriffe zurück, ohne diese in Frage zu stellen, so auf „Zwischenleiblichkeit“, ein Kunstwort nach Merleau- Ponty (S 10, S 15). Es kann keine solche in der Sache geben. Die ständige Interaktion bleibt davon unberührt, - sie findet aber in den Köpfen statt, und nicht im Raum zwischen den Personen.

Es kann nur die Vorstellung davon in den Teilnehmern geben. Zwischen den Leibern ist nichts. Es ist wohl eine nützliche Hilfsvorstellung für theoretische Erwägungen, aber man muss achtgeben, dass solche Vorstellungen sich nicht verdinglichen („reifizieren“), als ob sie ein eigenes Leben mit einer eigenen Psychodynamik haben könnten. Psychodynamik gibt es nur in den Personen, nicht dazwischen, ungeachtet der Vorstellungen in jeder Person von wechselseitiger Psychodynamik und wechselseitiger leiblicher Beeinflussung und Sichhineinversetzen in die inneren Positionen und Vorgänge des Anderen, so auch auf das eigene Verhalten, das beim Anderen etwas auslöst.

Das gleiche gilt für Vorstellungen von „Raum“, „Zwischenraum“: Es gibt keine solchen außerhalb der Personen, nur die Vorstellungen davon in den Personen.

Der Autor lässt offen, ob er diese Gefahr erkannt hat. Der Leser kann den Eindruck haben, dass er sie gespürt hat.

Der Autor greift stark auf das Konzept der Psychosexualität zurück (S 12), leider nicht auch auf das der Psychoaggressivität, wie sie vom späteren Freud mit der Gleichstellung der aggressiven Triebe mit den sexuellen konzipiert wurde, und auch nicht auf die von Freud nie aufgegebenen Selbsterhaltungstriebe.

Der Autor glaubt, dass auch heute noch Psychoanalytiker von einer phobischen Haltung gegenüber der „Sexualität (S. 12: „phobischer Umgang mit dem Sexuellen“), (Anm. des Verf.: der Autor meint hier die Erwachsenen-Sexualität, in ödipaler Position) befallen seien, und diese Haltung dazu führe, dass in psychoanalytischen Veröffentlichungen „das Sexuelle immer weniger thematisiert wird“ und dies zu einer abträglichen Betonung , sogar Fokussierung der heutigen Psychoanalysen auf die prägenitale Position, unter Ausschluss der ödipalen Position und späterer Positionen führe.

Diesen Eindruck habe ich auch selbst seit langem. Dies kann jeder in Seminaren, Falldiskussionen, Prüfungssituationen beobachten.

Gefällig ist allgemein, einem Analytiker, der eine ödipale Position vertritt, vorzuwerfen, er habe nicht gründlich genug analysiert und deshalb „das Frühe“, namentlich das Präödipale, das frühe Trauma, nicht gesehen. Deshalb werden nur noch präödipale Störungen vorgestellt. Einem derartigen Vorwurf, man habe nicht gründlich genug analysiert, wird so von vorneherein der Boden entzogen. Der „Präödipale“ erhält immer Recht und besteht auch das Abschlussexamen, wenn er nur konsequent genug seine Linie verfolgt und ihm die entsprechende Darstellung gelingt, er also in seinem Konzept bleibt.

Hinzu tritt die von Shapiro (1981) beklagte Tendenz zum hemmungslosen „race back“, zu immer früheren Positionen. Der Autor betont hier zu Recht die weitere Motivation: Eine phobische Angst der Analytiker vor der Erwachsenensexualität, und zu ergänzen ist, auch vor der Erwachsenenaggressivität, wie ich sie beide auch an anderen Stellen, zuletzt im Vorwort zu meinem Buch „Gruppenanalyse Neu“, 2013, vermutet habe. Nirgendwo sonst habe ich von dieser Motivation lesen können, und es ist ein Verdienst des Autors, auf diese Motivation hinzuweisen, und dies im Gegensatz zu seiner analytischen Umgebung.

Zur „phobischen Angst vor der Erwachsenensexualität“: Freud hatte Großes vor. Zweifellos hatte er sich die Befreiung aller psychischen und körperlichen Funktionen einschließlich der sexuellen von psychischen Hemmungen wie Ängsten, Schuld- und Schamgefühlen zum Programm gemacht. Er hatte sich und eine erhoffte „bessere“ Zukunft auch in einen Gegensatz gestellt zur angeblichen viktorianischen Prüderie und zur angeblich viktorianischen Prüderie. Nicht nur, dass das „viktorianische Zeitalter“ schon zu seiner Zeit längst vergangen war, war es auch ein Vorurteil, in jener Zeit sei es besonders prüde zugegangen. Sein Motiv, die vergangene Zeitperiode zu entstellen und sie entstellt darzustellen, dürfte darin liegen, seine eigene Position der Entdeckung der frühkindlichen Sexualität umso pointierter darstellen zu können.

Er hatte aber damit zuviel versprochen.

Will man Freud an seinen - falschen - Gegenüberstellungen und – falschen - Versprechungen messen, muss man zu dem Schluss kommen, dass er in dieser Hinsicht nichts erreicht hat. Es wäre einer wissenschaftlichen Mühe wert, einmal die Versprechungen und Erwartungen Freuds mit den tatsächlich eingetretenen Erfolgen abzugleichen. Jedenfalls hier liegen Freuds Verdienste nicht.

So wurde Homosexualität erst in jüngster Zeit geschützt, und Homosexuelle wurden, ausgerechnet in psychoanalytischen Vereinen, erst seit ca. 1990 zur analytischen Ausbildung zugelassen, - aber es ist ein großer Irrtum, sogar eine glatte Verleugnung und Idealisierung von Seiten der Gutmenschen, zu glauben, Homosexualität sei nicht mehr abgelehnt. Pädophilie wird strafrechtlich verfolgt wie noch nie, und schon das ungefragte Berühren einer Frau am Arm gilt als strafbarer sexueller Übergriff. Bereits ein Verdacht auf „sexuelle Gewalt“ genügt, jemanden für sechs Monate hinter Gitter zu bringen (so Fall eines Meteorologen), und es gibt so gut wie keine Entschädigung. Auch an seinem Freispruch gab es Kritik und Häme. In Schweden muss sich eine Frau auch hinterher (!) wohl fühlen. Ist dies nicht der Fall, liegt Strafbarkeit vor. Einverständnis reicht nicht. Harmlose Baumpinkler werden jetzt in manchen deutschen Städten mit Strafen von bis zu 600 Euro belegt, dies gewiss nicht aus hygienischen Gründen, Hunde dürfen. Über Exhibitionisten an Bahndämmen hat man früher hinweggesehen. Im Großen und Ganzen wird Sexualität mehr denn je verfolgt, sodass auch eine ganz neue Sprache entstanden ist: Wörter wie „Übergriffigkeit“, „Grenzüberschreitung“, „sexuelle Gewalt“, „sexuelle Machtausübung“, „sexuelle Belästigung“ gab es früher gar nicht, und von Vergewaltigung sprach man nur, wenn auch eine vorlag, Vergewaltigung in der Ehe gab es als Begriff nicht. Auch in den USA und den südamerikanischen Ländern geht es entgegen dem Gerede und der bildhaften Freizügigkeit auf optischem Feld (Film, Fernsehen) umso prüder zu, je mehr sich dort Psychoanalyse verbreitet hat. So ist FKK verboten. Der Playboy hat sich soeben für Züchtigkeit entschlossen, bildet in den USA keine nackten Frauen mehr ab, neuerdings auch keine nackten Brüste. Die Zensoren sind es, die gesiegt haben, nicht Freud. In Filmen werden dort in kleinlichster Zensur regelmäßig schlechte Worte und insbesondere Flüche streng aussortiert und durch einen Ton ersetzt, oft mehrfach in einem Satz. So werden selbst die Zuhörer und Zuschauer streng unter Kuratel gestellt, entmündigt, geradezu zu Kindern gemacht, die solche Worte nicht hören sollen. Auch die 68ziger haben in dieser Hinsicht nichts von ihrem lautstarken Programm erreicht, schon zu ihrer Zeit nicht. Als es den Tausch ihrer Freundinnen angehen sollte, war Schluss. Auf der ganzen Welt sind- auch bei äußerst prekären Verhältnissen- . Frauen- und Männertoiletten streng voneinander getrennt, als ob das Wohl und Wehe der Menschheit davon abhinge - wehe, wenn sich einmal ein Mann auf eine Damentoilette verirrt, er kann festgenommen werden, Entschuldigungen werden ihm nicht helfen. Eine Ausstellung von Balthus im Folkwangmuseum Essen wurde 2014 abgesetzt. Die Brüste sind im Alltagsleben verhüllt, wenn dies auch noch andere Gründe hat, eine ganze Industrie lebt davon. Nur verstohlen darf sich Sexualität zeigen: Im Busenausschnitt, in den Falten der Jeans, die wie die Schnurrhaare einer Katze unübersehbar auf den Punkt weisen. Der Mann darf anders als im angeblich prüden Mittelalter keinen Stock, keine Vorwölbung, zeigen, von der Brust darf die Frau weniger zeigen als im Mittelalter. Öffentliche Badezuber, zu denen sich die Frauen unbekleidet auf den Weg machten, für jeden Straßenzug, sind heute im Ggs. zum Mittelalter undenkbar.

Und in Afrika und Asien ist die Sexualität in großen Teilen unverändert weniger eingeengt als bei uns, - ganz ohne Freud. Freud hat sich gründlich verschätzt. Die Menschen hier fordern oft „ewiges Wegsperren“, ja die Todesstrafe. Prostitution ist in zunehmendem Maße unter empfindliche Strafen und Kuratel, dies nicht aus hygienischen Gründen, gestellt, in Schweden und sogar in Frankreich ganz verboten.

Die neuerliche Betonung von „multiplen Sexualitäten“ mitsamt einer Flut von ausgebuchten Veranstaltungen und Hochschulstellen (angeblich 199 neuen Professorinnenstellen allein im Jahr 2015) und einer schier endlosen, kataloghaften (dies hat man doch immer der Psychiatrie vorgeworfen) Einteilung unserer Mitmenschen je nach ihrer sexuellen Orientierung, als ob wir uns nicht mehr mit neurotischen Störungen, also Krankheiten, zu beschäftigen hätten, haben die Funktion von Feigenblättern, um sich nicht mehr mit innerseelischen Konflikten befassen zu müssen (weil dies zu anstrengend ist) und um die rigide Strenge zu verdecken, - sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir keineswegs „toleranter“ geworden sind, ganz im Gegenteil. Besonders in den USA hat eine Hexenjagd auf vermeintliche sexuelle Gewaltausüber auf dem Universitätsgelände (Campus) eingesetzt. Verleumdeten Studenten half ein gerichtlicher Freispruch nicht, sie wurden trotzdem als potentielle Störer betrachtet und durften jahrelang die Universität nicht mehr betreten, wenn sie auch hinterher erfolgreich dagegen prozessierten. Studenten müssen sich nach ihren sexuellen Neigungen peinlichst ausfragen lassen. Ein Film über den angeblichen „Hunting Ground“ der Universitäten tat ein Übriges.

Vom analytischen Standpunkt aus kann die übergroße Vorsicht und Rücksichtnahme im Namen der Geschlechtergerechtigkeit gerade zur besonderen Abwehr aggressiver Wünsche geführt haben, sodass das Abgewehrte dann in Form einer quasi- paranoiden Weise (in Form einer überwertigen Idee) zurückkehrt. Es fehlt hier auch an einer Strafbewehrung gegen Verleumder. Nicht reflektiert sind auch die Bevorzugung einer Opferrolle, besonders in demonstrativer Darstellung, zugleich mit einem offensichtlich provozierendem Auftreten (so neuerdings das massenhafte Auftreten in eng anliegenden Strumpfhosen, die zugleich pädophile Regungen erwecken - „Kinderbeinchen“, und die vielen Manipulationen am Mund in Richtung eines offenstehenden Kindermundes).

Für den Leidensweg der Justizopfer oder der Vorverurteilten interessiert sich niemand (s. auch Wormser Affäre, achtziger Jahre, mit groben Fehlurteilen, Wegnahme der Kinder, Zerstörung der Familien, ohne jede Wiedergutmachung).

Selbst ein Meteorologe, der nach monatelanger Haft („Assangeisierung“) freigesprochen wurde, konnte nicht erreichen, dass die Verleumderin bestraft wurde oder eine Entschädigung zahlen musste, er musste weiterhin Häme in mancher Presse erdulden. In einem anderen Fall wurde aber immerhin eine Lehrerin, die einen Lehrer mit einer erwiesen falschen Beschuldigung (angebliche Vergewaltigung während der Unterrichtspause, „gedinkelt“) ins Gefängnis gebracht hatte, weil man ihr alles sofort glaubte, zur Rechenschaft gezogen. Das natürliche Übergewicht der Frau in Familienangelegenheiten wird dadurch verstärkt, dass dem Mann die gesetzliche Macht durch rechtliche Gleichstellung genommen wurde. Keine Frau wird festgenommen oder kommt gar ins Gefängnis, weil sie ihren Mann geschlagen hat. Ethikplanstellen sind von Frauen besetzt. In Frankfurt gibt es ca. 81 Frauenbeauftragte, keinen einzigen Männerbeauftragten. In den USA wurde die Losung ausgegeben, den „Opfern“ sei unbedingt Glauben zu schenken. Zweifel werden ziemlich regelmäßig als Einschüchterungsversuche der Frauen beiseite geschoben. Soziologie, Pädagogik und Psychoanalyse stehen bereit, dem „unterdrückten Geschlecht“ zur Seite zu stehen. Die US-amerikanische Justiz ist besonders anfällig für ideologische Ausrichtung, da sie sich nicht vom napoleonischen Codex herleitet (in Anlehnung an Patrick Bahners, FAZ 23.12.15, S N 4), und außerdem unter der puritanischen Tradition steht.

Das Ende, also das Symptom, mit dem wir es jetzt zu tun haben, besteht darin, dass „Missbrauch und Gewalt“ („Missbrauch des Missbrauchs“) in aller Munde sind, obwohl diese nachweislich weit weniger häufig sind als in früheren Zeiten. Dieses Phänomen gilt es abwehranalytisch zu erklären. In diesem Endergebnis sind die bekannten Konfliktkomponenten enthalten: 1)Wünsche, einer Empörungsgemeinschaft, einer Gemeinschaft von Wutbürgern angehören zu dürfen, wie es auch auf anderen Gebieten zu sehen ist („Gegen Startbahn West, gegen Umbau des Bahnhofs Stuttgart“). Für einsame, kontaktgestörte Personen ist die Gelegenheit ideal und einmalig, endlich in einer Gemeinschaft Fuß zu fassen, die tägliche intensive Kontakte ermöglicht und sogar einfordert, gemeinsame aggressive Aktionen erlaubt und ebenfalls fordert, zu denen sich sonst keine Gelegenheiten ergeben, gemeinsam Ängste vor dem gemeinsamen „Feind“ (die Polizei und  der angebliche Vergewaltiger oder „Übergriffige“) erleben zu dürfen, was das Gemeinschaftserlebnis sehr verstärkt („durch Angst zusammengeschweißt“), Schuld-und Schamgefühle sowie Vergeltungsangst gemeinsam abzuwehren. In den unzähligen, auch analytischen, Artikeln über Missbrauch und Gewalt sowie „Geschlechterdifferenzen“ ist nie von den 2) Einzelkomponenten (Wünsche, Ängste, Schuld- und Schamgefühle, Abwehren) des neurotischen Konflikts die Rede, namentlich auch nicht von Abwehr. Auffallend häufig ist Abwehr durch Dramatisierung, Verleugnung, Intellektualisierung, wenn es z.B. heißt: „Filmriss, Epidemie von Vergewaltigungen auf dem Campus, Nötigung... wir haben uns die Verfolgung von Missbrauch an Studentinnen zur Mission gemacht, es ist definitiv jeder fünften Studentin passiert“, „wann Sex wirklich einvernehmlich ist: Eine wissentliche, freiwillige und gegenseitige Entscheidung aller Beteiligten für eine sexuelle Aktivität. dass das Einvernehmen auch unter Sexualpartnern in einer festen Beziehung während des Geschlechtsverkehrs bekräftigt werden muss“ (eine weltfremde, extrem sexualfeindliche, aggressive Verstiegenheit, Verf. ), „die Flucht ergreifen oder um Hilfe zu rufen, obwohl sich im selben Raum andere Studenten befinden, die Freundin dem Zugriff eines Mannes entwinden.....was ihr in der Stunde der Not widerfuhr, ihr angetan...Überlebende, ich brauchte ein ganzes Jahr, um selbst an die Vergewaltigung zu glauben, als Serienvergewaltiger anprangern, aus Protest gegen die Vergewaltigungen ein ganzes Jahr mit einer Matratze über den Campus laufen und sich dafür feiern lassen und diese Tat als Magisterarbeit anerkannt zu bekommen.. Peiniger, cockblocker, - eine Hetzjagd auf junge Männer, um deren Karriere zu zerstören, auch nach Freispruch, wie im Fall eines deutschen Studenten in den USA) (in Anlehnung an A. Ross: Kein Sex ohne Yes, FAZ 23.1.2014.

     An die Stelle von Freuds emanzipatorischen Bestrebungen ist ein Neo-Puritanismus von nie gekannter Rigorosität und eine oft feministisch getönte oder sich feministisch gebende, aber heimlich misogyne, selbstanklägerische Dauerempörung getreten, sowie ein Abgleiten in eine einfältige Opferideologie und in ein bloßes Anprangern von sexueller Kriminalität, als ob diese das einzige menschliche Problem wäre und nicht andere Kriminalität weit schädigender wäre, und dies in unzähligen nationalen und internationalen psychoanalytischen Veranstaltungen, Vorträgen, Büchern und Zeitschriften und immer neuen hochdotierten Stellen in Fachhochschulen und Universitäten (199 plötzliche Professorinnen), in einem einzigen Trommelfeuer. Merkwürdig ist auch das Fehlen von Innehalten und Reflexion, etwa, was Einseitigkeit, Pauschalität und Feindbildhaftigkeit angeht. Gemeinsam ist diesen Bemühungen, dass sich niemand mehr die Mühe macht, nach Einzelkomponenten zu suchen. Man ist weit hinter Freud zurückgefallen, besonders, was sein Konfliktmodell angeht (Strukturmodell). Auch hierin hat Freud rein gar nichts erreicht. Er wollte doch Freiheit von Zwängen und Aufklärung unter die Menschen bringen, aber seine – richtige - Botschaft ist nicht angekommen. Intoleranz, Fanatismus und ein einfältiges, persekutorisches, sensationell aufgemachtes Täter-Opfer- Modell des menschlichen Zusammenlebens haben die Oberhand gewonnen.

     In einer Zeit, in der endlos „Gewaltfreiheit“ gepredigt wird, kehrt das Abgewehrte, die allgegenwärtige Aggressivität, auf ungeahnte Weise zurück (Wiederkehr des Abgewehrten, unter willkommener Mitwirkung der Sensationspresse).

     Erscheinungen wie Pornofilme, Swingerclubs, Nacktbilder (die im Übrigen jetzt ebenfalls zunehmend eingeschränkt werden) dienen als Feigenblatt für die tatsächliche Prüderie.

Der Grund ist unschwer zu erraten: Freud (und viele Analytiker auch heute noch, S 12) hatte in seiner offensichtlich verheerenden Angst (Jung war darin wesentlich gelassener, Freud hatte sich nie einer Analyse unterzogen, zu groß war seine Angst) vor der Erwachsenensexualität und der Frau (unübersehbare misogyne Züge, so 1914: „..die kein Surrogat vertragen...nur zugänglich für Suppenlogik und Knödelargumente“, Lit. bei Eickhoff 2001 und Krill 2008, 52), - wenn er auch seine Kolleginnen auf intellektuellem Gebiet anerkannte) nicht nur die infantile Sexualität (mit Regressionspflicht und Erinnerungspflicht) erfunden, zum Dogma erhoben und jeder Opposition gegen diese Konzeption eine Abfuhr erteilt, indem er diese erbittert – und intellektualisierend - als „Widerstand“ bekämpfte und diffamierte, sondern auch kontraphobisch die Triebe direkt „befreien“ wollen, ohne die Abwehr genügend zu bearbeiten, - nicht nur bei den Patienten, sondern auch in der Gesellschaft nicht. Er hat sich nicht ausdauernd genug und zu spät mit der von ihm und seiner Tochter Anna entdeckten Abwehr befasst. Er hat, wenn überhaupt, das Gegenteil seiner Absichten erreicht, so auch eine allgemeine zwangshafte, zugleich compliancehafte, der Empörungspresse nahestehende und von ihr profitierende Beschäftigung mit der Sexualität („Jahrmarktseffekt“), die eher Züge einer Versklavung als solche der Freiheit trägt und die geeignet ist, von inneren Konflikten und deren Lösung abzulenken (so auch in der gebetsmühlenhaften Unterscheidung der Geschlechter, wo das Geschlecht keine Rolle spielt). Darf man eigentlich noch essen, trinken, radfahren, an Sportwettkämpfen teilnehmen und auf die Toilette gehen?

Allerdings treten andere Umstände hinzu: Die Sexualität unter Erwachsenen entschied in der Evolution immerhin über die Zusammensetzung der nächsten Generation, über Aufzucht, über Krankheiten, die man sich leicht unbemerkt zuziehen konnte. Freud hat nicht erkannt oder jedenfalls unterschätzt, dass Scham und Scheu deshalb tief verankert sein müssen und sich keineswegs abschaffen lassen. Um Schuldgefühle und Ängste steht es hingegen besser, sie sind tatsächlich einer analytischen Behandlung zugänglich.

Mit dem Neo-Puritanismus und der Begeisterung für die „verschiedenen Sexualitäten zeigt sich insgesamt, dass auch Psychoanalyse vom Zeitgeist nicht verschont bleibt und auch hierdurch von ihrer therapeutischen Aufgabe abgekommen ist. Sie hat sich immer wieder für außeranalytische Ziele in Dienst nehmen lassen („Kinderläden“, mit deren schrecklichen Folgen, nach Vera Schmidt bis 1925, dann wieder nach H.E. Richter ab 1970).

Nicht weit entfernt vom Begriff „Sexualität“ stehen die Begriffe „Perversion“ und „polymorph-pervers“ (so S 35: „infantil polymorph-pervers“), die häufig im Buch wie vorgestanzt und klischeehaft, routinehaft auftauchen. „Pervers“ reicht nicht, „polymporph-pervers“ klingt besser, es gab auch schon den Ausdruck „zentral-pervers“ (DPV- Mitteilungen ca. 2012), - der wollte ganz sicher gehen und es besonders gründlich ausgedrückt haben, eine optimale Lösung wäre wohl „zentral-polymorph-pervers“. Das Polymorphe ist aber nicht dargestellt (und das „Zentrale“ auch nicht). Wäre nicht besser „monomorph“ statt polymorph? Nach Darstellung des Autors ist Perversion gerade durch die Konzentration, auf die Alleinherrschaft einer ganz bestimmten Art von Triebbefriedigung gekennzeichnet. Im Fetischisten geht nichts ohne seinen Fetisch, im Exhibitionisten nichts ohne Exhibition.

Benötigen wir heute noch diese Begriffe? Haben wir sie jemals benötigt? Dies kann sein, aber nicht dies ist der Punkt, sondern, dass sie gebraucht werden, weil sie bloß imitativ übernommen werden, nicht aufgrund eigener Nachprüfung und Beurteilung, also unakademisch, und mit dem erkennbaren Ziel, sich nicht mit der Psychodynamik beschäftigen zu müssen.

Diese Etikettierungen erklären nichts, sondern verhindern das Verstehen. Sie.verdecken nur die inneren Konflikte, um die es geht. Sie verhindern das Nachdenken und Nachforschen um die innere Welt. Das Etikett als Feigenblatt. Motiv ist Bequemlichkeit. Vielen Analytikern ist es zu mühsam, sich um die Psychodynamik zu kümmern.

Statt sich Gedanken darum zu machen, ob ein Verhalten als „Perversion“ oder nicht einzuordnen sei, sollte man sich mit dem befassen, was im Patienten (und im Analytiker) innerlich abläuft. Dies ist freilich anstrengend.

Etikettierungen hat die Psychoanalyse immer – zu Unrecht – der Psychiatrie vorgeworfen und „tieferes“ Verstehen für sich in Anspruch genommen.

Aber auf lange Sicht siegt immer erneut die Bequemlichkeit. Gerade das Wort „polymorph-pervers“ ist eine typische, gestanzte, gedankenlose Zwei- Wörter- Floskel, die ihre Verbreitung nur der Suggestion verdankt. „Pervers“ reicht anscheinend nicht, eindrucksvoller klingt es mit dem Zusatz „polymorph“, als Fertiggericht, das man zu verzehren habe.

Welchen Sinn soll es haben, Kinder (auch Erwachsene) hiermit durchweg zu pathologisieren? Das Wort hat jetzt Konkurrenz erhalten von unzähligen weiteren festen Wörterkombinationen, so gender mainstreaming. Freud hat damit begonnen, der Kleinianismus hat dies fortgesetzt („Paranoid- halluzinatorisch“) und ganze Kontinente haben diese suggestiven Doppel- Wörter gedankenlos nachgesprochen. Sie haben sich nicht verbreitet, weil sie den Sachverhalt treffen würden, sondern weil sie suggestiv sind.

Immerhin liefert der Autor dann doch noch (S 64) eine brauchbare Definition für „pervers“: Eingeschränkte, im Grunde nicht vorhandene Spielfähigkeit.... Unfähigkeit zu tolerierter Ungewissheit.. über das Sexuelle hinaus allgemein auf die Objektbeziehungen, auf das Denken und die Verarbeitung von Emotionen...frühe Störung in der Mutterbeziehung (womit der Autor dann sogleich die Standard- Erklärung anfügt, - da ist sie wieder, die beliebte böse Standard-Mutter (Verf. hier), wie früher einmal die double- bind -Mutter, die schuld an der schizophrenen Psychose ihrer Kinder sein sollte, -  jetzt hat sie nicht richtig gespiegelt und ist dadurch schuld an der Erkrankung des Patienten. Fonagy mit seinen kümmerlichen, laienhaften Falldarstellungen, die nicht das zeigen, was er mit diesen zeigen möchte, lässt grüßen. Es wird nicht lange dauern, bis man ein anderes Versagen der Mutter als Ursache psychischer Erkrankungen ausmachen wird. Ein Schelm, wer hier einen vertrackten Antifeminismus vermutet.

Übrigens endlich ein Autor, der, wenigstens einmal, – korrekt – schreibt: „Psychotischer Persönlichkeits- Anteil im Bionschen Sinn.“

Besonderen Wert legt der Autor auch auf die sog. Frankfurter Schule mit den Konzept von der Szene (S 11), das sich international nicht durchgesetzt hat und sich manche Einwände gefallen lassen muss, - die schlimmsten, aber nicht die einzigen, sind die der Überflüssigkeit und des uneingelösten Anspruchs auf diagnostischen und therapeutischen Erfolg) nach Lorenzer und Argelander. Der im Buch öfters verwandte Begriff „Szenario“ und „Protagonisten“ (S 12) ist nicht besser, im Gegenteil, unbedacht klingt hier die andere Welt des Theaters, der Weltbühne, an die man sich zwecks besserer Akzeptanz anhängen möchte, und des Theatralischen, des Aufmerksamkeit Heischenden, des großartigen Scheins an.

Ebenso sind die beiden Teilnehmer keine Vorkämpfer, keine Darsteller, keine Haupt- „Figuren“ („Protagonisten“) wie etwa in einem Film, es wird nicht eine Schau abgezogen, wenn wir unsere Arbeit machen.

Wir benötigen keine solchen Anlehnungen an die Theaterwelt, wir haben uns mit den beiden Innenwelten und ihrem Einfluss aufeinander zu befassen und allenfalls damit, wie diese sich uns zeigen. Wir möchten nicht inszeniertes, sondern tatsächliches Leben untersuchen. Es handelt sich auch nicht um irgendwelche aus dem Off hereintönende Erzählungen oder aus dem Off auf die Bühne geschobene Verstorbene, auch nicht um ein Puppenspiel.

Auch die Patienten suchen uns nicht auf, um eine Theatervorstellung zu geben oder zu sehen, auch wenn dies unterläuft. Aber es ist nicht ihre Motivation zur Behandlung, und es ist auch nicht unsere. Weder der Patient will eine „Figur“ sein noch der Analytiker.

In seinem „abschließenden Plädoyer für das szenisch-sinnliche Verstehen, Fazit“ (S 188-189, meint er hier „szenisch“ oder will er hiermit das Körperliche einseitig betonen?) fasst der Autor noch einmal das komplizierte Thema meisterhaft zusammen, verweist aber zur Begründung des Begriffs „Szene“ auf die „analytische Gruppe“ und auf die „Verständigung unter Kollegen“, auf Veröffentlichung und die Ausbildung (jeweils S 189).

Dies bestätigt den Verdacht, dass es um außeranalytische (i.S. von außerhalb der Behandlung liegende) Ziele geht, von denen der Autor doch gerade Abstand halten wollte, ja, die gerade er an anderer Stelle als unzulässige Außeneinflüsse geißelt.

Die „Szene“ wird also zur Demonstration, um nicht zu sagen, zum Beeindrucken, gebraucht, nicht für die Analyse selbst. Eine „Szene“ also für Zuschauer und den Analytiker, nicht zugunsten des Patienten, darin also theaterhaft, showgeschäftig..

Wir arbeiten jedenfalls nicht mit Theater- oder Filmeffekten, nicht mit Fiktionen, sondern mit innerseelischen Abläufen. Es ist ein großes Missverständnis, in der Theaterwelt eine Welt der Psychologie oder gar der Psychoanalyse zu sehen. Sie ist eine eigene Welt. Soll Strindberg ein Ehetherapeut gewesen sein? Theater war nie Abbild des Psychischen. Weder der Analytiker noch sein Patient sind Schauspieler, Regisseure, Bühnenbildner, Beleuchter, Kameramänner oder Puppen in einem Puppentheater. Psychoanalytiker sind auch nicht etwa mit einem Netzwerk aus der Theaterwelt vernetzt. Vielleicht möchten sie dies sein, aber sie sind es nicht, auch nicht mit Schauspielern, Bühnenarbeitern, Regisseuren, Beleuchtern, Kameramännern, haben auch mit Puppen nichts am Hals.

Aber selbst für die Zuschauer dürfte der Begriff „Szene“ überflüssig, sogar eher irritierend sein, weil er etwas Unseriöses, Flatterhaftes ausstrahlt. Die Aura eines Wortes („Szenen einer Ehe“, „Scener ur ett äktenskap, Ingmar Bergmann 1973, „Bettszenen“) ist nicht zu vernachlässigen. Den Sprachgebrauch zu missachten, ist ein narzisstisches, selbstgefälliges Erbe Melanie Kleins und nur eine Belastung für uns selbst, auch für unser Ansehen. Auch die Zuschauer möchten nur erfahren, was sich in der Analyse in den Innenwelten abspielt. An „Szenen“ ist niemand interessiert. Das Wort „Gesamtgeschehen“ (Verf. hier) etwa hätte es auch getan.

Auch in diesem Schlusswort kann sich der Autor nicht von seiner (und vieler Anderer) Fixierung an das Modell der Infantilität lösen (S 189: „leibliche infantile Beziehungsmatrix“).

Das, was der Autor sagen will, wäre auch nicht weniger gesagt ohne dieses Konzept von der Szene, und anders, als der Autor schreibt (S11), ist das Konzept von der Szene durchaus nicht „zentral“. Der Grund ist ganz einfach: Es ist schlicht entbehrlich.

Hier wie an anderen Stellen kann sich der Leser nicht des Eindrucks erwehren, dass Haustradition bemüht wird, wo es ebenso gut oder besser ohne diese ginge. Vielleicht stehen diese Verbeugungen vor der Verdiensten des Hauses eher den Intentionen des Autors unbemerkt entgegen und sind eher ein Hemmschuh, ein Ballast, für sein sonst scharfsinniges Denken, - dieses übrigens zuweilen zu Intellektualisierungen und Rhetorik abfallend.

Dankbarkeitsrituale oder solches, was an diese erinnern kann („wo ich meine Ausbildung machte“, - und was wäre, wenn er sie woanders gemacht hätte?), helfen nicht weiter, da sie nicht argumentativ sein können, vielmehr auf das Fehlen einer Argumentation hinweisen.

Das erklärte Ziel (S.10) ist es, Unbewusstes auch in der Verknüpfung mit Sinnlich- Leibhaftem, in sich und im Patienten, zu erfassen. Der Autor ist sich der Schwierigkeiten bewusst - und widmet sich ihnen ausführlich -, dies wenigstens ab und an in einer Analysestunde zu leisten. Der Autor betont mit Recht hier die Gefahr, dass Erleben des Leiblichen - in sich und im Patienten - leicht durch bloße Vorstellungen davon und Denken darüber („Denken über“, S 10), also durch Abwehr des körperlichen, „sinnlichen“ Erlebens in Form von Intellektualisierungen (Verf.) verhindert wird oder verlorengehen kann.

Der Autor lässt hier wiederum eine gewisse Phobie erkennen, diese Abwehrform zu nennen, er belässt es bei „Denken über“. Warum darf denn der wichtige Begriff „Abwehr“ beim Autor so gar nicht mehr auftauchen? Handelt es sich hier um bloße Anpassung an das gegenwärtige Ausbildungsinstitut, an die Sprache Klüwers oder liegen andere Gründe / Motive vor? Leben wir jetzt in einer abwehrlosen analytischen Welt? Wo ist denn hier der Respekt vor der Tradition?

Die Vernachlässigung des Begriffs der Abwehr ist umso bedauerlicher, als Intellektualisierungen in der psychoanalytischen Tätigkeit ohnehin ständig drohen. Es handelt sich um die bekannte, vielbeklagte und beklagenswerte Berufskrankheit der Psychoanalytiker, die besondere Aufmerksamkeit verdient.

Eine Gesamtwahrnehmung mitsamt der leiblichen Dimension, auch der gegenseitigen Rückwirkungen (Reflexivität), die wir pauschal und unbewusst, auch bewusst, verwerten konnten, hatten wir immer schon. Der Autor versucht aber mit Erfolg, von der Pauschalität wegzukommen und zu einer detaillierten Betrachtung zu kommen.

Bei dem Versuch der gesonderten Verwertung können wir aber auch überfordert sein, sogar dem Tausendfüßler- Problem erliegen.

Es ist, wie erwähnt, schwer verständlich, warum der Autor manchmal zwar Abwehren richtig beschreibt, sie aber nicht als solche benennt, wie etwa Vermeidung, Intellektualisierung, ebenso warum er Regression nicht als Abwehr im Patienten beschreibt, sondern nur als wünschenswerten Zustand im Patienten, der eine Therapie von Grund auf ermöglichen soll und mit dem der Patient am besten schon in die Therapie eintritt, - nach Renik eine naive, sentimentale, romantische Vorstellung, von den „tiefsten Tiefen“ aus, gleichsam aus dem Samenkorn, ein Seelenleben wieder „aufbauen“ oder erstmals aufbauen zu wollen.

Wie ausgeprägt die Abneigung des Autors gegen die Abwehranalyse und deren Terminologie ist, zeigt auch in anderen Äußerungen, so auf S 94: „.anders als bei den Neurosen (die im Verständnis des Autors offenbar späte Störungen sind), wo die das Missverstehen des Patienten strukturierende Absicht als unbewusste Sinnfigur in Gestalt einer sich konturierenden dramatischen Szene (da ist sie, die Szene, wieder, Anm. des Verf.) greifbar wird.“

Nur nicht von Abwehr schreiben, etwa in Form von Negation, Identifizierung mit dem Aggressor Analytiker, Wendung gegen die eigene Person (Selbstschädigung des Patienten), beiderseitiger Vermeidung (vom neurotischen Konflikt zu sprechen), aber auch nicht in Form sog. „archaischer“, „früher“, „primitiver“  Abwehrformen. Hier kann der Leser explizit erkennen, wozu eine intellektualisierende Sprache einschließlich fleißigen Zitierens von Begriffen wie „Szene“, „Sinnfigur“ und „dramatisch“ dienen muss, nämlich zur Ablenkung von unseren Aufgaben, einen inneren, symptomrelevanten Konflikt zu lösen. Wir benötigen keine „dramatischen Szenen“, keine „Sinnfiguren“ (ein literarischer Terminus) und keine „strukturierenden Absichten“ und auch keine verquasten Sätze, und wir befinden uns nicht in der Theater- und Filmwelt, es geht nicht um Bühneneffekte,  sondern um Motive wie Ängste, Schuld- und Schamgefühle und deren Abwehr, um die inneren Konflikte eines Patienten zu verstehen.

Der Autor hält sich in seiner Nomenklatur an die Objektpsychologie, einschließlich Kleinianismus. Aber auch von kleinianisch-objektpsychologischen Abwehrformen ist wenig zu lesen.

Wie kommt das?

Hat hier ein Institut einen hemmenden Einfluss genommen? Auch eine Lehre von den „unbewussten Phantasien“ (Klüwer), die nach dem topographischen Modell zu entdecken seien, aber nicht aufgeschlüsselt werden , etwa nach Trieben / Wünschen, Ängsten, depressiven Reaktionen auf einen eingetretenen Verlust, Schuld - und Schamgefühlen, eingesetzten Abwehren?

Ist hier das Vorbild Klüwer? Glaubt der Autor, mit der bloßen Aufdeckung unbewusster unangenehmer Affekte oder sogar bloßer „Phantasien“ ohne Interesse an unbewussten Motiven, womöglich, indem man den Patienten auf diese hinweist (sind dies analytische „Deutungen“ oder nur sog. Material-Deutungen, diese dann auch meist ohne Berücksichtigung der Übertragungen und Gegenübertragungen auf beiden Seiten)?), einen Patienten behandeln zu können, - ohne Bearbeitung der stets wachen Abwehr und ohne aktive Mitarbeit des Patienten selbst? Der Analytiker als Gutsherr der Deutungen? Als Angler nach dem „Unbewussten“? Ist Konfliktpsychologie begraben, hat man die Strukturtheorie aufgegeben?

Haben ausgerechnet Frühe Störungen oder solche, von denen man, oft leichtfertig, solches behauptet, und Traumen keine inneren Konflikte, namentlich auch keine Abwehren? Wie könnte dies sein?

Wer soll mit welchen Mitteln diese Störungen von inneren Konflikten für alle Zeiten befreit, gegen diese immun gemacht haben?

Die Modeströmungen wollen es so, und sie bestimmen die Themen auf Kongressen, Tagungen, Seminaren, in Ausbildungsinstituten. Die Themen sind von vorneherein so formuliert, dass Erörterung von inneren Konflikten nicht in Frage kommt.

Der Autor hat aber immerhin doch noch ein Herz auch für die Konfliktpsychologie (S 20-21), wenn er schreibt: „...nach wie vor große Fruchtbarkeit ...der psychoanalytischen... Konflikttheorie, der Spannung zwischen Lust und Hemmung..“ Aber er vernachlässigt sie.

Abwehranalyse hat den Vorteil, dass sie sich nicht mit allen psychischen Vorgängen, etwa mit „dem Innersten“ oder mit irgendwelchen – tatsächlichen oder vermeintlichen- „Phantasien“ oder „Grundphantasien“(so Klüwer) zu befassen hat. Sie sieht nach solchen, die konflikt– und somit symptomrelevant sind und somit die Entwicklung stören. Es wird zu wenig danach unterschieden, namentlich wird zu wenig nach gesund und krank unterschieden, auch, weil man dies nie in der Ausbildung erlernt hat, namentlich auch nicht in einem bloßen Psychologiestudium die Gelegenheit dazu hatte, andererseits auch willkürlich pathologisierte, ohne einen Abgleich mit dem Alltags- und Normalleben vorzunehmen, was die gleichen Gründe hat. Wir müssen uns keineswegs mit allen Phantasien befassen. Es hat keinen Sinn, allem die gleiche Aufmerksamkeit zu widmen. Die Forderung nach „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ ist nicht nur illusorisch, weil es eine solche nicht geben kann (Lit. dazu gibt es genug), sondern sie schadet auch, indem sie zu unterschiedslosem Drauflosanalysieren verleitet, in der Regel auch unter Missachtung der Übertragungen und Gegenübertragungen, und wegen der notorischen Ablenkung vom Wesentlichen unnötig Langzeitanalysen nach sich ziehen muss..

Ein Beispiel: Ein 26j. Mechaniker bringt (eine leibliche Handlung) eine Zeichnung mit in die Stunde und trägt dem Analytiker auf (! ebenfalls eine leibliche Handlung), sie zu deuten. In der Gruppensupervision wurde nun gerätselt über die Bedeutung dieser Zeichnung, statt darauf zu sehen, was es bedeutet, dass der Patient dem Analytiker einen Auftrag erteilt. Das war mehr sog. „Materialanalyse.“(„ist das eine Brust? Ist das ein Hintern? Sind das zwei Welten? Ist das eine Scheide? Ist das Kot? Meint er damit seine Mutterbeziehung? Oder beide Eltern?“, und ähnliches „Angeln“ nach dem Unbewussten, Wühlen in Einzelheiten des Materials, willkürliches Spekulieren damit, unter Missachtung der Übertragung/Gegenübertragungssituation) Selbstverständlich wollte der Patient mit seiner Zeichnung auch etwas in der Übertragung sagen. Aber die leibliche Handlung als solche war zuerst und direkter als übergeordnete Übertragungshandlung zu analysieren (hier z.B. als Versuch, die Initiative an sich zu reißen und den Analytiker zum Zuschauer und Empfänger zu machen. den Analytiker zum Schüler zu machen und ihn eine Aufgabe lösen zu lassen, und sich selbst zum zensurgebenden Lehrer hochzustilisieren. Es handelte sich um einen Patienten, der seine Wünsche nach Überlegenheit nur nach und nach demonstrierte, die meisten davon noch in petto wie Pfeile im Köcher hielt. Ein analytisches Vorgehen wäre gewesen, die Bedeutung dieser Handlung zu analysieren, etwa „Sie können mir diese Zeichnung mitbringen, aber es fällt Ihnen schwer, zu sagen, was in Ihrem Kopf dabei vorgeht“...  „wie sich dabei fühlen“.  Wenn der Patient dann sagt, der Analytiker wisse doch mehr und solle sagen, was er davon hält, wäre meine Antwort: „Das mag sein, dass ich etwas mehr weiß, aber auf meinen Kopf kommt es nicht an, sondern auf Ihren, und es würde Ihnen wenig nutzen, wenn ich Ihnen sagen würde, was in meinem Kopf vorgeht. (Erst im Nachhinein bemerke ich, dass ich – nicht zufällig - von meinem und seinem Körper spreche). Sie haben es in Ihrem Kopf und können selbst darauf kommen.

Hiermit würde die Abwehr seiner inneren Motive (wohl, die Handlungsinitiative zu erreichen, nach Überlegenheit, vor allem auch des „verbotenen“ Genusses daran ((besonders streng dieser abgewehrt, denn Überlegenheit allein ist wenig, aber der Genuss daran viel)), an seiner Überlegenheit oder phantasierten Überlegenheit)) in Form von Vermeidung, über diese zu sprechen, und durch Verschiebung auf ein Blatt Papier, beides in der Übertragung, gedeutet und der Patient auf seine eigene Fähigkeit, seine Abwehr zu erkennen und danach selbst auf seine Motive zu kommen, verwiesen.

Er bekommt das nicht vorgekaut. Der Selbsterwerb zählt.

Auch die Gegenübertragung wäre hier zu beachten: Der Analytiker muss sich doch wie ein Schüler behandelt gefühlt haben. (Deutung wäre evtl.: „Es liegt Ihnen daran, mein Lehrer zu sein, aber es fällt Ihnen nicht leicht, darüber zu sprechen und auch nicht, warum Ihnen dies wichtig ist. Sie können es einstweilen nur durch diese Handlung sagen... es fällt Ihnen schwer, von Ihrem Genuss dabei zu sprechen“). Es geht dem Patientin hier ersichtlich um intensive Wünsche nach Überlegenheit und deren Genuss, sowie um deren Demonstration und um Ängste, sich diese nicht erfüllen zu können, vermutlich auch um Vergeltungsängste für diese „verbotenen“ Wünsche“.

Mit meinen Abwehrdeutungen wäre ich hier immerhin an der Leiblichkeit geblieben. Ich möchte zeigen, wie nutzbringend konsequente Abwehranalyse auch für leibliche Äußerungen (Papier mit Zeichnung ausgehändigt) in der Übertragung und Gegenübertragung sein kann.

Die konzentrierte Behandlung von inneren Konflikten ist übrigens auch der Auftrag des Patienten und seiner Versicherung. Wir sind damit keineswegs unterbeschäftigt. Im Gegenteil haben wir Mühe, dies zu leisten, und können uns freuen, wenn dies uns wenigstens teilweise gelungen ist.

Hingegen ist häufig das Fingerspitzengefühl für die wichtige Unterscheidung von Pathologie und Gesundheit zu vermissen, oft auch die dazu notwendige systematische Überlegung. Das „Material“ (nonverbales und verbales) wird statt dessen nicht nach Rang gesichtet, sondern unterschiedslos als angeblich gleichrangig entgegengenommen, im Sinne einer angeblich gleichschwebenden Aufmerksamkeit. Eine solche ist zum Glück gar nicht erreichbar, denn sie würde einer Konzentration auf den zu behandelnden Konflikt entgegenstehen.

Die unbewussten Phantasien bds. und die leiblichen Botschaften bds. „verführen sich gegenseitig“. Die Anspielung auf Sexualität („Verführung“) ist irreführend und überflüssig. Es wird ja so z.B. auch Aggressives oder Anderes mitgeteilt. Hier wäre auch mehr Genauigkeit gefordert.

Welche „Phantasien“ sind gemeint? D i e  Phantasie gibt es nicht, und wir brauchen sie auch nicht. Wir benötigen den Blick auf Abwehrformen, auf Ängste, Schuld- und Schamgefühle und depressive Stimmung nach Verlust, und zwar solche, die symptomrelevant sind.

Was versteht der Autor unter Deutung? Offenbar nur die Versprachlichung (S 12-14) des „Geschehenen“. Was aber ist das „Geschehen“? Es handelt sich hier um doch zu allgemeine Aussagen, - eine Präzisierung wie in der Abwehranalyse ist offenbar nicht beabsichtigt.

Eine bloß sprachliche Darstellung des sprachlichen Dialogs, des Handlungsdialogs (Klüwer), der Role- Responsivness (Sandler), des Enactment (Jacobs) (etwa, hier nicht vom Autor, sondern vom Verfasser: „Sie entwickeln Angst bei dieser Vorstellung“, „Sie haben viel Angst vor Ihrem Vater gehabt“, „Sie sind heute wieder besonders zugeknöpft“, „Eben haben Sie sehr bewegt gesprochen“, „Eben haben Sie eine Unruhe gezeigt“.. „genickt“, „sind Sie sich mit der Hand in die Haare gefahren“ „Vorhin hatten Sie geweint“.. „Ihr Tonfall mir gegenüber war jetzt aber ...“) ist noch keine Deutung im analytischen Sinne, sondern nur Begleitung, Kommentierung.

Hier handelt es sich um Wiederholungen von Geschehenem oder Gesagtem, oft mit etwas anderen Worten, als ob damit schon etwas gewonnen wäre. Das Vorgehen erinnert an das Nachplappern von Wörtern und Sätzen oder Nachführen von Gesten eines Kindes durch seine Mutter. Fonagy („Mentalisierung“) lässt grüßen. Neben der traditionellen Überschätzung der Versprachlichung steht das Regressionskonzept auch hier Pate. Die Erwachsenen werden behandelt wie Kleinkinder, aber selbst diese wären damit nicht gut behandelt. Auch ein Kleinkind wünscht keine Regression, sondern die Progression

Bei dieser Gelegenheit ein Wort zum analytischen Vorgehen (in analytischer Tradition unglücklich „Technik“ genannt und damit eine Präzision vorgebend, die nicht besteht).

Diese ist beim Autor ersichtlich sehr eingreifend: „...“den Patienten mit Argumenten und Richtigstellungen zu widerlegen (S 98)“. Dies kann nur in Ausnahmesituationen richtig sein. Analyse ist kein Debattierklub, und der Analytiker hat nichts zu widerlegen. Der Patient soll selbst darauf kommen, was Sache in ihm ist.

Warum sollte der Analytiker „unerreichbar“ für den Patienten sein (S 99)? Warum sollte ein Patient in der Analyse „in die Isolation getrieben“ werden (S 99)?

Warum sollte der Analytiker „unter Druck geraten, mehr Wissen vorzugeben, als er hat (S 99)?“.

Warum sollte der Analytiker „in komplementärer Gegenübertragungsidentifikation das Nichtwissen mit dem Tod des Analysierens gleichsetzen“ (S 99). Kann das Analysieren sterben? Ist es ein eigenes Wesen mit Geburt und Tod oder ist Analysieren die Tätigkeit des Analytikers?

     Warum sollten „Versäumnisse und Fehler des Analytikers über längere Zeit“(die nie zu vermeiden sind, und dies weiß auch der Patient) eine „unvorstellbare und unverzeihliche Katastrophe“ sein (S 99)?

Überschätzt sich hier nicht der Analytiker dramatisierend in seiner Fähigkeit, Schaden anzurichten, wie sonst im Allgemeinen, einen „tief gestörten“ Patienten „zu retten“?

Der Autor wendet anscheinend keine Abwehranalyse an. Bei dieser kann der Patient selbst sein Ängste, Schuld- und Schamgefühle herausfinden, nachdem ihm seine Abwehr gedeutet wurde. Ihm muss der Analytiker keineswegs sagen, nahe legen oder ihm gar vorschreiben, was er fühlt, wovor er Angst hat und wofür er Schuld- und Schamgefühle hat.

Der Analytiker muss ihn nicht behandeln, als ob er ein Kind sei, und ihm alles „vorkauen“, sondern kann seine Mitarbeit als die eines Erwachsenen einfordern (was der Patient auch gern erfüllt), indem der Patient selbst auf seine Abwehr und das Abgewehrte achten kann. Und dazu braucht man keineswegs Langzeitanalysen.

Die oben aufgeführten unguten Entwicklungen kommen nur dadurch zustande, dass der Analytiker sich wie eine Helikopter- Mutter viel zu sehr abmüht und dem Patienten alles „vorkauen“ will und sich dabei womöglich noch auf seine Einfühlung beruft (und diese allzu gern seinen Kollegen demonstrieren möchte), statt große Teile der Arbeit getrost dem Patienten zu überlassen.

Die beklagte Klagsamkeit des Patienten soll „ein gefährliches destruktives Potential des Patienten binden, das sich sonst in einer tödlichen Erkrankung oder einem Unfall...“? Derart beunruhigen muss sich ein Analytiker gewiss nicht. Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit werden hier mit Dramatisierung verwechselt und durch diese konterkariert.

In seinen spezielleren Ausführungen ist der Autor nicht immer klar verständlich, so auf S 15, wo es heißt: „Das Erleben von Bedeutung und Sinn gruppiert sich vorwiegend um die Empfindungen von Spannung und Entspannung, der inneren Gliederung sinnlicher Ereignisse, um Prozesskonturen und Bewegungselementen, in denen die sinnliche Umwelt mit dem Körper- und Affekterleben verknüpft wird.“

Sich gruppieren? Gliederung? Konturen? Elemente?

Weiter heißt es: „Die Beziehungsebene ist archaisch, Subjekt und Objekt sind nicht getrennt“.

Dies ist wenig wahrscheinlich, um es milde zu sagen. Bei den beiden Teilnehmern handelt es sich um Erwachsene, und sie behalten auch ihre normalen Funktionen. Eine Regression bis zur Auflösung der Subjekt-Objektgrenzen, die immer wieder leichtfertig, lehrbuchhaft, behauptet wird, kann gar nicht stattfinden, und wenn sie sich noch so sehr „entspannen“, etwa auch noch so sehr auf ihre leiblichen Vorgänge achten.

Der Autor hängt offenbar der verbreiteten Auffassung an, als sei der Ausbildungskandidat ein Instrument, auf dem man nach Belieben spielen kann und das dann die Töne  von sich geben wird, die man wünscht, -in Wirklichkeit lernt der Lehranalytiker erst am Ende dieses „Instrument“ kennen, -  als sei Erwachsenen alles möglich, wenn es nur der Analytiker, der Schreibtisch und die Lehrbücher im endlosen „race back“ (Shapiro 1981) so wünschen und so konstruieren. Hier sollen wohl die „Machenschaften“ Heideggers walten.

Es ist unbekümmerter, psychoanalytischer Brauch, hierbei keine Rücksicht auf klinische Befunde zu nehmen, die Anderes besagen. Freie Fahrt für den freien Theoretiker.

Patient wie Analytiker haben gefälligst, wenn die Analyse „gut läuft“, keine Selbst-Objektgrenzen zu haben, denn die Theorie von der Regression verlangt es so. Es ist wie im Schneiderwitz: Der Kunde hat die Figur zu haben, für die der Anzug gemacht ist, - andernfalls muss er eben seine Figur ändern. Das Pferd hat die Hufe zu tragen, die der Schmied angefertigt hat, und nicht die, welche ihm passen, und muss dann eben seine Gangart ändern oder das Gehen ganz lassen und schwimmen gehen.

Nicht einmal ein manifest Schizophrener hat einen Verlust der Objekt- Subjektgrenzen aufzuweisen, außer vielleicht für Momente im winzigen Wahnbereich, und auch hier nur teilweise. Wenn ein Schizophrener Stimmen aus dem Nebenzimmer hört, öffnet er die Tür nicht, - weil er doch weiß, dass diese Stimmen nicht real sind. Wenn er anklagende Stimmen aus seinem Bein hört, schlägt er nicht auf sein Bein ein. Er weiß immer, wer er ist und wer der Andere ist, wie die Aufgabenverteilung ist, was er denkt und fühlt und was der Andere ungefähr denkt und fühlt. Es handelt sich um eine allseits unter Psychoanalytikern ohne psychiatrische Ausbildung beliebte Floskel ohne klinische Belege, ein willkürliches psychoanalytisches Postulat, ein Produkt letztlich des Glaubens an eine beliebige Formbarkeit des Menschen zu einer „Regression“ unter der Einwirkung der Analyse. So mächtig ist aber Psychoanalyse keinesfalls, - wie sie auch entgegen verbreitetem Glauben und Reden nicht in der Lage ist, eine echte schizophrene Psychose auszulösen.

Hier handelt es sich um Machtwünsche und um Idealisierungen der Psychoanalyse ins Großartige hinein, ins Gute wie ins Böse (fast eine Dämonisierung).

Diese sind es, die dazu geführt haben, dass nicht nur außerordentliche, lebensfremde Heilserwartungen (die dann enttäuschen mussten) Fuß fassen konnten, sondern auch übertriebene Vorstellungen von Schäden, die sie - außer natürlich dem Verlust an Lebenszeit, besonders der „childbearing years“ (Wohlberg),  auch einer Verunsicherung oder einer zunehmenden Intellektualisierung - , anrichten könne.

Viele pauschale Behauptungen der heutigen Psychoanalyse ohne klinische Belege erinnern an mittelalterliche Scholastik. So stritt man sich in einem Kloster generations-übergreifend, wieviel Zähne ein Pferd haben möge, nur hineinschauen ins Maul wollte niemand außer schließlich einem Novizen, - der dann mit seinem Anliegen grob abgewiesen wurde.

Der Autor bleibt denn auch den Beweis für eine Aufhebung der Selbst-Objektgrenzen (so im Fall: Ich verrätsele mich immer- da, wo ich spreche, bin ich nichts, S 67 ff, ferner S 83: „Selbst-Objekt- Abgrenzung fließend“) schuldig.

Dieser Beweis ist klinisch zu führen, nicht deduktiv aus einer Theorie, die solches fordert. Aber der Autor verbleibt damit freilich in bester Gesellschaft, ist darin keineswegs ein Außenseiter, sondern kann allgemeiner Zustimmung sicher sein. Wer dem Regressionskonzept, das im Zeittrend liegt, anhängt, kann so denken. Aber ei Zeichen von unabhängigem Denken ist es nicht.

Zum Schluss sei noch auf die erste Fallschilderung des Autors (S 26-34) „Mach doch einfach ins Wasser...“ eingegangen.

Wahrheitsgehalt, Brauchbarkeit sowohl des Textes als auch der Rezension / Kritik müssen / können sich am konkreten Fall erweisen. Denn Theorie ist nicht weniger geduldig als Papier.

Es handelt sich hier um eine ungewöhnlich offene und um größtmögliche Ehrlichkeit gegenüber sich selbst bemühte Falldarstellung eines berichtenden Analytikers. Diese kreist um das erotische Umeinander eines männlichen Therapeuten und seiner kurz vor 30 jährigen, blonden unverheirateten Patientin, also um die „klassische“ heterosexuelle Verführungssituation. Wer den Fall, also den Berichterstatter, und die Einwände des Rezensenten im Einzelnen verstehen will, sollte den Fall selbst lesen. Der Rezensent setzt einfach seine Einwände / Überlegungen zum Text sofort dazu.

     Ihrem „flüssiges Erzählen hört der Analytiker gerne zu, weil es ihn seinerseits zu vielen Einfällen anregt“. Nein, nicht „weil“. Dies ist eine Rationalisierung, ein Scheinbegründung. Nein, er hört ihr gern zu, weil er sich in einer verlockenden Zweierbeziehung unter Erwachsenen befindet und die Patienten attraktiv ist bzw. er sie attraktiv findet und weil abgesperrt ist (rote Lampe im Flur heißt: Nicht betreten! Nicht stören!) Diese Lampe hat die Funktion eines Sperrschlosses, das geschlossen ist, und bereits die Farbe Rot hat eine unbedachte, wenn auch nicht vom Therapeuten zu vertretende, erotische Konnotation. Er hat nicht nur „ein positives Hintergrundsgefühl“, wie er angibt. Mit dieser Formulierung wehrt er ganz andere, gewiss mehr vordergründige und lokalisierbare leibliche Gefühle und vor allem deren rechte Einordnung als erwachsen-sexuell ab.

Hier liegt Abwehr durch Verschiebung „nach hinten“ („Hintergrund“ statt „Vordergrund“, denn es handelt sich nicht um das Hintere, sondern das Vordere am Mann), Isolierung vom sexuellen Gefühlsinhalt, Idealisierung der analytischen Situation (zu einer nichtsexuellen, obwohl sie dies ganz offensichtlich nicht ist und naturgegeben nicht sein kann, denn so sind wir veranlagt, ohne uns übrigens selbst so gemacht zu haben), Intellektualisierung („eigenartige Veränderung“ im Analytiker, „positive Erwartung einer Idee“). „Eigenartig“? Die Veränderung ist nicht eigenartig, sondern selbstverständlich.

Der Analytiker fühlt sich „wie trocken gesetzt und zugleich überschwemmt“, in „gestauter Anspannung“, „alle Spannung sich in einem.... gemeinsamen Auflachen“ löste (Selbstwahrnehmung der Mundtrockenheit bei Erregung und der sexuellen Bereitstellung an anderer Stelle einschließlich lubricatio, Verschiebung des gemeinsamen Höhepunkts auf gemeinsames, harmloses Lachen, „ dessen Wellen sich der Analytiker sich gerne eine Weile überließ.. lustvolle Heiterkeit“), interpretiert dies aber z.T. viel zu körperfern (Intellektualisierung). Es sind die Wellen der Erregung und die sexuelle Lust der Erwachsenen, deren Wahrnehmung abgewehrt werden muss, und nicht die „Prozessgestalten“ (Intellektualisierung).

Die Erinnerung an eine urethrale Absicht in ihrer Kindheit (s.Titel des Textes), bei der sie versucht ihre Badehose beiseite zu schieben, um leichter ins Wasser urinieren zu können, und das Gefühl, von ihrem Onkel dabei ertappt zu werden: Dies nimmt der Analytiker als „selected fact“, „als ausgewählte Tatsache“ und bringt diese mit der Übertragungs- Gegenübertragungsituation zusammen.“

„Die Patientin ist in Analyse und die dadurch ausgelöste Regression...“.,,,“die psychoanalytische Situation induziert. .eine psychisch regressive Bewegung“...:

Der Analytiker scheint Regression in der Analyse für selbstverständlich zu halten oder sogar für ein Erfordernis. Dass eine Regression in einer Analyse stattfinden soll und überhaupt kann, wird aber heute durchaus auch bestritten (so von dem US- Amerikanischen Analytiker Renik, auch von Gray, Krill 2008). Andernfalls sollten auf der Couch Schnuller und Windeln bereitliegen, auf Kosten von Mutter Krankenkasse. Beides ist auch auf dem Hin- und Rückweg zu tragen, um sich einzustimmen Untersuchungen haben gezeigt, dass dann die Stunden wesentlich erfolgreicher verlaufen und Einwände gegen die Regression verstummen.

Sie müsste auf jeden Fall klinisch, also mit dem Verlauf der Analyse, dargestellt sein, und dies ist hier nicht der Fall.

     Von einer Progression ist nie die Rede, obwohl diese von jedem Patienten ersehnt wird, denn sie gehört zu den normalen Wünschen. Der Patient dürfte seine progressiven Wünsche nach Entwicklung, Wachstum, Konfliktfreiheit und namentlich nach immer besserem Kontakt mit Anderen (eine innere Hoffnung und Voraussage, vermutlich die gesamte psychosoziale Entwicklung wiedergebend) antizipierend längst – wohl auch mit Hilfe von Träumen- mit der äußeren Wirklichkeit und mit der Wirklichkeit abgeglichen haben, die er im Kontakt mit dem Analytiker erfährt, und so zu vermehrten Eigenanstrengungen gefunden haben, die Außenwelt und den Analytiker besser zu verstehen und in diesem Sinne zu rasch wirkenden (Abwehr-)Deutungen und direkt ermunternden Interventionen zu bewegen.

Der Analytiker muss, wenn er schon an die Notwendigkeit einer Regression in der Analyse glaubt, achtgeben, dass er mit Deutungen in dieser Richtung nicht nur das Innenleben, namentlich den inneren unbewussten Konflikt des Patienten nicht verstanden und somit seine stillschweigenden Versprechungen nicht eingehalten hat, sondern auch keinen Kollateralschaden anrichtet, sozusagen als unerwünschte Nebenwirkung. Dieser kann darin bestehen, dass der Patient in die falsche Richtung gezwungen wird, sozusagen entwicklungsdisform die falschen Weichen gestellt werden. Und es spricht viel dafür, dass mit „Regression“ eine falsche Weiche gestellt wird, denn seit frühester Kindheit ist der Verlauf , das Verhalten, die inneren Vorgänge auf Zukunft, auf Entwicklung, auf Richtigkeit der Vorhersagen eingerichtet. Es ist ja immer die Frage, was eine Deutung aktiviert (stimuliert) und was sie unterdrückt. Die verbalen und leiblichen Äußerungen der Patienten sind nicht so sehr vergangenheitsgerichtet, sondern aufgabengerichtet, d.h. sie sind besser als Suchbewegungen in Richtung Zukunft zu verstehen und entsprechend therapeutisch zu würdigen, d.h. abwehranalytisch auf Abwehren solcher Suchbewegungen zu untersuchen..

Die leiblichen Äußerungen zeigen wahrscheinlich weniger die Vergangenheit, namentlich die Mutter- Kindbeziehung, als die Zukunft, in die sich das Individuum bewegen möchte und bewegen wird. Die traditionelle Rückwärtsgewandtheit der Psychoanalyse hat den Blick auf Progression, auf die Zukunft verstellt. Zu den leiblichen Äußerungen gehören. z.B. auch die cerebralen Vorgänge, die bereits nachweisbar sind, bevor, man weiß, was man sprechen, bewegen, denken wird. Das Händegeben am Anfang oder Schluss einer Sitzung ist vor allem ein Fingerzeig (präsent!), der auf das Vorhaben hinweist („Wir wollen eine Stunde beginnen“ „Wir wollen diese Stunde hiermit beschließen, und „Ich will jetzt nach Hause gehen“ bzw. „Ich will jetzt den nächsten Patienten behandeln“. Mit einer bestimmten Mimik wir mehr ausgedrückt, wie es in einer Beziehung weitergehen soll und wird, als, wie die Beziehung in der Vergangenheit war. Die leibliche Dimension ist auf ihre Fähigkeit zur Voraussage nicht untersucht worden, abgesehen davon, dass diese diagnostisch und therapeutisch weit gewinnbringender sein dürfte als eine Verbindung mit der Kindheit, namentlich der Mutter- Kindbeziehung. Die Mutter- Kindbeziehung ist sogar besonders weit weg und nähert sich in ihrer Bedeutung der Anekdote, also einem Fragment, das seine Erwähnung nicht wert ist, wenn es auch der bloßen Unterhaltung, dem Amusement, auch der Ablenkung von etwas Wesentlicherem, dienen kann. Auch wäre eine Formulierung denkbare wie: Die „Mutter-Kind-Beziehung hat ihre Schuldigkeit getan, sie hat nun ausgedient, indem sie ein Muster gesetzt hat, das fortan abgewandelt wird, abgewandelt werden muss. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Mutter- Kindbeziehung ist am wenigsten in der Zukunftsperspektive präsent, sie ist entfallen. Man kann sich vielleicht noch an sie erinnern, aber man benötigt sie nicht mehr. Sie war wichtig, sogar lebenserhaltend, jetzt ist sie es aber nicht mehr, schon lange nicht mehr. Unter diesem Gesichtspunkt kann auch gefragt werden, ob das notorische Rekurrieren auf die Kindheit in der Psychoanalyse nicht nur den Blick für die Entwicklungspotenzen (und Voraussagen)verstellt, sondern auch entwicklungsdisform wirkt.

Ein Beispiel aus eigener Praxis:

Eine 32 j. Patientin mit einer mittelgradigen Claustrophobie (Angst in U-Bahnen, Aufzügen, Flugzeugen, aber auch in allzu engen Beziehungen) kam wegen dieser Phobie, aber auch wegen unerfüllter Schwangerschaftswünsche. Die Analyse zog sich hin, die Abwehren insbesondere durch Vermeidung von Engesituationen und die dabei entstehenden Ängste, erdrückt zu werden, keine Luft mehr zu bekommen, sich nicht durch Fortlaufen befreien zu können und so schließlich sterben zu müssen, konnten mit Erfolg bearbeitet werden, sodass die Patientin sich den gefürchteten Situationen nunmehr mit nur noch wenig Angst aussetzen konnte und sie darin nicht mehr behindert war. Es blieb aber der unerfüllte Kinderwunsch. Pärödipale und ödipale Konflikte waren eruierbar und wurden bearbeitet, sodass auch hier Ängste, besonders die, nicht so gut wie ihre eigene Mutter sein zu können, vermindert werden konnten. Sie wurde aber erst schwanger, nachdem ein Perspektivewechsel vollzogen wurde. Es ging nicht mehr um Ängste, die in der Vergangenheit geortet werden konnten und die wohl noch weitergewirkt hatten, als vielmehr um ausgiebige Zukunftsphantasien, ebenfalls unter Bearbeitung der dabei auftretenden Abwehr von Wünschen („Hoffnung“ einer präsumptiv Sich-in- guter- Hoffnung- Befindlichen) und Ängsten. Die Zukunft wurde mit Befruchtung, früher Schwangerschaft, Schwangerschaftserbrechen, Anschwellen der Brüste, Verhalten des Ehemanns und von Bekannten und der Eltern und Geschwister, dickem Bauch, Sitzplatzvorteile, Schwangerschaftsgymnastik, Ernährung, Schwangerschaftsurlaub, das regelmäßige Aufsuchen von Ärzten, Mitteilung an die Verwandten und Bekannten, Aufsuchen einer Klinik (mit Namen und Anschrift, in der Nähe ihrer Mutter), Geburt im Kreissaal unter Assistenz erfahrener Schwestern und Ärzte, auch eine kürzere Reise, dann das erste Halten des Kindes, das erste Stillen, das Sillen zu Hause, die ersten Krabbelversuche, das erste Laufen, das spielen mit anderen Kindern, der erste Schultag usf. in unzähligen Einzelheiten ausphantasiert, somit vorphantasiert und Abwehren dieser Wünsche bearbeitet.

Selbst wenn in der Analyse eine „Regression“ erreicht würde oder der Patient sie bereits erreicht hätte (was ich beides bezweifle), würde ein Analytiker nicht darum herumkommen, die Konflikte auf dieser Entwicklungsstufe analytisch zu lösen. Davon ist aber nicht viel zu sehen.

Die offenbar angestrebte „Mentalisierung“ soll ohne Bearbeitung früher Konflikte zustandekommen, offenbar nur durch Empathie und fleißiges „Spiegeln“ (falsches Wort, gemeint ist eine emotionale Antwort des Analytikers).

Das kann nicht reichen.

Nachträgliches Verstehen und Nachfühlen kann ohnehin nicht den gleichen therapeutischen Stellenwert haben wie Antizipation der Zukunft.

Deutungen dürften nicht immer nur dort wirken oder nicht wirken, wohin sie zielen, sondern auch „danebentreten“, dort sogar vielleicht mehr.

Das Gleiche dürfte auch für Äußerungen der Patienten nach vorherigen analytischen Deutungen gelten. Neben Äußerungen und Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen der Patienten auf Deutungen hin gibt es immer eine Art „Beifang“, der definitionsgemäß unerwünscht ist, als Abfalls“ unbeachtet bleibt und vernichtet wird (durch Verdrängung, Negation, also Neglect). Umgekehrt wäre es auch interessant, gerade diesen Beifang zu untersuchen. Es kann sich um besonders interessantes Material handeln, das sich durch Unauffälligkeit und Banalität tarnt. Das einzige Zeichen von Abwehr kann darin zum Vorschein kommen, das es auffällig unauffällig ist. Ein solcher Beifang kann zu einer „Antistory“(Power 2001, Krill 2008) gehören und zur „Antivignette“ (Grossmann, L 1999, Blechner 2001), Krill 2008) werden (Krill 2008, 230-234).

     Mit diesen ist bei Fallvorstellungen und Vorträgen naturgemäß kein Staat zu machen, vielmehr nur Bloßstellung und Spott zu ernten.

Tatsächlich weiß aber jeder von uns Analytikern, dass viele Stunden und große Strecken in der Stunde von beiderseitigem Unverständnis, Verwirrung, verständnislosem Angespanntsein, also einer „schlammigen Situation“ (Grossmann, L.1999, Krill 2008, 229) und „Fehlstellen“ (s. Krill Gruppenanalyse Neu 2013) gekennzeichnet sind.

Nicht weniger wird das Phänomen verworfen, dass oft der Patient unbewusste Vorgänge im Analytiker besser erkennt als dieser selbst (Hoffmann I. Z. 1983). Auch dies wird als Abfall entsorgt, durch Nichtbeachtung.

Diesem „Beifang“ und „Abfall“ in Form von „schlammigen Situationen“ ergeht es noch heute so wie bisher mit der leiblichen Dimension bis zur Erscheinen dieses Buches. Da müssen Verbindungen bestehen, die noch zu erforschen wären. An Gemeinsamkeiten ist im Augenblick nur die Verachtung zu erkennen, welche diese Phänomene erfahren. Wie wäre es, wenn sich der gleiche Autor dieser Frage annehmen würde?

In Einzelfalldarstellungen dürfte der Weg vorgezeichnet sein. Aus vier Stunden müsste ein Autor eine auswählen, deren Darstellung besonders prestigeträchtig, stimmig, einheitlich, storyhaft usw. erscheint, also zum Vortrag bestens geeignet erscheint. 

Dann sollte er die schlechteste Stunde ansehen, eine Stunde, die er auf keinen Fall vortragen möchte.

Aus dieser schlechtesten Stunde müsste er aus sog. „Fehlstellen“, Unverständnis, unvorhersehbaren Reaktionen des Analytikers selbst und des Patienten eine These formulieren, und in den folgenden Stunden wieder die schlechteste heraussuchen. – Dann mal sehen, ob man einen Verlauf erkennen kann. Das hat noch niemand getan, und hier könnte sich ein Analytiker durchaus noch Lorbeeren verdienen.

Unter diesem Gesichtspunkt sollten Einzelfallbeschreibungen noch einmal genau gelesen sein.

Der Analytiker meint nun, die „durch die Analyse ausgelöste Regression spreche Resonanzfelder im infantilen Unbewussten an, die das Erleben in der analytischen Situation...organisieren“, also in diesem Fall in die „verführende Aufforderung“(die noch dadurch nonverbal unterstrichen wird dadurch, dass die Patientin dabei ihr Hemd über die Hose zieht. als sei dieses zuvor verschoben gewesen, - wodurch sie die o.a., an den Analytiker gerichtete Bewegung wiederholt und so in der Aufforderung an den Analytiker mündet, ebenfalls „ins Wasser zu machen“, was mit der Angst einhergehe, vom Analytiker darin ertappt zu werden wie seinerzeit vermeintlich vom Onkel.

Der Autor macht nicht verständlich, warum dies Verhalten der Patientin „eine wunderbare Paradoxie“ sein soll.

Es ist kein Widerspruch erkennbar, sondern eine in typischer Weise unvollkommene Abwehr: Der Impuls, den Analytiker zu verführen, wird abgewehrt durch das Überziehen des Hemds. Wie immer, gelingt die Abwehr nicht total bzw. sie braucht auch nicht vollständig zu sein, weil die Angst dazu nicht reicht. Vielmehr setzt sich der abgewehrte Wunsch mit einem kleinen Teil durch, wie immer. Deshalb heißt es ja, dass Symptome Kompromissbildungen sind zwischen dem Triebabkömmling (dem Wunsch) und der Abwehr.

     Der Autor möchte aber das Abwehrmodell partout nicht anwenden, sondern greift zur sensationell klingenden Formel einer angeblichen „Paradoxie“ (Intellektualisierung als Abwehr gegen die beiderseitigen sexuellen Strebungen).

Es liegt weder eine „Paradoxie“ vor noch wäre diese „wunderbar“. Diese Wörter klingen nur schön, nämlich nach Philosophie und Religion, und diese Fächer haben in der klinischen Arbeit mit Patienten nichts zu suchen, sondern dienen nur dem Ausweichen vor der therapeutischen Aufgabe, - dem Neglect der inneren Vorgänge in der Patientin, nämlich des inneren unbewussten Konflikts zwischen dem o. a. Wunsch und der Abwehr aus Schuldgefühl und Scham gegenüber dem Analytiker in der Übertragung.. Nicht nur vom inneren Konflikt, sondern auch von der Übertragung ist der Autor hiermit abgekommen. Als Abwehr im Analytiker selbst ist Intellektualisierung anzunehmen.

Dass der Analytiker bei sich ähnliche Regungen und Abwehren spürt wie die Patientin, konnte erwartet werden und trat auch ein, so in einem Distanzierungsversuch durch einen Fast-Versprechen („bis Montag, - das war nicht der nächste Tag) und sein Ziehen seines Pullovers nach unten über seine Hose (S 28). Dass der Autor dies als „Szene“ (S 28) bezeichnet, zeigt noch einmal, dass mit dieser Bezeichnung nicht das Geringste gewonnen ist. Er kann dies gerne tun, aber im Verständnis der Psychodynamik im Analytiker sind wir damit keinen Deut weitergekommen.

Im Gegenteil meine ich, dass sich hiermit der Therapeut selbst von seinen Aufgaben ablenkt, und zwar durch Abwehr durch Verschiebung und Agieren. Er lenkt sich ab von seinem Konflikt zwischen seinen erotischen Wünschen und seinen Schuld- und Schamgefühlen sowie seiner Angst vor Entdecktwerden und Vergeltung.

Er kann diesen Konflikt in sich einer Lösung zuführen, indem er die Abwehr aufgibt und diese unangenehmen Gefühle in Ruhe zu ertragen lernt, sodass er solche Abwehr nicht mehr nötig hat.

Der Leser wird jetzt vielleicht eher verstehen, weshalb ich nicht an den Wert des Wortes „Szene“ glaube, sondern, dass er der Sache abträglich ist, d.h. das Verständnis der Prozesse zwischen Patient und Analytiker verhindert. Der Therapeut klammert sich an das Wort „Szene“ und glaubt fälschlich, dass er damit etwas verstanden hätte. Hier wirkte sich Abwehr des inneren Konflikts im Analytiker durch Intellektualisierung ungünstig aus.

Seltsam, zumal isoliert auftauchend, aber umso interessanter sind die Gedanken des Therapeuten über sich als „Beobachter auf dem Trockenen“ (einer Leib-Sensation!) und um einen Dritten, der ungebeten zutritt (S 14).

Dies kann den Wunsch des Therapeuten ausdrücken, „sein Weibchen“ (Verf.) gegen einen anderen Mann zu verteidigen, also für sich zu behalten, seine Angst, sie an diesen zu verlieren, seinen Triumph, Platzhalter zu bleiben, - denn der Gast wird gemeinsam abgelehnt.

Der Therapeut fühlt sich in eine ödipale Situation ein, aber der Gast soll „ungebeten“ sein. Hiermit erfüllt sich der Analytiker erst recht den ödipalen Wunsch, denn darin wäre er sich mit seiner „Partnerin“, der Patientin, einig, - dass der Gast nämlich von beiden abgelehnt wird und verschwinden oder gedemütigt werden soll.

Hier von „Inzest“ zu sprechen, ist übrigens völlig unnötig und analytisch unrichtig, an den Haaren routiniert herbeigezogen, offenbar nur theoriegesteuert, ein Versatzstück aus der Lehre. Klinisch lässt sich nicht belegen, dass einer der Beteiligten (Kind, Onkel) unbewusst an einem Inzest Interesse gehabt hätte oder eine auffällige Abwehr gegen solche Wünsche gezeigt hätte. Wenn der Therapeut selbst solche Wünsche in sich als von der Patientin und ihren Erzählungen angeregt vermuten sollte, kann er diese nicht seiner Patientin anheften. Es ist auch sonst nichts gewonnen mit diesem routinemäßig bereitstehenden Begriff („Wo Kindheit, da immer auch Inzest“?, so scheint es üblich zu sein).

„Inzest“ wird benötigt, um eine Hölle glaubhaft zu machen. Unter „Inzest“ geht z. Z. in manchen Instituten nichts, genausowenig wie unter „Frühe Störung“.

Natürlich entwickelt diese Patientin wie auch Andere in einer solchen Situation sexuelle Wünsche mit ihrem Analytiker. Dies ist ja durch die ganze Anordnung (Regelmäßiges Treffen, Intimität, diese in wechselseitigem Austausch, Abgeschlossensein) und nach der Theorie so gewollt und in Kauf genommen. Es soll ja eine Übertragungsneurose entstehen, und in dieser soll die Neurose „verbrennen“.

Aber hier von Inzestwünschen zu sprechen, ist abwegig und nur durch die Tradition bedingt. Hier wird eine Tochter- Vater- Beziehung suggeriert, um der Lehre zu genügen. Tatsächlich handelt es sich um zwei Erwachsene, die sich in einer quasi- sexuellen Situation befinden und Mühe haben, Sexualität nicht auszuüben.

Wer soll mit wem und wozu Inzestwünsche entwickeln wollen und können? Nur weil der Analytiker älter ist und sie angeblich auf ihn ihre Gefühle für ihren Vater überträgt? Weit wahrscheinlicher ist, dass sie ihn (sie hat ihn ja schließlich auch unter anderen Analytikern ausgewählt, - warum hat sie keine Analytikerin gewählt?) attraktiv findet und ihn in ihren Wünschen zu einem jungen, kraftvollen Mann macht, ferner zugleich an ihren Freund denkt (davon erfährt man in Fallgeschichten selten etwas, schon weil dies dem Analytiker wenig gefallen kann, denn auch er ist ja verliebt und „freut“ sich auf die „künftigen Ideen“) und sich an dem Gedanken erfreuen kann, zwei Männer zu haben, für alle Fälle zwei Männer, und dass etwaige Gedanken an einen Inzest auf beiden Seiten von dieser durch die Situation angeheizten Aufregung ablenken und zur Abkühlung dienen sollen, damit die sexuellen Wünsche sich nicht Bahn brechen, wie bereits überhaupt das ständige kontraphobische (der phobischen Analytiker, s.o.), nur scheinbar offene Sprechen über „Sexualität“ in dieser intimen Situation (nicht selten „bohrend“, insistierend:„war da nicht doch etwas?“ lockend, empört, latent vorwurfsvoll, erfreut etc., - dies nicht vom Autor, nur üblicherweise, - gleich ob er dies erkennt oder nicht).

Eine junge attraktive Frau hat derart viele Angebote, - warum in Gottes Namen sollte sie an einen Inzest denken? Nur um Freud und dem Lehrbuch Genüge zu tun? Sie hat Besseres zu tun, auch gegenüber ihrem Analytiker.

Der Analytiker stiehlt sich aus dem Erwachsensein mit seinen sexuellen und aggressiven Gefahren heraus: Er hat sich in einen Bereich von „tuscheln ...Kindergartengruppe“ (Zitat) begeben, - also möglichst weit weg von den aktuellen Gefahren des abgeschlossenen Zusammenseins mit einer attraktiven Patientin, - wie wenn sein Leben davon abhinge.

Auch bleiben die inzwischen aufgetretenen Einwände gegen das Inzestkonzept unbeachtet. Gewiss gehört von der Westermarck-Hypothese, aber sie nicht in Betracht gezogen?

Es gibt Inzest, aber wenn dieses Wort unbegründet verwandt wird wie hier, gehört dieses Wort zur erstarrten psychoanalytischen Sprache, ähnlich wie viele kleinianischen Begriffe, meist in Form von Doppelbezeichnungen wie projektiv-identifikatorisch, oder polymorph-pervers, phallisch-narzisstisch, Spannungs- Feld, sexuelle Belästigung, oral-sadistisch, sado-masochistisch usf.

Der psychodynamische Hauptgrund, immerfort von Inzest zu sprechen und sich damit zu beschäftigen ist, dass beide Seiten ein Interesse haben, von Anderem in der Analyse abzulenken, so z.B. von depressiven oder aggressiven Regungen (kollusive Verschiebung und von der erotisch aufgeladenen Übertragungs- und Gegenübertragungs- Beziehung auf eine anderes Thema und andere Personen und Zeiten, vom Analytiker weg, auf andere Wünsche, andere Ängste, andere Schuld- und Schamgefühle, andere Abwehrformen).

Der Analytiker fragt sich, ob in der Analyse die Patientin bzw. „das kleine Mädchen“ nicht zum Objekt seiner „eigenen infantilen Sexualneugier“ wurde, zumal er sich gerade mit Freuds „Abhandlungen zur Sexualtheorie“ und einem Zeitschriftenartikel darüber befasst und eine Abwehr dagegen in sich verspürt habe (er sei kurz angebunden gewesen - also Abwehr, etwa in Form von Verneinung-).

Hier ist wieder das Stereotyp von der Regression und der Herleitung aus der Kindheit beider Teilnehmer zu erkennen. Warum soll es denn die infantile Neugier des Analytikers sein und nicht seine gegenwärtige, erwachsene?

Warum die Verharmlosung zu einem infantilen Drang? Warum darf es nicht einfach der gegenwärtige, erwachsene sexuelle Wunsch des erwachsenen Analytikers sein? Weil, wie der Autor selbst betont, die Angst der Psychoanalytiker vor der Erwachsenensexualität groß ist, und weil dies einen Neglect nach sich ziehen muss.

Wie wenn er damit zuerst eine Pflichtübung hätte absolvieren und dazu wieder zu gewohnten Bildern aus der analytischen Lehre von der alles beherrschenden Kindheit hätte finden müssen, kann der Therapeut im Folgenden dann doch noch, unter erkennbar vielen Skrupeln, seiner Erwachsenensexualität etwas abzugewinnen (S 30-31): „...sie klopfte ihm auf die neugierigen Augenfinger (eine glückliche Zusammenziehung! Verf.).. .was interessierte den Analytiker an ihr? ... Was lief denn wirklich zwischen ihnen ab? (ja, das ist es, sehr ehrlich Verf. , der hier auch an das Sprichwort erinnern möchte: „Da läuft etwas zwischen den beiden“ und an das performative Sprichwort: „Es läuft“ oder: Läuft`s?) ...“das heimlich ersehnte und geschickt organisierte Zusammentreffen des analytischen Paares (ja, das ist es! Verf.) auf einer kleinen Lustinsel ?..Möglichkeit eines solchen Treffens...“...Stimme und Sprechen eine Qualität von „süß“ angenommen hatten (S 30)... Einladung zum Tanz...Zunge und Lippen weich...“   Es geht bis zur Buchstaben-Erotik: M und N sind erotisch, S und t nicht.

„Besser, es würde niemand eintreten...intime und unerlaubte Vorgänge, von denen die Öffentlichkeit auf jeden Fall ausgeschlossen werden müsste...choreagraphische Tanzaspekte und stimmliche Gesangsaspekte (S 31) seines Sprechens .. schwamm er in der Triebbewegung der Patientin mit......überflutete es ihn...von innen“ .... ein zweideutiges Beziehungsangebot, über das in jeder Stunde...stets neu entschieden wird (das besser nicht, - dies ist gewiss auch vom Autor nicht wörtlich gemeint. Es wird nicht neu entschieden, sondern steht als Rahmen fest. Andernfalls wären beide Teilnehmer so beschäftigt mit diesem Thema, dass eine Therapie der inneren Konflikte der Patientin, um die es ja schließlich geht und wegen derer die Patientin gekommen ist, unmöglich wäre. Hierzu die Warnungen Paul Grays vor zu großer Beachtung von Übertragung und Gegenübertragung auf Kosten der Beachtung der inneren Konflikte, -Anm. des Verf.).

Kaum dass diese Sätze heraus sind, fällt der Autor (S 33-34) wieder in seine These von der „Regression“ zurück, auf „infantil- regressive Verfassung“, auf sich als  „Opfer infantiler Überzeugungen (S 34) ...infantil- polymorph-perverse Erregung mit ihren Vorlust(!)-Quellen...Inzest... infantile Harnerotik“.

Der Ausflug in die Erwachsenensexualität durfte nur kurz währen.

     Das ganze Vokabular der Infantilität und eines kindlichen „Inzests“ wird immer und immer wieder bemüht, wo es doch sichtlich um handfeste erotische Wünsche von Erwachsenen ging, die alles andere als infantil sind, die aber anscheinend zu fürchten sind wie Teufelszeug.

Wie wenn es jetzt zuviel wäre von der Erwachsenensexualität, wendet sich der Analytiker in seinen Gedanken hilfesuchend seinen Kollegen zu und holt deren Meinung ein, fürchtet sich vor deren Vorwürfen, fühlt sich ertappt.

„Schwein...Übergriffe... zog zum zweiten Mal seinen Pullover über seine Hose...“

Die Kollegen“, wie auch die „Gruppe“ (so S 52) oder die „analytische Gruppe“ kommen in seinen Gedanken immer wieder vor, obwohl der Autor gewiss nicht weniger als Andere weiß, wie zweifelhaft der Wert solcher Gruppen für die eigene Arbeit ist (Krill 2008, 222 ff : schlammige Situation).

Die wiederholte Anrufung hat eine gewisse religiöse Note und zeigt nur, wie schwierig die analytische, sexuell getönte Situation ist und in welche Nöte sie jeden Therapeuten bringen muss, sodass gleichsam nach Gott, jedenfalls nach der höchsten Autorität, gerufen werden muss. Es scheint hier speziell, dass der Analytiker sie zur Verstärkung seiner Abwehr gegen seine verbotenen Wünsche und gegen seine Ängste, Schuld- und Schamgefühle in Gedanken benötigt.

In seinen Gedanken bestrafen ihn die Kollegen außerdem für seine erotischen Erwachsenenphantasien.

Dann aber macht der Analytiker in Gedanken seine Kollegen, die ihm Vorhaltungen machen und alles besser wissen wollen, klein, sogar zu „Drei- bis Fünfjährigen“. Was tut der Analytiker hier? Er hat es auf einmal erneut mit der „Kindheit“ zu tun. Warum?

Auf S 171 meint der Autor, die „psychoanalytische Kollegengruppe stehe für den „Dritten“ (der „Vierte“ dürfte die analytische Literatur sein, der „Fünfte“ das analytische Institut, wann kommt der sechste und siebente?). Es gibt nicht nur das von Shapiro (bereits 1981) beklagte „race back“ zu immer früheren angeblichen Entstehungszeitpunkten, sondern ebenso ein phobisches Wettrennen fort von dem inneren Konflikt des Patienten und dem Übertragungs-Gegenübertragungsgeschehen. Man flüchtet zu Anderem, indem immer mehr Andere eingeführt werden ,- weil die analytische Aufgabe schwierig ist und Angst macht.

Der Autor fügt an, wenn ein Analytiker der analytischen Gruppe nicht berichten könne, sollte dies ein ernsthaftes Warnzeichen sein. Als ob es hier keine „schlammige Situation“ mit viel unterwürfiger Zustimmung, blanker Rhetorik, oberflächlicher Betrachtungsweise und groben Missverständnissen gäbe (ausführlich dargestellt in Krill 2008, 227 ff). Von der Vielzahl der Voten ist selten etwas zu gebrauchen (hierzu auch mündliche Mitteilung von Morgenthaler 1969, sein Urteil fiel noch weit harscher aus). Mir scheint es eher bedenklich, hiervon das Heil zu erwarten, statt selbst konsequent analytisch zu arbeiten. „Wer viel fragt, kriegt viel Antwort“, heißt es nicht umsonst. Der Wert der Intervisionsgruppen unter Kollegen dürfte eher darin liegen, dass der jeweils Vortragende sich selbst über den Patienten klarer wird, wenn er über ihn berichtet.

Diese wiederholte Anrufung des „Dritten“ scheint vor allem eine vorbeugende Funktion zu haben. Denn nimmt sich ein Analytiker vor, seinen Kollegen zu berichten, schützt er sich innerlich vor Entgleisungen, die, so auch nach Ansicht des Autors, leicht geschehen können, wenn man sich auf das gefährliche Gebiet des leiblichen Austausches begibt. Er unterwirft sich dem strengen Urteil der Kollegen wie einem besonders strengen Überich, nur dass dieses nach außen verlegt wird, und schützt sich so.

Andererseits betont der Autor auch ( S 172), dass eine „überichgeleitete Einstellung ..einen professionellen Umgang mit dem Thema der körperlichen Berührung verhindert“.

Das ständige Denken an das, was die analytische Gruppe zu der analytischen Behandlung sagen wird, sagen würde oder sagen könnte, ist nichts anderes als eine solche Unterwerfung an eine besonders strenge Instanz (externalisiertes Überich) und insofern der Therapie abträglich.

Nicht zufällig verzichten ja auch viele Analytiker ganz bewusst auf Teilnahme an Intervisionsgruppen.

Der Autor räumt auch ein, dass „niemand vor einem Agieren in der einen oder anderen Richtung geschützt“ sei (S 172).

Hier ist sehr deutlich das Fluktuieren im Therapeuten zwischen seiner Erwachsenen- Position und der eines vorgeblichen Kindes zu sehen. Wenn die Angst vor der Erwachsenen- Sexualität – und Aggressivität zu groß wird, kommen die Kindheit und die analytische Gruppe gerade recht, sich von diesen Aufgaben, Wünschen, Ängsten, Schuld- und Schamgefühlen zu verabschieden, - Phobie vor dem Erwachsenenstatus.

Diese Falldarstellung ragt trotz aller Einwände stilistisch, in ihrer Ausführlichkeit und in ihrem analytischen Niveau über alles Bisherige heraus. Sie erreicht literarisches Niveau, hat den Rang einer Novelle erreicht.

Ein Rezensent kann aber desungeachtet die ungünstigen Folgen eines solchen Vorgehens, namentlich von Intellektualisierung und Verschiebung auf Vergangenheit mit Rekurrieren auf infantiles Geschehen, erkennen.

Wenn es heißt: „...kann der Dritte aber auch Abwehrcharakter bekommen in der Gestalt aller möglichen Aufträge, die von außen die Entwicklung des analytischen Paares an sich ziehen wollen-, z. B. gesund werden, reif werden, moralischen Anforderungen entsprechen, sich sexuell frei oder nicht so frei geben usw. Es gibt auch ein die analytische Arbeit störendes Drittes“(S 41), dann meldet sich hier wie ein böser Geist wieder die oft uneingestandene, selbstzufriedene, um nicht zu sagen solipsistische, antitherapeutische Haltung, - als ob Psychoanalyse im Weltraum schwebe und nicht in der Gesellschaft eingebettet sei und sein muss und wir selbstherrliche Künstler wären oder sein dürften.

Mit der Verunglimpfung des „Auftrags“ wird ein Sündenbock gesucht für das Scheitern von Psychoanalysen.

Der Auftrag von Versicherungen und von den Patienten, zu einer Besserung der Beschwerden zu erzielen, ist es aber gewiss nicht, der Psychoanalysen zum Scheitern bringt. Der Wunsch des Patienten nach Gesundheit gehört zur natürlichen Grundausstattung und sollte nicht diffamiert werden. Er schadet keiner Psychoanalyse, sondern nutzt ihr, schon durch seine Mitarbeit und seinen psychischen Einsatz. Der Auftrag ist sogar das Einzige, was die Psychoanalyse als besonders aufwendige Behandlungsmethode legitimieren kann. Woher sonst soll sich Legitimation herleiten lassen? Und woher sollten ebenfalls Analytiker ihre Legitimation beziehen? Dem Autor schwebt offenbar eine von allen Zwecken gereinigte Psychoanalyse vor, mit einer eigenen Ästhetik, die es zu verteidigen gälte, - gegen was genau eigentlich und wozu? Ist Psychoanalyse Selbstzweck? Eine heilige Kuh? Wo heilige Kühe, da auch heilige Hirten. Auch Religiöses? Hierzu gesellt sich nicht zufällig die neuerdings propagierte „Zeitlosigkeit“. Von dieser ist es zur „Ewigkeit“ nicht weit. Hat die neuerliche Betonung von „Präsenz“ etwas mit dem religiösen Begriff der „Erscheinung“ zu tun? Vielleicht nicht im Begriff , aber in der Aura und im Anspruch?

Ruft nicht die Versichertengemeinschaft: „Wir sind das Volk?“ Sollen diese ihre Interessen antitherapeutisch eingestellten Analytikern überlassen? Oder Soziologen und Philosophen, die nie einen Patienten gesehen haben? Und sollen Analytiker nur teilnehmende Voyeure sein? Um sich selbst zu Inhabern von Gegenübertragung zu stilisieren („Selbststilisierung“, Selbstidealisierung“, auch als Abwehr gegen Zweifel?).

Sollen Analytiker Verhinderer von guten Lebensläufen sein, mit rechtzeitiger Schwangerschaft („where are my childbearing years“? Wohlberg) und rechtzeitigem Aufbau eines Familienlebens? Dies ist weit und breit kein Gegenstand der Auseinandersetzung, sondern klar Tabu. Wo bleibt hier der Analytiker als Tabubrecher? Die Darstellung der Couch als Deck- Blatt auf vielen analytischen Büchern kann kein Alibi dafür sein, dass Patienten nicht selten ihre Zeit vertun.

Die Fehler in einer Analyse liegen nicht im Auftrag, sondern woanders (s.o.).  

Wie konnte es überhaupt zu einer solchen Beurteilung kommen? Zugrunde liegt ein Ideal von Analyse i. S. einer eigenen Welt, die von Störungen aller Art zu beschützen sei, - also einem Analyse-Zoo, mit Eintrittsgeldern). Der Zoodirektor sorgt für Ordnung. Er übersieht aber, dass Analyse kein Zoo ist, sondern ständigen Einflüssen von außen und noch mehr von innen, aus dem Innenleben beider Beteiligter, unterliegt. Umzäunen hilft nicht.

Der Verweis auf ungute Auswirkung von„Aufträgen“ ist selbst eine Ablenkung, eine Ausflucht, ein Abwehrvorgang.

Das Erkennen eigener grober Fehler, schon bei der Auswahl geeigneter Patienten, erst recht beim weiteren Verlauf, wird zu diesem Zweck abgewehrt durch Verneinung, Verkehrung ins Gegenteil, Idealisierung der Analyse, Verdrängung und vor allem durch Intellektualisierung.

Die Überheblichkeit, die durch eine solche Haltung zum Ausdruck kommt, die aber auch noch andere Gründe und Erscheinungsformen hat, hat uns schon viel geschadet. Sind wir die Gutsherren über die Patienten und deren Anliegen? Darf nur der Analytiker Interessen haben und nach diesen handeln? Was soll dies für eine Dyade sein? Doch nicht etwa eine parasitäre? Oder möchten wir als solche gelten?

Das Durchbezahlen von Stunden über längere Zeit hinweg trotz unverschuldeter Umstände wie unverschuldeter Krankheit oder unverschuldeter Unfälle ist ein alter Streitpunkt. Der Autor (Bericht eines anderen Analytikers) erwähnt hierzu einen derartigen zwei(!) monatigen Ausfall der Sitzungen durch einen unverschuldeten Unfall. Dies könnte bei 5 Sitzungen. / Woche womöglich einem Honorar von ca. 35.ooo E. entsprechen

Er schreibt von Rechtfertigung im Fall des Bestehens auf den Honorarzahlungen, aber auch im Falle des Erlassens. Dann schreibt er aber: „Was wird als Nächstes passieren? Ein verstauchter Fuß: „Ich kann nicht kommen...“

Werden hier Patienten unter Generalverdacht gestellt? Zweifellos gibt es Patienten, welche eine Krankheit vorschieben und so die Therapie blockieren. Am ärgerlichsten ist für den Analytiker wohl die telefonische Mitteilung, es sei „etwas dazwischengekommen“. Solches haben wir gewiss alle schon erfahren.

Die Vereinbarung mit dem Patienten, oft sogar schriftlich, sollte aber nicht wie ein ehernes Gesetz fungieren. Hier ist daran zu erinnern, dass selbst staatliche Gesetze nicht unerbittlich angewandt werden. Es gibt neben dem Befolgen von Regeln auch zwangshaftes Sich- Anklammern an diese. Es soll keineswegs behauptet werden, dass dies so war. Keine Regel kann uns aber zwingen, unbarmherzig zu sein. Es gibt einen Ermessenspielraum, oft schon sogar im Gesetz verankert, aber vor allem dann durch den Richter. Von einem bestimmten Punkt an dürfte auch Sittenwidrigkeit in Frage kommen. Angesichts der unabsehbar anwachsenden Missbrauchsdebatte ist auch nicht auszuschließen, dass man das Durchbezahlen eines Tages, wenn nicht schon jetzt, als finanziellen Missbrauch oder Ausbeutung eines Kranken ansieht, denn mancher Richter wird sich wundern, wie es sein kann, dass jemand monatelang im Krankenhaus liegt und trotzdem laufend für diese Zeit Rechnungen über erfolgte Behandlungen erhält. Der Patient, vor allem aber sein Anwalt, kann sich mühelos und mit guter Begründung auf seelische Notlage und psychische Abhängigkeit vom Analytiker berufen, die ausgenutzt worden sei. Niemand wird danach fragen, ob dies auch so vom Analytiker gemeint war und ob und was er sich dabei gedacht hat. Eine Leistung, welche den Honorar-Rechnungen gegenübersteht und diese begründen könnte, ist ja effektiv nicht erbracht worden. Eine Rechnung ohne entsprechend erbrachte Leistungen ist schon jetzt immer verdächtig auf Betrug, auf vorneherein ungültige Abmachung, auf Nichtigkeit, auf einseitige Benachteiligung einer Vertragspartei, oder wird leicht so eingeordnet. Dies sind zwar außeranalytische Erwägungen, diese wirken aber in die Analyse hinein, wenn diese nach Genesung des Patienten wieder aufgenommen wird, z.B. in Form von Schuldgefühlen im Analytiker, von ängstlicher Erwartung des Zorns des Patienten und den verzwickten Übertragungs- und Gegenübertragungs- Reaktionen und deren Einflüsse aufeinender.

In einem mir per Supervision bekannt gewordenen Fall zitierte der Patient die Meinung seiner Ehefrau zu den gestellten Rechnungen, weil er sich nicht traute, seine eigene Meinung dazu zu sagen (Abwehr seines Grolls durch Verschiebung auf eine andere Person). Der therapierende Analytiker hatte höflich und ohne eigene Intervention zugehört, hatte dann aber selbst bei sich Atemverhaltung und schließlich einen unguten Tonfall bemerkt, beim Patienten eine erregte, lautere Stimme, sich dabei auch verschluckt, sich hierfür entschuldigt, noch einmal geräuspert, ehe er sich fasste und zur inneren Ruhe kam.

Er hatte seinem Patienten nicht gerade ein Beispiel für gelungene Verbalisierung geboten, nahm aber immerhin seine körperlichen Äußerungen wahr. Einen Erkenntnisgewinn konnte er daraus aber nicht ziehen, wie auch der Patient nicht, denn das Hin und Her über Schuldgefühle und Zorn einschließlich seiner Gegenaggression für die erwarteten Vorwürfe war ohnehin zu erwarten. Damit soll nebenbei zudem gezeigt sein, dass die leiblichen Sensationen auf beiden Seiten nichts zu weiteren Erkenntnissen beitragen konnten. Keinesfalls konnten diese leiblichen Erlebnisse das Verständnis der Stunde für sich vereinnahmen.

Aber schon vor allem aus analytischer Sicht kann es einem Analytiker nicht gut bekommen, einen Patienten in einer solchen Atmosphäre von Misstrauen und Betrug zu behandeln, noch kann dies einem Patienten gefallen. Was hätte er davon? In solchen Fällen läge eine derartig tief greifende Störung der Analyse vor, dass diese nicht mehr möglich wäre: Arbeitsbeziehung nicht zustandegekommen, viel zu negative Übertragung mit unübersichtlichem Agieren mit Täuschung und Lügen, sogar bewusster finanzieller Schädigung des Therapeuten, der die ausgefallenen Stunden nicht einfach mit anderen Patienten auffüllen kann, aber, unter uns gesagt, ja auch einmal vertieft lesen, sich Bewegung verschaffen oder seine schriftlichen Praxisarbeiten, darunter auch Rechnungen (wie erholsam gegen die Schmach des Honorarausfalls) an seine Patienten und die Krankenversicherungen, aufsetzen kann, und der sich auch klarmachen kann, dass er ja nicht das ganze Honorar verliert, sondern nur seinen Nettoanteil nach Abzug der zu zahlenden Steuern, -  und ist bedacht, dass Ausfallshonorare ohnehin nur ein Bruchteil seiner Einnahmen ausmachen (immerhin demnächst mit Zuschlägen bis fast 97 Euro/Std. , dies oft ohne eigene Angestellte und ohne wesentliche Raumkosten, und er kann doch 8 Std. tgl. Patienten haben zu je 50 Min., Andere arbeiten 14 Std. tgl., also er verhungert ja nun wirklich nicht, er muss sich doch wegen des Ausfallshonorars keine Sorgen machen, Sorgenfalten adè, bitte lächeln), - und erzwungener Wut in der Gegenübertragung, alles von der Bedeutung folgenreicher Symptome, - wenn diese nicht mit Erfolg sofort gedeutet werden können.

In solchen Fällen hätte die Analyse sofort beendet sein sollen, und zwar nicht aus wütender Gegenübertragung heraus, sondern wegen Aussichtslosigkeit, dies auch im wohlverstandenen Interesse des Patienten, der sinnlos Zeit, Mühe, Geld opfert und so vergeblich auf bessere Zukunft hoffen würde. Ich bin in fünfzig Jahren Praxis bestens ohne Ausfallshonorar ausgekommen, bis heute, wahrscheinlich besser als die mit Ausfallshonorar. Aber die „Lehre“ will ja angeblich Strenge, Härte. Hart gegen sich selbst und grausam gegen Andere?

Es soll dem Patienten helfen, Motiv in Ehren, aber kann solches ihm helfen? Sind nicht Analytiker mit Ausfallshonorar selbst Opfer? Ich fürchte, letzten Endes leiden sie noch mehr als ihr Patienten darunter, und dies wiederum kann sich nur ungünstig auf die Therapie auswirken.

Übersehen wird also, welche psychische Belastung das Ausfallshonorar für den Psychotherapeuten mit sich bringt. Zeit für eine kleine Innenrevision, verehrte hoch- mögende Analytikerschaft. Gibt es bei Ihnen etwas wie eine psychische Ökonomie? Der Sinn dafür kann sich noch entwickeln, dafür ist es nie zu spät.

Zum Setting im Liegen: Über dieses ist viel geschrieben worden. Hier sei nur auf das, was im Buch vertreten wird, eingegangen. Der Autor zitiert (Reiche R 2001):.. „eine Situation, durch die basale soziale Konventionen der Reziprozität, der affektiven Kontrolle, der Maskierung und des Anstands systematisch außer Kraft gesetzt werden.... Diese Situation kommt so in der Lebenswelt sonst nicht vor. .. dass sich die Form... mit Inhalt (...Material) zu füllen beginnt.“

Dies kann nicht zutreffen. Reziprozität, affektive Kontrolle, Maskierung und Anstand sind nicht weniger als bei anderen Begegnungen gegeben, sogar eindeutig mehr, was die Maskierung angeht. Sie sind nur anders, völlig ungewohnt. Ohne diese wäre es ja ein Tollhaus. Maskierung ist bei der Liege-Analyse auf beiden Seiten sogar noch mehr der Fall, allein schon, aber nicht nur, auf optischem Kanal. Warum soll der Anstand außer Kraft gesetzt sein? Einer Rhetorik kann man nicht gestatten, die Psychoanalyse im Liegen für sich zu vereinnahmen.

Anderes ereignet sich für den Patienten: Die ungewohnte Anordnung versetzt den Patienten anfänglich in Angst und Schrecken. Von Entspannung zunächst keine Spur. Die Patienten, besonders Frauen, haben zunächst eine Abneigung gegen diese Situation, weil sie sich in eine eindeutig erwachsen-sexuelle und zugleich kindlich-hilflose Position (wie kann es sein, dass ausgerechnet Analytiker diese simple Tatsache nicht sehen wollen?) genötigt fühlen („höflich hingeschubst“, wie schon seinerzeit die Analytiker selbst als Ausbildungskandidaten.)

Dies muss irgendwie auch in die gesamte analytische Behandlung und Ausbildung einfließen. Wer geschubst worden ist und zum Kind gemacht worden ist, ist versucht, selbst Andere zu schubsen und zu Kindern zu machen. Der Zorn darüber wird abgewehrt durch Identifikation mit dem Aggressor. Je mehr einer geschubst wird, wie z.B. Ausbildungskandidaten, desto mehr wird er Andere schubsen. Es geht ja nicht nur um die Liegeposition, sondern um deren Implikation, dass in die Kindheit zurückzufallen sei, und nicht einmal ein Ausbildungskandidat würde sich dem unterziehen, wäre er nicht durch die Ausbildungsrichtlinien dazu gezwungen. Die Lehranalyse ist ein grimmiges und quasi-religiös beschworenes Tabu.

Dem stehen aber die elementaren Wünsche nach Fortentwicklung, nach Progression, entgegen, nach Erwachsenwerden und Erwachsensein. Die Teleologie umkehren zu wollen, muss scheitern.

Patienten und Ausbildungskandidaten überwinden diese Abneigung, weil sie von dieser Position gehört und gelesen haben und sie an deren Heilkraft glauben. Dieser Anfangs-Schreck muss überwunden (abgewehrt) werden, durch Wendung vom Passiv (der zu ertragenden ungewohnten Situation) ins Aktiv, indem der Patient Einfälle produziert, und durch Identifikation mit dem Aggressor, also durch Weitergabe an Andere.

Die offensichtliche Vorstellung des Autors und des zitierten Autors, durch das Setting im Liegen sei ein Hohlraum entstanden, den der Patient auffülle, scheint mir rein mechanistisch und intellektualisierend, auch isolierend (beides gegen die zwangsläufig evozierten sexuellen Wünsche) zu sein, außerdem eine Anleihe an die z. Z. so beliebten Raumvorstellungen, ohne dass das eigentlich Analytische in Betracht gezogen würde, also das, was im Patienten vorgeht, namentlich der Konflikt zwischen erwachsen-sexuellen Wünschen und deren Abwehr wegen der Schuld- und Schamgefühle und Ängste.

Es geht nicht darum, ob ein Raum aufgefüllt wird, sondern es muss die Frage sein, was genau sich im Patienten selbst und im Analytiker abspielt. Diese Frage wird erst gar nicht gestellt. Hier scheint das Gefühlsleben von Patient und Analytiker durch Isolierung und Intellektualisierung als lästig abgewehrt zu werden.

Nach Ausführungen von Küchenhoff (2006, im Buch zitiert S 173) und des Autors selbst stellt der Autor in Frage, ob im „Couchsetting“ der Patient und der „Hintercouchler“ (Moser, Tillmann, 1977).. „immer in der bestmöglichen Weise aufeinander bezogen sind“ oder ob das Gegenübersitzen andere Wahrnehmungs- und Behandlungsmöglichkeiten bietet, nämlich die visuellen mit weit differenzierteren Mitteilungsmöglichkeiten (S 174).

Der Autor findet zu der Formulierung (S 173), nicht das Setting sei entscheidend, sondern die „Arbeit an der Optimierung der Symbolisierungsfähigkeit..., damit Worte das Erbe der nonverbalen und präverbalen Kommunikationsfähigkeit in sich vereinen können“:

Hier wird gemäß dem Regressionsmodell unterstellt (aber nie beschrieben!), dem Patienten mangele es an Symbolisierungsfähigkeit, - eben weil er so regrediert sei und weil die Theorie solches verlange. Die gefundenen Worte sollen das Präverbale und Nonverbale beerben. Das Nonverbale gewiss, aber ob es immer das Präverbale sein muss, wird nie in den Fallbeschreibungen dargestellt. Man kann auch sagen, die Darstellung des Nonverbalen durch Worte ist schwierig genug, sie muss nicht noch das Präverbale einbeziehen, um Symbolisierungsfähigkeit zu beweisen.

Die zweite Frage ist, ob nicht der Verbalisierungsfähigkeit zuviel Aufmerksamkeit zuteil wird. Ist sie wirklich für die Heilung so entscheidend? Ist nicht das Erleben wichtiger?

Wieder schreibt der Autor auf der gleichen Seite: „...wenn der Analytiker sich auf die innere Welt früher (! Verf.) unbewusster (Körper-) Phantasien zentriert“. Und was ist mit den später erworbenen Körperphantasien? Soll sich mit diesen der Analytiker nicht befassen?

Und woher will er wissen, ob diese früh oder spät erworben wurden?

Sie kann früh erworben sein, - dies kann aber nicht heißen, dass der Patient auf diese zurückgreifen muss, wenn er eine Körperphantasie entwickelt. Er kann ganz einfach auf das zurückgreifen, was ihm jetzt zur Verfügung steht, - er muss doch dazu nicht regredieren.

Der Autor neigt aber dazu, Leibliches automatisch der frühen Zeit mit der Mutter zuzuordnen und folgt damit unreflektiert der Tendenz zur Pathologisierung und Infantilisierung durch „Regression“ oder Traumatisierung. Denn wenn „frühe“ Erscheinungen auf den Plan treten, muss der erwachsene Patient ja sehr krank sein.

Hier unterliegt der Autor- in bester Gesellschaft – dem Denkfehler, Zeit und Pathologie miteinander zu vermengen und zu verwechseln.

Für die Zukunft ist eine erweiterte Bearbeitung des Themas unter Einbeziehung auch der ödipalen, der jugendlichen, der erwachsenen Position, hier namentlich der Erwachsenensexualität und Erwachsenenaggressivität denkbar und wünschenswert, - warum nicht vom gleichen Autor?

Insgesamt ein sehr umfangreiches, ein neues Feld bearbeitendes, verdienstvolles, zukunftsweisendes Werk, das der Sache entsprechende Fragen aufwerfen muss, das aber fortgeschrittenen Analytikern, die mit hochfrequenter Analyse Erfahrung haben, zu empfehlen ist.

Der Autor reflektiert auch immer wieder seine Beziehung zur analytischen Gruppe, mit der er offenbar regelmäßig Kontakt halte (...“ im arbeitenden Dialog mit sich selbst und seiner Gruppe“, S 54). Diese fungiert als ein Quasi- Supervisor, und entsprechend sind die Hoffnungen, Ängste, Schuld- und Schamgefühle und Abwehren dieser Gefühle in der Gegenübertragung des Autors auf die Gruppe. Auf die Schwierigkeiten von Fallvorstellungen in einer analytischen Gruppe (wie übrigens auch vor einem Supervisor) geht der Autor aber nicht ein, obwohl diese bekanntermaßen immens sind (Krill 2008, 227 ff: schlammige Situation). Es gelingt nur noch, die Meinungen der solchen Gruppe zusammenzufassen, indem einige Stimmen absichtlich unterdrückt werden und in daher einer etwaigen Zusammenfassung nicht mehr repräsentiert sein dürfen, weil sie der Mehrheitsmeinung und vor allem der Meinung des Seminarleiters zuwiderlaufen. Über den möglichen Gewinn s.o.

Fast immer bilden sich eine Dreiergruppe, meist von Gutvernetzten, im Institut Einflussreichem (LA) mit anderen Gutvernetzten und im Institut Einflussreichen, während die Feindseligkeitsverbindungen dazu neigen, geradzahlig zu sein (eigene Beobachtung und gemäß Silvio Dahmen, FAZ 4.11.15, S N2)

Naturgemäß sind die Netzwerke der Frauen in einer analytischen Gruppe, wie schon in der gesamten Kindheit und Jugend und später, enger und feinmaschiger. auch weit fester, obwohl auch sie durchaus Meinungsverschiedenheiten untereinander austragen. Der gegenseitige Austausch unter Analytikerinnen ist weit intensiver, vor allem anstrengungsloser.

Fall: „Ich verrätsele mich immer- da, wo ich spreche, bin ich nichts“ und Folgen (S 67 ff).

Hier handelt es sich um eine sehr eloquenten, rhetorisch begabten Patienten. Er erhält die Diagnose „Borderline“, aber nirgendwo ist vermerkt, nach welcher Nomenklatur diese Diagnose gestellt wurde (Kernberg? Rhode- Dachser? ICD-10?). Die vertrackten kleinianisch-- theoretischen Gedankengänge machen es dem Leser schwer, den Überblick zu behalten und zu verstehen, was der Autor selbständig sagen möchte und sagen kann. .

Dazu kommen identifizierbare handwerkliche Fehler, so öfters das Wort „psychosenah“ (S 70, 72) oder „psychotisch- panisch“ (S 71), ohne dass der Autor sich bemüht, das angeblich Psychosehafte zu begründen. Für „pychosenah“ dient auf S. 72 lediglich die Begründung: „Zustand, in dem er sich nicht in der Lage sah, die von innen oder außen auf ihn einströmenden Reize adäquat zu bearbeiten“.

Aber wer kann das schon? Adäquat bearbeiten? Dies nicht zu können, bedeutet nicht einmal Krankheit. Der Autor unterscheidet hier nicht genug zwischen Phänomenen des Alltags und krankhaften Symptomen. Hier wird kräftigst pathologisiert, und dazu das Wort Psychose missbraucht, um sich Gehör zu verschaffen. Hier wird der Wald (Psychodynamik und psychodynamische Diagnose) vor lauter Bäumen („Mikroprozess“) nicht mehr gesehen.

Vor allem ist von „Psychose“ keine Spur, nicht einmal gesagt, um welche Art von Psychose es sich dabei handeln soll (eine hirnorganische Psychose? eine depressive Psychose, ICD F 33.3, ((immerhin 4 % der Bevölkerung))? eine schizophrene Psychose ((1 % der Bevölkerung))?) noch bemüht sich der Autor um den Nachweis oder das Glaubhaftmachen einer Psychose. Hier wird zudem sogleich eine Unfähigkeit des Patienten, ein Defekt, unterstellt, statt die Psychodynamik der Übertragung und Gegenübertragung darzustellen.

Auch auf S 80 („..nicht in einer lärmend-offensichtlichen, also manifest psychotischen Form..“  wie auch auf S 97 (...„nicht in einer lärmenden Weise wie beim Psychotiker- übrigens: Welche Art von Psychose meint der Autor eigentlich? Besteht dafür nur Desinteresse?) lässt der Autor eine stabil - laienhafte Vorstellung von einer schizophrenen Psychose erkennen, - als ob diese solche Merkmale aufweise, am besten tobend, grimassierend, mit den Augen zwinkernd, augenrollend, mundverziehend, schreiend und mit den Armen fuchtelnd. Kein Interesse an der Sache? Woher sind solche Vorstellungen bezogen? Aus schlechten Filmen, von unwissenden, sensationsheischenden Regisseuren? Aber vor allem wohl aus der psychoanalytischen Literatur selbst, aus immer wieder gedankenlos Abgeschriebenem und Zitierten, ohne eigene Nachprüfung und Beurteilung. Keinen Blick in ein Psychiatrie-Buch oder eine Zeitschrift für Psychiatrie riskiert? So klingt es.

Nicht nur Faktenabstinenz, sogar Faktenresistenz, erscheint der heutigen Psychoanalyse in diesem Punkt wichtiger. Unbesiegliche Unwissenheit.

Auch wenn oder gerade weil es Psychoanalytiker notorisch nicht lesen und hören wollen, darf man sie doch auf die Sache hinweisen, einfach dadurch, dass es hier endlich und deutlich einmal steht. Diese könnten doch einmal ganz einfach lesen, was sie sonst nie lesen, obwohl sie über Psychosen schreiben. Nach der längst fälligen Abwehrdeutung (Deutung der Abwehr durch Vermeidung: „Sie vermeiden, das zu lesen, was Sie versäumt haben zu lesen, - weil Sie sich den Schmerz und das Schamgefühl ersparen möchten, in Ignoranz verharrt zu haben. Sie können aber lernen, diese beiden unangenehmen Gefühle zu ertragen, denn Sie sind ja kein Kind mehr, sondern erwachsen“.), kann es sein, dass ihnen dies leichter fällt. Der Rezensent vertraut auf Abwehranalyse, und kann es nicht übers Herz bringen, ihnen, deren Patienten und deren Supervisoren samt Institut, schon gar nicht den Ausbildungskandidaten, diese vorzuenthalten.

Uncharakteristisches Basisstadium (Vorpostensyndrome, Prodrome, unproduktives, asthenisches Basisstadium, vorauslaufende Defizienz, reiner Defekt, also reine Residuen, oder Defizienzpsychosen , dynamische Insuffizienz, reiner Defekt (so ein „braver, scheuer, zurückhaltender Mensch, Janzarik 1975, S 242),  Kompensationsversuch, komplizierter psychischer Überbau,  (Süllwold, Huber et al., - während der Psychoanalytiker Paul Schindler auch die Möglichkeit sah, den reinen Defekt als Abwehr in weitestem Sinne zu sehen, 50iger Jahre) ), produktives Stadium (mit Kommentarstimmen, auch evtl. Hören des Eigenamens, einer evtl. persistierenden Halluzinose (meist akustisch und olfaktorisch, selten optisch) erstrangigen Wahnsymptomen mit thematischem Ausufern, unter Verlust von engen Bindungen an individuelle Strebungen und Werthaltungen, schweren Ausdruckstörungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Grimassieren, motorischen Auffälligkeiten bei der Katatonie), schizophrenes Residuum mit den Erscheinungen der verminderten Leistungsfähigkeit („Potentialreduktion“ nach Conrad, „dynamische Entleerung“ nach Janzarik, Verlust automatisierter Fähigkeiten, Störbarkeit, Unbeständigkeit, Konzentrationsschwäche, Denkstörung (Sperrung, Gedankenabreißen, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Gedankenübertragung, „Hypnose“, Gedankeneingebung, Denkzerfahrenheit bis zum Faseln, bis zur Verworrenheit, geringer ausgeprägt als „Danebenherreden“, auch als beschleunigter Gedankenduktus mit leichter Inkohärenz), Verlust an Initiative, Entscheidungsfähigkeit und Durchhaltevermögen, mit der sozial enorm störenden affektiven Verflachung, Verarmung in den Reaktionsmöglichkeiten, verbaler Spracharmut) und bei Verlust auch nonverbaler Fertigkeiten (kann nur wenig Information vermitteln durch Gesichtsausdruck, Stimm- Modulation, Körperhaltung, Gang und Gebärde (Wing 1975, 35) und somit ein Verlust an Mitteilungsfähigkeit, Spracharmut, Verlangsamung infolge ständig eindringender Nebenassoziationen und erschwerter Entscheidung über die notwendigen Erinnerungen und Vergleiche mit ähnlichen Situationen, sowie mit ausgedehnten Vermeidungen äußerer Reize (so gesenkter Blick, Vermeidung von Lesen und Sprechen), um die innere Verwirrung zu mindern („Pseudoneurotische Schizophrenie“, pseudoneurotische Formen von autistischem Rückzug, oft als „borderline“ bezeichnet, „blande Schizophrenie“, „Minussymptomatik“, was sich auch als Abwehr äußerer Einflüsse verstehen lässt, die dem Schizophrenem nicht gut tun, - sozialer Rückzug also als Abwehr).

Ein gefühlsmäßiges „Erfassen aus der Beziehung“, eine Anmutungsqualität (sog. Präcoxgefühl, Bumke), ist oft möglich (Kurt Schneider, zit nach Glatzel & Marneros 1975).

Die „Minussymptomatik“ sowie der ganze soziale Rückzug mit Verlust on Freundschaften, Partnerschaften und Ehen (oder deren Vermeidung) lassen sich teilweise auch als Abwehrreaktion gegen Scham und Angst vor der Entdeckung der Denkstörung verstehen (Wing dito, 34).

Andere wichtige Frühsymptome sind: Interessenverlust, dafür manchmal absonderliche Interessen, Wahnwahrnehmungen (echte Wahrnehmungen, die aber falsch interpretiert werden), Misstrauen, passagerer Wahn (mit oder ohne Stimmenhören), der dann nach schon 2 Stunden, aber auch noch nach einer Woche wieder abklingen kann, später evtl. verstärkt als echter, einstweilen dauerhafter Wahn i.S. einer unverrückbaren Überzeugung auftreten kann, Veränderungen im Wesen, das Anderen auffällt, das der Erkrankte aber auch selbst genau spürt und – meist unbeholfen- selbst beschreiben kann, aber dies auch meistens nur, wenn er genau danach exploriert wird , ferner Antriebsverlust, sodass er z.B. morgens kaum aus dem Bett kommt, psychische Empfindlichkeit auf früher belangslose Reize, Konzentrationsstörungen, Denkstörungen (Danebenherreden, Nichtverstehen einer Pointe in einfachen Comics, Gedankenlautwerden, Gedankensperrung, Gedanken- Steuerung durch Andere, Gedankeneingebung, Gedankenausbreitung, Gefühl, hypnotisiert zu sein, bestrahlt oder sonstwie beeinflusst zu werden, Eindruck des „Gemachten“, Fälschlich werden solche oft nur schwach ausgeprägten Symptome regelhaft als Adoleszentenkrise von Nichtpsychiatern verkannt und bagatellisiert, wodurch wertvolle Zeit für die Therapie verloren geht.

In den ruhigen Stadien zeigt sich – abgesehen von 10 % Totalremissionen -, dass der Lebensweg nicht dort wieder aufgenommen werden kann, wo die Kontinuität psychotisch unterbrochen worden war.

Für ein Studium können Initiative, Ausdauer und Konzentration nicht mehr genügend aufgebracht werden, im Beruf mangelt es an Selbstständigkeit, Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit (Blankenburg 2012), und zu Hause ist die Emotionalität zu den Angehörigen gestört und darf nicht intensiv werden (Janzarik 1975, 234).

Schizophrene verschlechtern sich sofort bei ungünstiger Einwirkung von außen (i. Ggs. zur psychotischen Depression), nämlich bei Überstimulation (Ereignisse, Einladungen mit mehreren Personen, zu anspruchsvolle Gesprächskontakte) wegen Störungen des Sprachflusses und Sprachverständnisses,  (während der Angstneurotiker hierin immer besser wird, wenn er sich beruhigt hat, d.h. vergewissert hat, dass ihm keine Gefahr droht), Konfrontationen  mit Leistungsanforderungen, bei zu intensiver Zuwendung, unübersichtlichen Situationen, so auch unruhigen Straßen, öffentlichen Plätzen, vor allem, wenn diese Situationen zu lange andauern, bei Zeitdruck), bei Ermüdung und emotionaler Erregung, weil ihnen die notwendige Selektion von Ereignissen, Erlebnissen, Sinneswahrnehmungen, gezielten Erinnerungen schwerfällt, - und damit die Unterscheidung zwischen bedeutsamen und unbedeutsamen Aspekten.

Ein großes Therapiehindernis ist die ständige Fluktuation im Befinden. Die Gestörtheit kann von Minute zu Minute schwanken. Dass Grundproblem im Basissyndrom ist, dass der Schizophrene verwirrt ist durch zuviel „Müll“ , d.h. mit zu vielen Erinnerungen, Gedanken, Gefühlen, darunter auch stets eindringenden unpassenden, weil ihm die Selektion nach Bedeutung erschwert ist und zu viel Zeit braucht.

Um das Richtige, Passende auszusortieren, braucht er viel Zeit, daher die Verlangsamung, das scheinbare Trödeln, das Fehlen der raschen Erledigung, der Verlust automatisierter Fähigkeiten bei auch einfachsten Vorgängen wie Waschen, Anziehen, das Haus verlassen, die Haustür abschließen, Ausweichen vor täglichen Kleinarbeiten, mit der Notwendigkeit, diese einfachen Abläufe wieder einzuüben (Unterschied zur Zwangsneurose: Hier konfliktbedingt Ängste, etwas falsch zu machen, einen Schaden anzurichten, Schuldgefühle).

Um sich geordnet und unauffällig zu verhalten, bedarf es größter Anstrengung. Der ständig drohenden Verwirrung muss der Schizophrene mit ständig erhöhter konzentrativer Anstrengung begegnen (in Anlehnung an Süllwold 1975).

Denn im Gegensatz zu Neurosen und endogenen Depressionen sind Schizophrene durch alltägliche Ereignisse ohne besondere Bedeutung für sie überaus empfindlich und reagieren leicht mit einem neuen Schub. Die Bedeutung der Ereignisse ist hier ganz unwichtig.

Ohne eine inhaltliche Bedeutung zu haben, zeitigt deshalb auch die intensive und langdauernde emotionale Zuwendung von Angehörigen katastrophale Auswirkungen auf den Schizophrenen. Augenblicklich kann es zu einer Exazerbation kommen.

Die endogene Depression ist weitaus unempfindlicher gegen Ereignisse, eigentlich empfindlich nur auf solche, die der Patient als schädigend erlebt.

Gruppentherapie ist aus diesen Gründen extrem symptomprovozierend, und entsprechend katastrophal fielen auch die Ergebnisse von Gruppentherapien aus, wegen der damit verbundenen Überstimulierung (Heinrich, K 1975, Wing J K 1975) besonders, wenn sich Omnipotenzphantasien Unerfahrener mit der maßlosen Gegenerwartung der Patienten paaren (Huber 1975, 306, Janzarik 1975 306), außer, wenn die Gruppe streng kohärent, streng aufgabenzentriert, themenzentriert, mit klaren Instruktionen und einer klaren Hierarchie, mit klaren Rollen und Aufgaben in Richtung Realitätssinn, Eigenständigkeit, Selbstbehauptung, Ausdauer (Janzarik dito), mit speziellen Trainingsprogrammen, mit Vermeidung von Lärm,), arbeitet, und die Gruppe geschützt war vor Spontaneität, so zwischen Betreuungspersonal, Ärzten und Patienten oder gar sog. freier Assoziation, wie sie bei Neurosen üblich und förderlich ist, und vor einer Mischung aus Privatheit und therapeutischer Aufgabe, wie sie sonst üblich und günstig ist.

Vermeidungen sind hier – anders als bei neurotischen Störungen- zu gewähren, sogar zu fördern, statt sie aufzulösen, - weil der Patient diese braucht, um sich zu sammeln und vor einem Zuviel an Eindrücken zu schützen.

Diese Defizienzen werden oft zu wenig beachtet.

Eindrücklich ist auch die unterschiedliche Ermüdungskurve: Der Schizophrene kann, wenn übermäßige Reize vermieden werden, im Gespräch immer leistungsfähiger werden, bis die Sitzung zu Ende ist; - dann ist es aber mit der gewonnenen Leistungsfähigkeit ruckartig zu Ende, und der vorherige Zustand ist wieder erreicht . Beim Hirnorganiker hingegen sinkt die Leistung von Anfang an mit laufender Beanspruchung ab.

Bei den schizophrenen Vorpostensyndromen (viele Jahre vorauslaufend) oder auch den späteren Prodromen (3-5 Jahre vor Ausbruch des produktiven Bildes) und den der produktiven Phase folgenden Defizienzsyndromen ist die psychodynamische Unstetigkeit (innerer Konflikt!) der Neurosen, namentlich der engen Wechselseitigkeit ihrer Ich-Umweltbeziehungen nicht gegeben, sodass hier auch grundsätzlich der psychotherapeutisch-psychoanalytische Eingriff schwieriger erscheint.

Während produktiver Phasen, erst recht bei den schizophrenen Kleist- Leonhardschen Emotionspsychosen, kommt wegen der emotionalen Überschwemmung des Erlebnisfeldes ohnehin eine psychotherapeutische / psychoanalytische Hilfe nicht in Betracht, wenn diese Überflutungen auch rasch wieder abzuklingen pflegen.

Außerdem machen die verschiedenen angewandten analytischen Methoden (und die Abweichungen von diesen angegebenen Methoden!) und die Persönlichkeit des Therapeuten die Lage, das Vorgehen und die Ergebnisse noch variabler und unsicherer, d.h. noch schwerer objektivierbar (Matussek 1975, 176).

Wie steht es denn mit der leiblichen Dimension bei diesen Formen der schizophrenen Psychose? Dazu hätte der Autor, ebenso andere Autoren über dieses Thema, auch die richtigen Patienten haben müssen, konnte er aber als Psychologe kaum haben. Es wäre aber eine Aufgabe für die Zukunft.

Eine vernünftige Alternative ist: Wenn man nichts von schizophrenen Psychosen versteht, insbesondere keine eigene Erfahrung davon hat, soll man auch nicht darüber schreiben (frei nach Wittgenstein).

Wiedereingliederung in den Universitätsbetrieb bei soviel Ignoranz adé. Wieviel Zähne hat ein Pferd? Bloß nicht ins Maul sehen, war die Devise der Scholastiker.

Sehr viele Psychiater lesen psychoanalytische Literatur, besuchen analytische Seminare, aber welche Analytiker interessieren sich für psychiatrische Literatur? Wer muss sich hier bewegen?

Wird einfach eine „Psychose“ behauptet, darf natürlich der „präsymbolische Konkretismus“ nicht fehlen. Dass der Analytiker.. gänzlich anders verstanden und erlebt wird, als er sich selbst versteht und erlebt“, - na und? Warum soll dies ein Zeichen von präsymbolischem Konkretismus sein? Das ist doch Alltag. Sogar gesunde Personen missverstehen sich in dieser Weise ständig. Bedürfnis, ins Blaue hinein zu pathologisieren, ist eine Gewohnheit vieler Analytiker, auch aus blanker Ignoranz der psychischen Variationsbreite und aus dem Bedürfnis, sich dann so ganz nebenbei als großen Heiler eines Schwerstkranken darstellen zu können und Verehrung zu genießen.

Außerdem ist auch kein Versuch erkennbar, das häufige Unvermögen des Patienten zu berücksichtigen, sich sprachlich treffend auszudrücken. Das Gegenteil ist offensichtlich.

Das Gleiche gilt für das Wort „bizarr“ (S 97). Es genügt dem Autor offenbar, hier Schlimmes anzunehmen. Diese Nachlässigkeit ist auch US-amerikanischen Gewohnheiten geschuldet, die, besonders an der Westküste, mit dem Begriff „Psychose“ großzügigst umgehen.

Handwerkliche Fehler bestehen auch in übermäßigem Gebrauch von Metaphern (die nie etwas beweisen können) und in sprachlichen, dramatisierenden Entgleisungen, die vom sonst hohen Sprachniveau zurückfallen, wie auf „S 82: „tödliches Dilemma“ und auf S 98 „tödliche Dimension“. Muss ein Dilemma immer gleich tödlich sein? Reicht nicht „Dilemma“? So auch  S 82: „Vernichtung der Wirklichkeit“. Bis jetzt hat der Patient immerhin überlebt, und welche Wirklichkeit soll vernichtet sein? Auch das Mode-Wort „Gewalt“ (S 83: „vernichtende psychische Gewalt“) fehlt nicht. Ist nicht mittlerweile fast alles „Gewalt“, und was, bitte sehr, soll diese hier vernichtet haben?

Solche Bekräftigungen von Beschwörungscharakter weisen immer darauf hin, dass den eigenen Beschreibungen nicht geglaubt wird, und solches auch von Anderen nicht erwartet wird, der Autor da also nachhelfen möchte, wo die Argumentation nicht reicht.

Die Psychodynamik lässt sich vielmehr kennzeichnen als ein narzisstisches Spiel des wortgewandten und wortreichen, wirklich poetisch begabten (aber ohne Neologismen!) Patienten mit dem Therapeuten, von dem dieser sich beeindrucken lässt und für das er den Patienten bewundert.

Ein weiterer handwerklicher Fehler ist das notorische Gleichsetzen von Klagen / Beschwerden des Patienten mit Befunden, wie es überhaupt in analytischer Literatur häufig gehandhabt wird, kritisiert von Brenner 2003 und Krill 2008, 16, 20).

So heißt es auf S 94:.. „dass die permanente Klage nur die äußere Seite einer chronischen Verzweiflung und Angst vor katastrophaler Desintegration war“. Dass vorgebrachte Beschwerden immer schon auf Motiven (Wünsche nach vermehrter Aufmerksamkeit des Therapeuten, Angst, dass die Wünsche nicht erfüllt, sondern abgewiesen werden, Schuld- und Schamgefühle, so bedürftig zu sein und den Analytiker derart zu beanspruchen) beruhen und somit zuvor der Abwehr unterliegen müssen, ist anscheinend nicht bedacht. Der Symptom (Kompromiss-) Charakter der Beschwerden wird nicht beachtet. Soll das Sich-Hilflos-Geben das gleiche sein wie hilflos sein? Wenn ein Patient sich als schizophren bezeichnet, - soll er deshalb wirklich schizophren sein? Weist die Klage, nicht zu wissen, was real und was unreal ist, darauf hin, dass die Realitätswahrnehmung gestört ist? Ist ein Patient, der dauernd Lokolage statt Schokolade sagt (eigene Beobachtung), wirklich „regrediert“, - womöglich auf ein Alter, in dem er als Kind erst sprechen gelernt hat?.

Hat ein Patient, der von sich sagt, er fühle sich wie in tausend Stücke zersprungen, deshalb ein fragmentiertes Selbst nach Kohut oder Fairbairn oder wird hier die aggressive Phantasie, Andere in Stücke zu schlagen, nur durch Wendung gegen sich selbst abgewehrt? Patienten, denen ein Leeregefühl unterstellt wird: Sind sie wirklich leer oder sind sie voller Angst und Trauer und geben Leere an, um Zuwendung zu erhalten und weil sie wissen, dass der Analytiker solches gerne hört, geradezu darauf fliegt? Und sofort zur „Auffüllung“ der vermeintlichen Leere bereit ist? Der Patient dürfte diese seine Aussage über sich selbst längst mit der Wirklichkeit abgeglichen haben, viele Analytiker nicht. Es werden „Befunde“ erhoben, wo keine sind.

Muss ein Patient, der von sich klagt, in ihm wüte eine böse Macht, deshalb ein böses Introjekt nach Fairbairn oder M. Klein in sich tragen?

Die Abwehr dürfte darin bestehen, dass aggressive Gedanken ein(e) Vergeltungs-Angst- Schuld –oder /und Schamsignal wegen dieser bösen Gedanken ausgelöst haben, die dann ihrerseits Abwehr durch Verdrängung, Wendung gegen die eigene Person und eine Vermeidung (des Themas) und Verschiebung (nicht der Patient, sondern eine böse Macht in ihm soll aggressiv und damit schuld sein), (nach Krill 2008, 20).

Aber von dieser Psychodynamik wollen viele Analytiker heute nichts mehr wissen, weil sie ihnen zuviel Mühe bereitet. Einfacher ist die statische Vorstellung, es sei nun einmal ein böses Introjekt eingedrungen. Modellvorstellungen setzen sich durch, weil sie einfacher zu handhaben sind, als sich mit der Psychodynamik auseinanderzusetzen.

Und ist diese Vorstellung vom bösen Introjekt im Patienten nicht auch eingängig- angenehm für den Analytiker? Ist er doch so nicht vom Patienten angegriffen, sondern nur von dessen Introjekt. Das „Böse“ wird so doch nur „outgesourced“, und beide sind` s zufrieden (nach Krill 2008, 20).

Kollusive Gegenübertragung und Übertragung nennt man das, - gemeinsame Abwehr des Bösen, um „Ruhe“ zu haben. Aber wir haben nie Ruhe, - ist das vergessen? Die Psychodynamik wird nicht beachtet, sondern durch statische Vorstellungen von „Introjekt“ ersetzt. „Introjekt“ ist unreflektiert oft wie „Defekt“ gebraucht.

Zum Schluss noch einige prägnante und einleuchtende Sätze (zitiert oder vom Autor selbst, S 178-185):

Der Analytiker soll seine eigene leibliche Befindlichkeit als Resonanzraum zur Verfügung stellen......für einen aufmerksamen Eigenbezug des eigenen Körpers plädieren...höre ich nicht nur auf meine Gegenübertragungsgefühle, sondern auch auf die körperlichen Manifestationen und Körperphantasien, die sie begleiten...die ganze Person ist das Wahrnehmungsorgan...... es gehen auch Kräfte von ihm aus, die vom Analysanden als ganzer Person wahrgenommen werden... analytische Arbeit ist körperliche Arbeit....das Hören ist nicht nur Hören auf den Analysanden, sondern auf das eigene Reagieren und Ergriffensein. Hierzu gehören auch Bewegungen weg von der Präsenz des Analysanden, Entzug der Aufmerksamkeit, Weghören und Wiederhinhören...gewisse Leibferne der Psychoanalytiker... Widerstand, zusätzlich zum sprachlichen Umgang miteinander   .. (den) körperszenischen Ausdruck mit einzubeziehen...Nacktheit des unmittelbaren Eindrucks.... Empfindungsobjekt...läuft unseren Vorstellungen von Abgegrenzheit ,, Neutralität und Abstinenz zuwider... sensomotorisch - affektive Erfahrungen in der therapeutischen Interaktion, d.h. der Körperresonanz zwischen zwei Personen ...sinnliche Umgangsqualitäten der inneren und äußeren Objekte annehmen“.

Man kann schon der Vielzahl der Formulierungen ansehen, wie schwierig der Gegenstand ist.

Aber eine Psychoanalyse zu kreieren und auszuführen, die nicht funktioniert, weil sie Therapeuten wie Patienten überfordert, ist leicht.

Die Frage ist, ob diese angestrebte Optimierung durch besondere Berücksichtigung der Leiblichkeit und des leiblichen Austausches wirklich gebraucht wird. Brauchen unsere Patienten wirklich das Beste vom Besten? Wir sehen ja heute auch auf anderen Gebieten üble Folgen des Optimierungswahns. Psychoanalyse sollte sich, wie anderen Therapien auch, auf das beschränken, was die Patienten wirklich brauchen. Sonst hätten wir viel Aufwand für wenig Ertrag. Aufwand und Erfolg müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Hiermit hat Psychoanalyse ohnehin ein Problem (wohl auch bereits in der überzogen anspruchvollen, zuviel versprechenden Ausbildung). Sie heilt, - dies wird ihr aber wenig darin nutzen, in Konkurrenz mit anderen Verfahren zu bestehen. Nein, sie muss angesichts des Aufwandes an Zeit und Geld schon exzellent wirksam sein. Diese Überlegungen gehen aber nicht gegen das Buch.

Der Autor möchte aber das Konzept von der leiblichen Dimension auch theoretisch weiterentwickeln und kommt zu interessanten Anregungen, die den Leser zum Nachdenken auffordern. So entstand im Rezensenten die Frage, ob man den Erfolg einer Psychoanalyse künftig auch daran messen kann, in welchem Ausmaß vom Patienten leibliche Sensationen geäußert werden können.

Künftig auf die Leiblichkeit mehr zu achten, könnte dann auch die Verlaufs- und Erfolgsforschung der Psychoanalyse sowie den Umgang der Analytiker miteinander beflügeln oder wenigstens verstehen lernen.

Auch hier spielt nämlich Leiblichkeit die größte Rolle. Wir müssen dazu nur immer wieder klarmachen, dass Unfreundlichkeiten (wie natürlich auch die Freundlichkeiten) nicht ohne aktive leibliche Vorgänge auskommen:

     Insbesondere Abwehr durch Vermeidung fällt „ins Auge“, so anstrengende Vermeidung des Blickkontakts, zugunsten eines Blicks, der geradeaus und versonnen in die Höhe und in die Ferne einer Weisheit (meist offenbar einer angeblichen „Grundphantasie ( Klüwer?), die das ganze Leben durchziehen soll, nicht direkt in den Himmel, sondern maßvoll über die Köpfe der Anwesenden geht und Anwesende in die Position eines Kindes nötigen möchte, das vergeblich den versöhnlichen Blick seiner Mutter zu erhaschen sucht (einziges Gegenmittel: Nicht hinsehen, also ebenfalls eine leibliche Anstrengung vollbringen. „Leib gegen Leib“), betontes Wegsehen durch Betätigung der Nn.abducentes, aber auch reger Blickaustausch und Sichzuzwinkern im „Klübchen“ zu zweit oder zu dritt (Nervus facialis, Gesichtsmuskulatur, besonders der Lidsenker und Lidheber), gestische Kumpaneien und Kopfschütteln (M. sternocleidomastoideus beiderseits), um Andere auszugrenzen, Sichumdrehen beim Anblick eines Kollegen und Fortlaufen in die entgegengesetzte Richtung (gezielte Innervation der Rumpf- und Beinmuskulatur unter besonderer Inanspruchnahme der Raumorientierung, Nichterwähnen von Voten (Betätigung der Mundschließmuskulatur), unfreundlicher („versteinerter“) Gesichtsausdruck ohne Anlass (was ohne heftige Innervierung des Nervus facialis nicht geht), Vermeidung der Begrüßung (eine große körperliche Anstrengung, so Betätigung der Kopfsenker), der Verabschiedungsworte (Mund fest zukneifen), Sich- Umdrehen bei Ansprache (ein großer körperlicher Aufwand zerebral, zerebellär und in der Bein – und Rumpfmuskulatur unter Inanspruchnahme der langen cerebro- und zerebellar-spinalen motorischen und sensiblen Bahnen und des tractus spino-thalamicus), festgefügte Sitzordnung (schwierige zerebrale Raumorientierung, bei Rechtshändern vorwiegend rechtshirnig), Flüstern zu Nachbarn (Weitstellung der Stimmritze, damit Andere nicht mithören können), unabgesprochene, willkürliche Änderungen des Procedere je nachdem, wer vorträgt (zerebraler, mühsamer Vorsatz mit Betätigung der gesamten Sprechmuskulatur).

Nützlich ist es allemal, sich klarzumachen, dass es sich auch bei Unfreundlichkeiten unter Kollegen um aktive leibliche Anstrengungen handelt.

Ein Schelm, wer denkt, Analytiker seien fleißig und keine leibliche Anstrengung sei ihnen zuviel, wenn es um den Umgang mit ihren Kollegen geht. Wozu in die Ferne schweifen?

Aber auch Positives ist dem abzugewinnen: Immerhin ist so die Bodenhaftung gesichert, erweisen sich so doch Analytiker als echte Menschen. War das unbedingt vorauszusehen?

Entscheidend aber ist folgende Überlegung: Soll jede, also auch diese Art von Leiblichkeit unter Kollegen ebenfalls unter die frühe Mutterbeziehung fallen? Soll auch zwischen uns Kollegen dem Erwachsensein die Eigenständigkeit abgesprochen werden? Damit wäre der Kreis geschlossen. Alles wäre in „bester Ordnung“. Wir hätten uns selbst auf wundervolle Weise exculpiert, müssten uns allerdings fragen, wozu wir uns im zwischenmenschlichen Bereich eigentlich der Mühe, erwachsen zu werden, unterzogen haben.

Oder soll gelten: „Alles zu seiner Zeit“? Kindheit darf Kindheit bleiben, Erwachsenheit Erwachsenheit?

Eines muss klar sein: Jede Vorstellung von völliger Fixiertheit an die Mutter- Kindbeziehung muss das Prinzip der Folge- Entwicklungen zum Erwachsenenstatus verletzen, und umgekehrt müssen wir uns von der Vorstellung einer Allgegenwart und anhaltenden, unabhängigen Bedeutung der Mutter-Kindbeziehung trennen, wenn wir an eine Entwicklung im zwischenmenschlichen Bereich glauben möchten.

Oder sollte eine Todesanzeige mit einem Abbild des Verstorbenen sein frühkindliches Portrait im Arme seiner Mutter zeigen? Dies wäre dann zumindest eine Überlegung wert.

Auch ist daran zu denken, dass die einseitige Betonung der Frühkindlichkeit ein Ableger des verbreiteten Jugendwahnes sein kann.

Jedenfalls in der Psychoanalyse (aber nicht nur hier) ist Erwachsensein oder gar Altsein nicht gerade beliebt („Tantenbataillone“, „reife Jugend“, „christmas cake“, „Einzelreisender“, „Wachstumschance“, „Ausdauertyp“, „Hoffnungsträger“, „Demographieplus“, „Kompetenzträger“, „Silberschatz“, „Humanreserve“, „erfahrenes Humankapital“, „wir wünschen Ihnen Alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg“).

Hat Freuds Anhänglichkeit an die Frühkindlichkeit seine (und unsere) Trauer über die verlorene Kindheit und deren Romantisierung künstlich verlängert? Geht es darum, dem Altern ein Schnippchen zu schlagen? Unter dem Deckmantel einer Psychotherapie-Gesellschaft?

Auch aus Religionen kommt einem das Unterfangen irgendwie bekannt vor: „Wiederauferstehung“? „Alpha kai Ōmega“? „Neubeginn“? Dies sind Erklärungen der suggestiven Kraft des Begriffs der „Frühkindlichkeit“.

Gesichtspunkte, die nicht zur Sprache gekommen sind, sind die, dass wir alle an unserem Persönlich- Körperlichen festhalten möchten. Wir möchten es uns auch unter keinen Umständen „weganalysieren“ lassen.

Ein weiterer ebenfalls nicht: Brauchen unsere Patienten tatsächlich die optimale Therapie? Sind unsere therapeutischen Ziele überambitioniert und wir dadurch womöglich überanstrengt? Können wir es uns angesichts der Komplexität der Sache leisten, durch Hineinnahme auch noch des Konzepts der Leiblichkeit uns an den Rand der Verwirrung treiben zu lassen oder freiwillig dorthin zu gelangen? Auf volltönende Ankündigungen hat der Autor verzichtet. Er hat auch wohlweislich nicht aus dem Konzept der Leiblichkeit eine über 300 Sitzungen hinausgehende Analyse gefordert, wohl in der Erkenntnis, dass Die Dauer zu beschränken ist, wenn Psychoanalyse erhalten werden soll.

Auch neuere Konzepte können nicht untermauern, dass leibliche Äußerungen von Erwachsenen / Jugendlichen auf Regression zur infantilen Mutter- Kindbeziehungen oder gar mehr oder weniger mit diesen identisch sein sollen, wie behauptet.

Namentlich seien hier nur erwähnt, damit niemand auf den Gedanken kommt, sie seien übersehen worden:

Die intersubjektive Wende der Psychoanalyse mit dem Konzept des Anderen, der Präsenz der Interaktion” (Buchholz 2005, S. 633f.). die Beziehung zwischen Psychoanalytiker und Analysand als eine Beziehung zwischen zwei Subjekten, Rollenübernahme durch den Analytiker, „szenische Inszenierung“ (ein Hendiadioin, Tautologie - oder soll es auch eine unszenische Inszenierung geben? Anm. d. Verf.), Enactment, affect attunement (Stern 1985), der adäquaten Spiegelung (es wird aber nicht gespiegelt, - dies wäre das Ende jeder Beziehung, ein Beispiel für die Gedankenlosigkeit, mit der Metaphern übernommen und verbreitet werden -, sondern eine emotionale Antwort gegeben, Anm. d. Verf., s. Krill 2006, 2010, 2013) auf die Gefühle des Säuglings durch die Mutter (Fonagy et al. 2002), Theorie des virtuellen Anderen  von Braten (1992, 1998), die Konzeption des virtuellen Anderen als ein angeborenes Design, das die Mutter als den tatsächlichen Anderen im wechselseitigen Dialog erwartet  hatte...   „der äußere, tatsächliche Andere tritt gewissermaßen nur in die Fußstapfen, die in Gestalt des inneren virtuellen Anderen vorbereitet sind” (Dornes, S. 306) (zit. n. Rhode- Dachser 1993).

All diese Gesichtspunkte können nicht eine fortdauernde Alleinherrschaft der frühen Mutter- Kindbeziehung begründen.  

Zwar mag gelten: „Denn die abwehrende Reaktion des Säuglings auf die Erfahrung des unbewegten Gesichts der Mutter muss etwas mit der Enttäuschung einer vorangehenden Erwartung zu tun haben. Nahe an Bratens Theorie liegt auch die Idee Bions von der angeborenen Präkonzeption der Brust, wenn man “Brust” als Metapher für eine Objektbeziehung versteht (Dornes, S. 312). Der gemeinsame Grundgedanke ist, dass der Säugling über angeborene Erwartungen verfügt, deren Realisierung oder Nicht-Realisierung – in Bratens Terminologie “Erfüllung” oder “Nicht-Erfüllung” – seine weitere Entwicklung maßgeblich beeinflussen (nach Dornes, S. 313.) (zit.n. Rhode-Dachser, wie auch die vorangegangenen Zitate).

Ferner:

Die Erwartung richtet sich dabei nicht nur darauf, dass die Mutter bestimmte Handlungen ausführt. Die Handlung wird vom Säugling innerlich mitvollzogen. Was dabei erlebt wird, ist am ehesten ein Gefühl der Bewegung (nach Dornes, S. 315). Forscher haben herausgefunden, dass die Beobachtung einer Handlung, die ein anderer vollzieht, im Beobachter (spiegelbildlich) dieselben Neuronen aktiviert, die auch aktiviert werden, wenn er selbst diese Handlung ausführen würde.[1] Dem entspricht das Gefühl einer aktiven Teilhabe.

Wenn die Mutter ihren Säugling füttert, dann löst die Wahrnehmung dieser Aktivität im Säugling eine Resonanz aus, in der er spürt, wie sich die Mutter bei der Ausführung der Bewegung fühlt. Auf gleiche Weise wird auch die Erfahrung von Zurückweisung oder Misshandlung vom Säugling in unmittelbarer Teilhabe erlebt (Dornes, S. 319). Wer misshandelt wird, weiß dann aufgrund dieser unausweichlichen Teilhabe auch, wie man sich fühlt, wenn man misshandelt“.

Dies geht auch aus Schilderungen von Opfern hervor. Opfer und Täter fühlen sich innerlich sehr verwandt. (Anm. d. Verf.).

„Das disponiert dazu, die Misshandlung zu wiederholen (nach Dornes, S. 320).!

Dies heißt aber nicht, dass ein Erwachsener zu dieser alten Art von Mutterbeziehung zurückkehrt, wenn er sich später in seinen Misshandler einfühlt. Er hat dazu die Ausstattung erworben. (Verf.). Wenn ein Erwachsener spazieren geht, heißt das ebenfalls nicht, dass er in einen Zustand zurückkehrt, in dem er an der Hand seiner Mutter ging (Verf.).

„In der Begegnung mit dem realen Anderen bildet sich auf diese Weise auch jenes “implizite Beziehungswissen” heraus (The Boston Chance Study Group 2002, S. 936), das als „Wissen über das Zusammensein mit einem Anderen” (ebd.) später unbewusst unsere Interaktionen prägt.

Aber dieses Wissen ist im Erwachsenenleben nicht mehr auf das Wissen des Kindes beschränkt, Anm. d. Verf.)

„Eine psychoanalytische Interpretation, die auf eine dauerhafte Veränderung dieses Wissens (nein, nicht dieses Wissens, sondern des Erwachsenenwissens, Anm. d. Verf.) abzielt, muss deshalb den impliziten Bereich des menschlichen Gedächtnisses (ja, aber des Gedächtnisses aus der Jetztzeit des Erwachsenen, Anm. d. Verf.) erreichen, der grundsätzlich unbewusst ist. Deutungen spielen sich in der Regel auf einer bewussten oder vorbewussten Ebene ab. Es muss also in der Interaktion zwischen Analytiker und Analysand noch etwas anderes geben, das diese Änderung bewirkt. Für Stern und seine Mitarbeiter ist es das “Etwas-Mehr-als-Deutung”, das zu einer Veränderung des impliziten Beziehungswissens (das aber nicht identisch ist mit dem Beziehungswissen des Kindes, sich keinesfalls auf dieses beschränkt, Anm. d. Verf.) führt. Das Kind hat dieses implizite Beziehungswissen, aber der Erwachsene hat es erst recht.

Die Deutung  geht dabei mit mikroprozessualen Veränderungen auf der impliziten Ebene einher, vergleichbar (vergleichbar ja, denn alles kann man miteinander vergleichen, aber es ist deshalb keinesfalls gleich, Anm. d. Verf.) dem affect attunement zwischen Mutter und Kind (nein , auch mit Anderen, Späteren, Anm. d. Verf.), in dem es um die Herstellung eines Gefühls von Stimmigkeit geht (Stern et al. 1998, S. 981), wie dies Braten auch für das Treffen eines innerlich bereits repräsentierten Andern voraussetzt (zit. nach Altmeyer 2005, S. 660). Stern beschreibt diesen Prozess auf der lokalen Ebene als eine Aneinanderreihung von Momenten, die er Gegenwartsmomente nennt, weil sie sich von Sekunde zu Sekunde im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung abspielen. Dabei kann es auch zu Momenten kommen, in der die gemeinsame implizite Beziehung gefährdet erscheint (Stern 1998, S. 991). Patient und Analytiker merken dies unter anderem daran, dass ihnen diese Momente unvertraut, beunruhigend, unheimlich erscheinen (ebd.).

Sie sind mit einer unbekannten Zukunft angefüllt (hier endlich der Gedanke an Progression, an Antizipation, fort von der traditionellen Rückschau in der Psychoanalyse, Anm. d. Verf.), die man als Sackgasse, aber auch als Chance empfinden kann (ebd.).

Die Gegenwart verdichtet sich subjektiv, ähnlich dem ‚Augenblick der Wahrheit’” (ebd.). Um daraus einen Moment der Begegnung zu machen, muss der Therapeut aus seiner analytischen Neutralität heraustreten und etwas einbringen, das über den gewohnten therapeutischen Rahmen hinaus geht (das über den bisherigen Rahmen, nicht nur über den in der Kindheit erfahrenen Rahmen, hinausgeht, Anm. d. Verf.) und seinen ganz persönlichen Stempel trägt. Mir fiel, während ich dies schrieb, eine Fallschilderung von Beland ein. Beland berichtet dort, wie er nach einer langen Phase scheinbar unauflösbarer negativer Übertragung von der Patientin hasserfüllt angeschrieen wurde, er sei ein eiskalter Stein, und er in diesem Moment seine psychoanalytische Neutralität über Bord warf und spontan zurück schrie:  “Ich bin kein Stein!” (nach Buchholz, S. 640 f.). Mit dieser Reaktion hatte er seine Position als Übertragungsobjekt verlassen und war als ein Anderer in Erscheinung getreten. Für Stern et al. (1998) sind solche Momente der Begegnung “das Schlüsselereignis in diesem Prozess, der Drehpunkt, an dem sich der intersubjektive Kontext (aber der Therapeut war nicht der Erste darin, und der intersubjektive Kontext hat sich seit der Mutter-Kindbeziehung laufend fortentwickelt, Anm. d. Verf.) verändert und dadurch auch das implizite Beziehungswissen über die Patient-Therapeut-Beziehung” (S. 993), (zit. n. Rhode-Dachser 1993).

Schlussbetrachtungen

“Das Unbewusste ist Präsenz der Interaktion”, so definierte Buchholz (2005) das Unbewusste in der relationalen Psychoanalyse. In dem therapeutischen Ansatz der Boston Study Group um Daniel Stern bedeutet “Präsenz” die Konzentration auf das Fortschreiten des therapeutischen Prozesses von Moment zu Moment, bis es zu einem now moment kommt, der subjektiv und affektiv als “einschlagend” erlebt wird und die Beteiligten verstärkt in die Gegenwart hineinzieht (Stern et al. 1998, S. 989). Eine stärkere Betonung der Bedeutung der Gegenwart im therapeutischen Prozess kann es kaum geben. Der “now moment” ist dabei gleichzeitig ein “Augenblick der Wahrheit” (ebd., S. 990). Ganz ähnlich sprach Bion von der “emotionalen Wahrheit einer Sitzung”, die für ihn eine Realisierung von O bedeutete (nach Eigen 1981, S. 422).

Wenn wir an dieser Stelle erneut unter Bezugnahme auf Freud nach den Manifestationen jenes “unassimilierbaren Restes” fragen, dem “ganz Anderen”, dem “Ding an sich”, das sich dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen entzieht, aber in den Konzepten des Unbewussten Spuren hinterlassen hat, dann finden wir diese Spur sowohl bei der Bostoner Studiengruppe um Stern als auch bei Bion in der Begegnung von Analytiker und Analysand in einer Situation absoluter Gegenwart, die nicht durch Erinnerung (sic! Auch nicht an die Mutter-Kind-Situation, s. auch Bollas s.u., Anm.d. Verf.) und Wunsch getrübt ist und als unmittelbar stimmig, passend, “wahr” erlebt wird. Nur Melanie Klein und in ihrer Nachfolge Betty Joseph haben meines Wissens in ähnlicher Weise die Übertragung als “Gesamtsituation” betont (Joseph 1985).

Es gibt aber noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen beiden Theorien, die sie auch mit den Konzepten des Unbewussten bei Freud und Melanie Klein verbindet. Ich habe sie bereits erwähnt. Sie betrifft die von Bollas (1987) beschriebene frühe Erfahrung der Mutter als eines Objekts der Verwandlung. Das Erleben entstammt einer Zeit, in der der Säugling die Mutter noch nicht als Andere erkennt, sondern sie als Prozess erfährt, der das Selbst verwandelt. Gerade hat der Säugling noch verzweifelt geschrieen; das Erscheinen der Mutter führt dazu, dass Selbst und Umwelt sich verwandeln. Er wird an der Brust der Mutter ruhig und saugt zufrieden. Weil diese Erfahrung aber dem existenziellen Wissen angehört, das nicht bewusst repräsentiert ist, kann es nicht erinnert werden. Das Erfahren des Objekts geht dem Wissen um das Objekt voraus (Bollas 1987, S. 51). Bollas bezeichnet es deshalb auch als das “ungedachte Bekannte” (S. 16). Später begegnet uns diese Erfahrung wieder in dem Streben nach einem Objekt, von dem wir hoffen, dass es das Selbst verwandelt (S. 26). Wenn die Suche von Erfolg gekrönt ist, spüren wir für Momente eine Beziehung zu diesem Objekt […], die einer Verschmelzung gleichkommt, in der wir uns des Verwandlungssubjekts entsinnen. Sie versetzen uns in eine ehrfurchtsvolle Haltung; oft werden diese Objekte sogar für heilig erklärt (ebd., S. 29).

Übertragen wir diese Erfahrung auf die in dieser Arbeit untersuchten psychoanalytischen Theorien über das Unbewusste, dann wäre in der Theorie des virtuellen Anderen die Mutter als Verwandlungsobjekt der erste (dies mag sein, heißt aber nicht, dass in der Folge nicht andere Objekte mit ähnlichen Erfahrungen folgen, die das Leben des Erwachsenen und seine Welt verwandeln) reale Andere, der in das Leben des Kindes tritt und seine Welt verwandelt, im Idealfall so, wie es seinen präformierten Erwartungen (diese entstammen aber auch späteren Zeiten, Anm. d. Verf.) entspricht.

Braten spricht vermutlich nicht umsonst von Erwartung und Erfüllung, wenn er die Begegnung des inneren virtuellen Anderen mit dem realen Anderen beschreibt (nach Dornes 2002, S. 313). Bei Bion bewirkt in ähnlicher Weise das Zusammentreffen der von ihm als Präkonzeption bezeichneten Erwartung einer Brust mit einer realen Brust die Verwandlung des vorher hungrigen Säuglings in einen zufriedenen satten. In den Momenten der Begegnung in der therapeutischen Beziehung, wie sie von Stern et al. beschrieben werden, ist es der plötzlich als Anderer sichtbar werdende Analytiker, der eine solche Verwandlung bewirkt. Erwartung und Erfüllung sind also auch hier eng miteinander verbunden (aber ein Rückgriff auf die erste Erfahrung mit der Mutterbrust ist damit keineswegs dargelegt oder wahrscheinlich gemacht. Auch hier steht lediglich das Regressionskonzept Pate, Anm. d. Verf..).

Melanie Klein spricht von der Unverzichtbarkeit einer guten Brust als lebensspendendem Objekt, das in der Lage ist, den Auswirkungen des Todestriebs in Form von Hunger, Neid und Aggression entgegenzutreten und vor ihnen Zuflucht zu gewähren. Auch diese “gute Brust” ist danach ein Objekt der Verwandlung.)

Damit komme ich zurück zu Freud, nach dessen Vorstellung der Mensch ein Leben lang vergeblich nach der Wiederholung einer ersten Befriedigungserfahrung sucht, die mit Sicherheit auch als Erfahrung einer Verwandlung beschrieben werden könnte. Jedes spätere Objekt, das eine Wiederholung dieser Verwandlung verspricht, wird von daher idealisiert, man könnte auch sagen: in den Himmel gehoben (Freud 1914c, S. 161). Und auch wenn Freud die Religion in den Bereich der Illusion verweist (1927c) und das Verliebtsein als maßlose Überschätzung des Liebesobjekts entwertet (1914c, S. 161): Die Sehnsucht nach einer Transformation des Selbst durch ein Objekt der Verwandlung lässt sich auf diesem Wege nicht zum Verschwinden bringen. Sie ist so unzerstörbar wie die Schatten der odysseeischen Unterwelt, die jederzeit bereit sind, zu neuem Leben zu erwachen. Das jedenfalls ist der Vergleich, den Freud für die Unzerstörbarkeit der infantilen Triebwünsche wählte (1900a, S. 58, Anmerkung). In der hier vorgeschlagenen Lesart beziehen sich diese Triebwünsche auf ein Objekt, das wie in der ursprünglichen Begegnung mit einer noch als Prozess erlebten Mutter eine Transformation des Selbst verspricht („wie“ in... mag richtig sein, dies heißt aber nicht, dass es eines Rückgriffs auf diese bedarf, - es handelt sich nur um einen losen Vergleich, Anm, d. Verf.). Diese Objekte (auch spätere !, Anm. d. Verf.) sind ehrfurchtgebietend, heilig. Damit werden sie gleichzeitig zu einer Transformation von O.  

Jeder Text, und das heißt, auch jeder theoretische Text, hat einen unbewussten Subtext. Wenn wir mit diesem Wissen einen letzten Blick auf die vier Konzepte des Unbewussten werfen, die wir hier einer Untersuchung unterzogen haben: Wäre es zu gewagt, zu behaupten, dass jede dieser Theorien als Subtext einen Mythos enthält, in dem die stärksten menschlichen Sehnsüchte und die tiefsten menschlichen Ängste ihren Niederschlag finden: In Freuds Theorie die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, in Melanie Kleins Theorie die Angst vor der Macht der Hölle im eigenen Innern, in Bions Theorie der Hinweis auf ein göttliches O, das unter anderem als Wahrheit in der psychoanalytischen Situation erfahrbar werden kann, und im Unbewussten der relationalen Psychoanalyse die Vorstellung der Präsenz des Anderen in einer zeitlosen Gegenwart, in der es weder Trennung noch Tod gibt? Auf diese Frage gibt es keine abschließende Antwort. Ich wollte sie zum Schluss aber wenigstens stellen.“ (Zitate: Rohde-Dachser, C. (1993). Geschlechtsmetaphern im Diskurs der Psychoanalyse. In M. B. Buchholz (Hg.).. Metaphernanalyse. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 208-228.

Man hat vor lauter Eifer und Begeisterung über die Entdeckungen bzw. Vermutungen über die frühe Kindheit übersehen, dass die Entwicklung weitergeht und unsere Patienten nicht für alle Ewigkeit frühesten Mustern folgen müssen, ja, gar nicht folgen können, - schon weil sich die Aufgaben geändert haben.

Der Regressionsgedanke hat dazu geführt, dass Vorgänge in der Gegenwart, so in der Analyse, gleichgesetzt werden mit dem frühesten Mutter- Kind-Erlebnis.

Analogien sind immer da beliebt, wo Argumente fehlen. Sie zeigen Argumentationslosigkeit an.

Erbarmungslose Ideologische Härte ist auch daran zu ersehen, dass auch ältere und alte Analysanden genötigt werden sollen, in die früheste Kindheit zu regredieren, und man ihnen hierin nicht einmal einen Runzelrabatt gewähren möchte. Dies ist nicht nur unmöglich, sondern wäre auch nutzlos.

Soll Psychoanalyse eine nie revidierte Kindheitsideologie bleiben? Oder kann man den Blick mehr auf Progression lenken, und dies nicht immer nur unter Hinweis, dass zuerst die Kindheit aufgearbeitet werden müsse ? Es wird aber schwer werden, der etablierten Ideologie, die überall bis in die kleinsten Seminare mit großer Eloquenz verteidigt wird, in die Parade zu fahren.

Die Neigung, leibliche Äußerungen auf die Mutter- Kindbeziehung zurückzuführen, zieht auch eine einseitige mütterliche oder „mütterliche“ Haltung nach sich (Übertragung des Analytikers auf den Patienten aus Voreingenommenheit, weniger eine Gegenübertragung auf den Patienten, da dieser von sich aus nicht das Bestreben nach Regression und Befassen mit der Kindheit, erst recht nicht der frühesten Kindheit, haben kann.

Auch die von Analytikern verwendete Sprache gegenüber dem Patienten und in den Seminaren mit Kollegen, auch mit Ausbildungskandidaten, kann davon nicht unberührt bleiben: Übervorsichtig abwägend (man will eine gute Mutter sein und keinesfalls etwas falsch machen, sondern zumindest schön brav „spiegeln“, weil dies angeblich die -  immer uneinfühlsame - Mutter versäumt hat, man muss lieb und ermunternd sein, und tiefes, tiefes Verständnis für die frühe Kindheit zeigen und schonend vorgehen, weil der Patient doch in seiner frühen Kindheit unendlich traumatisiert ist und unendliche Empathie benötigt, über die nur ein unendlich gut ausgebildeter Analytiker verfügen kann, vorsichtshalber fleißig den Konjunktiv verwendend („Könnte es sein...?“) und allgemein alles Aggressive ausklammernd, in Kollusion mit dem Patienten.  Dazu eignet sich anscheinend auch eine betont unaggressive behutsame, aber ausdauernd vor sich hinklappernde Sprache („Analyseklappern“, Analyserattern“, „Das analytische Mühlenklappern“, Verf. hier) („achtsam, furchtsam, klagsam, duldsam, Spiegel, Gefühle.. und immer wieder tiefe, tiefe Trauer und „nachhaltige Trauerarbeit“).

„Achtsamkeit“ hat eine bedeutende Literatur erzeugt, viele Therapeuten schwören auf die Wirksamkeit der Achtsamkeitstherapie. Dies ändert aber nichts daran, dass deren Verbreitung von der Ausklammerung des Aggressiven im Wort „Achtsamkeit“ profitiert, auch wenn inhaltlich dies nicht so ist. Dies ist aber kein Thema im Buch, und deshalb können diese Ausführungen auch nicht für oder gegen das Buch gerichtet sein.

Es dürfte aber kaum ein Zufall sein, dass kein Wort über Zähneknirschen (Bruxismus) fällt, obwohl es sich um ein außerordentlich häufiges Symptom handelt, das ganz offensichtlich eine leibliche Dimension zur Abwehr gegen Aggression hat, aber auch diese Aggression selbst ausdrückt (unvollkommene Abwehr, Durchbrechen des aggressiven Impulses, nur schwach abgewehrt durch Wendung gegen die eigene Person, sprich gegen die eigenen Zähne..

Bruxismus hat das Pech, dass es analytischer Klimmzüge („früher oraler Sadismus“) bedarf, hier einen Zusammenhang mit der frühkindlichen Mutterbeziehung zu konstruieren, (Lied Brecht-Weigel: „Und der Säugling.. der hat Zähne“, - hat er?) und deshalb im Buch nicht behandelt wird (wenn der Rezensent es nicht überlesen hat, was bei diesem umfänglichen Werk durchaus geschehen kann, - aber jedenfalls ist dieses wichtige Thema nicht erkennbar hervorgehoben), und das Glück, somit einer Behandlung zu entkommen.

Auch ist die Verschiedenheit des Körpergefühls, wie es jeder bei sich beobachten kann, nicht erkannt und daher auch nicht berücksichtigt, auch nicht verstanden worden. Das „Schweregefühl“ dürfte ganz anders als in der Kindheit empfunden werden, weil tatsächlich die Körpermasse, insbesondere auch die bei jeder Bewegung gefühlte Muskelmasse, mit dem Erwachsenwerden zunimmt, ebenso wie die eigene Erfahrung mit dem Körper. Der kindliche Körper fühlt sich „kinderleicht“ (sic!), eher wie Luft, an, jedenfalls fast gewichtslos.

 

Für Analytiker, die sich in Langzeitanalysen auskennen, ein Gewinn. Sehr zu empfehlen, wenn auch die Verknüpfung der Leiblichkeit mit dem Begriff der „Regression“ ein folgenreicher Missgriff ist, welcher das Thema unnötig einengt und so künftige analytische Arbeit mit dem Phänomen der Leiblichkeit erschwert.

Zu wenig beachtet ist in der heutigen Psychoanalyse, dass es nicht nur darauf ankommt, welcher Gesichtspunkt „richtig“ oder in der Therapie / in der analytischen Theorie weiterführend ist, sondern, wozu er benutzt (missbraucht) wird. Zu oft soll auch mit an sich richtigen Gesichtspunkten nur von der analytischen Aufgabe, der Bearbeitung innerer Konflikte, abgelenkt werden.

 

Hier noch einmal die wichtigsten Stichwörter:

Leiblicher Austausch, auch unter Analytikern in der Gruppe, „Zwischenleiblichkeit“, „Leiblichkeit“ auch im Umgang der Analytiker miteinander in Seminaren, Regression vs. Erwachsenenstatus und Progression, Antizipation, Kindheitsthese, Infantilimorphismus (genetic fallacy) mit der üblichen Detailverliebtheit, Abwehranalyse, Intellektualisierungen, Schneiderwitz, scholastische Denkweise, Isolierungen, suggestive Manipulation, verdeckte Fehlschlüsse, der „Dritte“, Durchbezahlen, Auftrag, „Psychose“, Ignoranz, Desinteresse, Neglect, Couch, Imitation, Compliance, Soziologie, Philosophie, „Räume“, Performance, Fairbairn, Melanie Klein, Bion, Werner, Shapiro, Gray, Kernberg, Fonagy, Krill, Bollas, Rhode-Dachser, Stern, Altmeyer, Dornes, Braten, The Boston Change Study Group, Fallbeispiele, Phobie der Analytiker vor der Erwachsenen-Sexualität und - Aggressivität, verkappter Antifeminismus, Dramatisierung, topographisches Modell vs. Strukturmodell, Überforderung durch zu große Komplexität, unanalysierter „Beifang“, Achtsamkeit, Behutsamkeit, Bruxismus, Gefühl der Schwere des Erwachsenenkörpers vs. dem „kinderleichten“ (sic!) Körpergefühl.

 

Hohes Niveau. Nicht nur eine Leseerfahrung. Auch literarisch hochstehend, liest sich streckenweise wie eine gute Novelle. Gründlich geschüttelt, dann neugierig beschnüffelt und sanft gerüffelt. Einmal ganz performativ gesagt: Das Buch schlägt zu Buche, und es schlägt solange und so kraftvoll auf die Leiblichkeit ein, bis diese antwortet und wimmernd ihr Geheimnis preisgibt. Zoff und Tacheles gibt es auch, sie können nur dem erspart bleiben, der das Buch nicht liest. Dazu soll aber nicht geraten sein.

Literatur im besprochenen Buch

 

Hintergrundliteratur:

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Krill M (2011): Das Ende des Ödipus, Sophokles: „Ödipus in Kolonos“ (Oidipous epi Kolonō),- psychoanalytisch neu gelesen, Verlag Peter Lang, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern, Berlin, Frankfurt, Oxford, Wien, Brüssel, New York

Krill M (2011): Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TfP) und analytische Identität, in DPV-Informationen, Berlin, Nr. 51, 47 ff.

Krill M (2012) Drehbuch zum Drama Sophokles` „Ödipus in Kolonos“, ISBN 978-3-9815177-0-5,  Dr. Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse (ISBN des Verlages 978-3-981 5177)

Krill M (2012) Klassische Psychoanalytische Kompromisstheorie: Symptombildung    

             als Kompromiss  ISBN 978-3-981 5177-1-2 , Dr. Manfred Krill Verlag für

             Psychoanalyse (ISBN  des Verlages 978-3-981 5177)

Krill M (2013) Anorexia nervosa und Aggression,   ISBN 978-3-981 5177-3-6, Dr. Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse (ISBN des Verlages 978-3-981 5177)

Krill M (2013) Psychoanalytic Compromise Theory and Effects and Non-Effects on Psychoanalysts, Patients and Society, Verlag Dr.Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse 978-3-981 5177 8-1

Krill M (2013) Психоаналитическая теория компромисса и её воздействия и не-

            воздействия на психоаналитиков, пациентов и общество.

Krill M (2014) Kritische Psychoanalytische Mitteilungen, in Vorbereitung Dr. Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse (ISBN des Verlages 978-3-981 5177)

Krill M (2014) Gruppenanalyse, neu entworfen nach der Abwehrtheorie, ISBN 978-3-981 5177-6-7

               Verlag für Psychoanalyse (ISBN des Verlages 978-3-981 5177)

Krill  M (2014)  Rezension über „ Die leibliche  Dimension in der Psychoanalyse“ von

              Dr. phil. Jörg Scharff, Brandes & Apsel, 1Auflage, 2010, 205 Seiten:, 978-3- 981 5177- 7- 4

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Dr. Manfred Krill, Psychoanalytiker, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse (DPV, IPV, FPI, IPAA), Gruppenanalytiker (GRAS), Balintgruppenleiter (LÄK Frankfurt), Supervisor, Lektor.

 

 

 

 

 

Rezension des Buches von Wolfgang Mertens: „Psychoanalytische Behandlungstechnik", Kohlhammer, 2015, 1. Auflage

 

 

von Dr. Manfred Krill, Psychoanalyse (DPV, IPV, FPI, IPAA)

Verlag Dr. Manfred Krill für Psychoanalyse

ISBN des Verlages 978-3-9815177

61462 Königstein im Taunus

 

 

 

Impressum

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http:/ dnb.ddb.de> abrufbar.

Originalausgabe

Buch, ungebunden

(C) 2017 Dr. Manfred Krill Verlag für Psychoanalyse, Hainerbergweg 53, D-61462 Königstein

Satz und Druck: Dr. Manfred Krill (Autor), Königstein

Schrift: Arial

Das Urheberrecht: liegt ausschließlich bei Dr. Manfred Krill. Alle Rechte sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert, übersetzt oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Printed in Germany, 1. Auflage

ISBN 978-3-98 18213-4-5

Verlag ISBN 978-3-9815177

Preis 44,- Euro

 

 

 

Der Autor beweist hier wieder einmal seine profunde Kenntnis der verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren und der Fachliteratur bis heute. Die Zusammenstellungen und Gegenüberstellungen sind meisterhaft, mir sind keine besseren bekannt, und die Sprache könnte präziser und verständlicher zugleich nicht sein. Wohltuend ist auch, dass der Autor auf übliche, hochgestochene, intellektualisierende Redeweisen, wie man sie in der psychoanalytischen Literatur ständig erdulden muss, verzichtet.

Indes liegt der Teufel bekanntlich im Detail, und hier erscheint das Buch nicht immer so, wie wohl vom Leser erhofft.

An theoretischen Beschreibungen, Zusammenstellungen und Gegenüberstellungen fehlt es ja heute nicht, zu oft aber an Fallbeschreibungen.

Das Buch weist selbst auf „die Angst des Analytikers vor der psychoanalytischen Methode" hin, widmet ihr sogar ein ganzes Kapitel („Die Angst des Psychoanalytikers vor der psychoanalytischen Methode", S. 50 ff).

Im Fallbeispiel 1. Teil, S 91 ff, geht es wohl um einen Fetischisten. Der Patient fühlt sich –auch sexuell - zu Frauen hingezogen, denen ein Bein fehlt oder die ihm zumindest dies vorspielen können. Als mögliche Erklärung bietet der Patient an: Er zeige somit Respekt für behinderte Frauen, oder seine Vorliebe sei „genetisch vorbestimmt". Dies kann man z.B. als Rationalisierung (Wohltat, Respekt) oder Verschiebung („Genetik") deuten.

Weniger zu sehen ist ein systematisches Absuchen nach Motiven wie Wünschen, darunter auch aggressive Regungen, etwa gegen Frauen bzw. die Mutter, Ängsten, darunter auch die, seine Wünsche nicht erfüllen zu können, sowie Vergeltungsängsten oder die Angst, die Frau könne ihm weglaufen, oder die Angst vor Überlegenheit der Frau, in welcher Form auch immer, Schuldgefühlen, so, in seinen Phantasien oder Handlungen aggressiv gewesen zu sein oder noch zu sein, Schuldgefühlen, solche Wünsche gehabt zu haben oder noch zu hegen, Schamgefühle, seine Ziele nicht erreicht zu haben und nicht erreichen zu können oder innerlich so aggressiv gewesen zu sein, und die Art der gewählten Abwehrformen, etwa Wendung gegen die eigene Person in Form der Selbstschädigung (so Selbstbestrafung) durch sozialen Rückzug, Einschränkung seiner Möglichkeiten einer Partnerschaft, so auch , eine gesunde Partnerin zu suchen und vorzuzeigen, evtl. auch Wendung vom Passiv ins Aktiv (Loevinger) und wechselseitigen Übertragungen und Gegenübertragungen vom Patienten und vom Analytiker sowie von der sozialen Umgebung des Patienten und des Patienten auf seine Umgebung sowie Nachweisen für ein Psychotrauma oder eine Mentalisierungsstörung. Einige dieser Gesichtspunkte werden zwar angeschnitten, aber nicht systematisch und nicht näher ausgeführt. Andere kommen gar nicht erst ins Blickfeld.

Können wir so zu einem profunden Verständnis des Einzelfalls kommen?

Und was bedeutsamer ist als ein noch so vertieftes Verstehen des Einzellfalls, wäre eine klare psychoanalytische Handlungsanweisung, so in Form von Deutungen, die dem Patienten gegeben werden könnten („Behandlungstechnik").

So ist zu sehen, dass gerade dieser versprochene Teil („Technik") nicht konkret genug dargestellt ist. Mit allgemeinen Ausführungen, und seien diese noch so gut durchdacht wie zweifellos hier, ist nicht gedient. Wie geht denn nun ein Analytiker in solchen Fällen im Dialog konkret vor? Dies hätte man gern, vor allem genauer, gewusst. Der Autor gibt hierzu ja selbst einen Fingerzeig, ist sich also den Problems bewusst („Die Angst des Analytikers vor der Psychoanalyse", S. 50), wenn auch erneut in allgemeiner Form. Dies ist allerdings ein allgemeines Phänomen in der psychoanalytischen Literatur, und das Buch bildet hier nur keine Ausnahme. Wenn es ans „Eingemachte" geht, d.h. an die – eigentlich mit Geduld unschwer zu entdeckenden - Einzelkomponenten des inneren Konflikts (diese auch nach Traumen), tritt zu oft Funkstille ein. Dabei handelt es sich hier um die eigentliche analytische Arbeit, denn allgemeinere, nicht spezifisch analytische Ausführungen können auch Andere erbringen. Dabei kann man die Analytiker nicht einmal als bequem bezeichnen, aber ganz verstehen kann man andererseits auch nicht, warum sie zu oft diese speziell analytische Arbeit einfach nicht leisten, wenigstens in der Literatur. Man möchte vielen Analytikern zurufen: „Liefern Sie, Sie können es doch"!

Der Autor führt aber gegen solche Forderungen nach Gewissheit, Vollständigkeit, Perfektion, wenn ich ihn recht verstehe, Bions Konzept der „negative capability" an (S. 98). Ungewissheit ermögliche erst die Entwicklung zu weiteren, besseren Konzepten. Dies ist sicher richtig, aber die Frage ist, ob dieser Gesichtspunkt uns von der Suche nach Vollständigkeit aufgrund des bereits vorhandenen Konzeptes, so der Abwehrtheorie, entheben kann. Ich meine, dass dies zu weit geht und einer nur oberflächlichen oder unnötig oberflächlichen Betrachtung Vorschub leistet und tatsächlich mehr zu leisten wäre, wenn man dies denn wollte. Konzepte, so man denn welche hat, müssen auch konsequent angewandt werden, und man darf nicht einfach stehenbleiben, wenn man gerade daran keine Lust mehr hat.

 

In seinen ergiebigen Ausführungen über die Unterscheidung von tiefenpsychologisch fundierter und analytischer Psychotherapie geht er auch auf die begrifflichen und therapeutischen Schwierigkeiten ein, die sich mit diesem Versuch einstellen. Es ist aber offensichtlich, dass diese Unterscheidungen letzten Endes künstlich sind.

Der Autor hält sich an die Psychotherapierrichtlinien der Leistungsträger, weil dies für praktische Zwecke notwendig ist, aber obwohl diese ja ziemlich willkürlich erstellt sind und somit nicht die Essenz des Themas sein können. Der Autor räumt auch insbesondere ein (S.104), dass die Unterscheidung von „neurotischen" und „strukturellen" Störungen „schwierig, nicht unumstritten" ist. Es ist die Frage, ob diese Unterscheidung nicht sogar unsinnig ist. Denn alles Psychische hinterlässt im Gehirn eine Spur und ist insofern „Struktur" wie bereits jeder Regen in einem auch harten Gebirge. Deren Dauer können wir gar nicht beurteilen und brauchen wir auch nicht zu beurteilen. Wir können nicht beurteilen, wie verfestigt diese Struktur ist und in wieweit sie sich therapeutisch beseitigen, ersetzen, in der Betonung mindern, überfahren oder überformen lassen wird oder in welchen Ausmaß sie sich von selbst auflösen wird (was offenbar oft der Fall ist, denn sonst hätten wir sehr viel mehr erwachsene Traumatisierte) oder „integriert" wird (ein äußerst vager, aber angenehmer Begriff) oder in welchem Ausmaß sie wie ein Stachel so bleiben wird wie sie ist. Wir können es nur versuchen.

Die therapeutische Seite kommt zu kurz, wie auch in der Psychoanalyse überhaupt die Diagnostik und die Indikationsstellung nebst klugen, gut begründeten Weichenstellungen, Metaphorik von „Oberfläche und Tiefe" und fleißigen Reflektionen über die verschiedenen Konzepte und gewiss scharfsinnigen, oft aber auch nur pauschalen, klischeehaften biographischen Herleitungen und damit altes Heilsversprechen, unverhältnismäßig aufgebläht erscheinen, - mit immer mehr Verfeinerungen, denen aber das therapeutische Korrelat fehlt.

Hier erhebt sich, unabhängig von diesem Buch die Frage, ob die Psychoanalyse nicht von Anfang an den Mund zu voll genommen hat. Viel versprochen und wenig gehalten. Dass die anfängliche Euphorie, der Analytiker brauche nur unbewusste Prozesse bewusst zu machen, die – vermeintlichen oder tatsächlichen - Übertragungen fleißig zu deuten und mit seinen Gegenübertragungen in sich zu gehen (Der Autor zitiert etwas willkürlich hierzu Gill, S, 130), und die Symptome dem Patienten „zu erklären", zu nichts geführt hat, und es sich namentlich bei der euphorischen Rezeption der Übertragungsdeutungskonzepte um eine Luftnummer handelte, ist ja inzwischen Allgemeingut. Was soll auch ein Patient davon haben, dass ihm erklärt wird und er auch nach langem Hin und Her auch z.T erlebt, wie sich kindliches oder früheres Verhalten, Gefühle und Beziehungen jetzt in seiner Analyse an seinem Analytiker wiederholen? Dann wiederholt es sie eben, und dann kann sich der Patient auf die Suche nach besseren Lösungen machen und findet sie vielleicht auch, und das war es dann aber auch. Wer glaubt denn heute noch daran, dass ein paar Wiederholungen und bessere Lösungen wirklich die ersehnte Symptomerleichterung bringen? In der Literatur ist man durchwegs damit glücklich, wenn der Patient ehemalige Konflikte neu durchlebt. Ob es dem Patienten auch besser geht, gilt als eine überflüssige Frage. Auch auf Kongressen hört man nie die Frage: „Ach, wie geht es übrigens dem Patienten?" - 1940 erzeugte auf einem US-Kongress diese Frage tosendes Gelächter, weil man eine solche Frage als „unanalytisch" bewertete, Lit. beim Verf...

Allerdings kann es so klingen, dass im Buch (S.117) anscheinend diesen simplen Behandlungstheorien noch angehangen wird, wenn etwa darauf abgehoben wird, der Analytiker habe in solchen Fällen die Ursachen oder seine Gegenübertragung nur noch nicht richtig erkannt, namentlich die Eigenart des Patienten noch nicht richtig erkannt, den „unbewussten Sinnzusammenhang" (S. 119) (einschließlich der Übertragungen und Gegenübertragungen, Verf.) im Patienten nicht erkannt (S.118), habe sozusagen (Verf.) noch nicht gründlich genug analysiert. Das ist ein verhängnisvoller Irrtum nach der Devise: „Analysiere mehr, Genosse, analysiere fleißiger und länger!" oder „Mehr hilft mehr", die schon spätestens Watzlawik widerlegt hat. Dieser Irrtum hat einfach zuviel Unglück angerichtet, als dass man ihn übergehen dürfte, besonders in Langzeitanalysen (1000 Stunden, 3000 Stunden).

Von Sinnzusammenhängen haben wir alle inzwischen genug.

Auch die direkte Ansteuerung des Selbstwertgefühls („Selbstwertbalance") als Zielpunkt, vielfach propagiert (aber nicht von Gray, wie der Autor meint, aber offenbar vor diesem) hat nicht das gehalten, was sie versprochen hat, (S. 131 und zuvor). Denn auch hier zeigte sich der Teufel im Detail, nämlich in fehlender technischer Anweisung, wie denn eine solche zu erreichen sei. Solche Empfehlungen gleichen platten Wunschvorstellungen, die gewiss gern überall Gehör finden. Ohne Angaben, wie dies zu erreichen sei, sind sie realitätsfremd und therapeutisch wertlos, vielleicht sogar als zynisch bewertbar. Soll man etwas einem Anorektiker sagen, er müsse als erstes seine Stimmung verbessern, sein Selbstwertgefühl heben und einfach mehr essen, dann werde es schon? Verbesserung des Selbstwertgefühls ist eine Folge guter Therapie mit Symptomerleichterung, weil jeder innere Konflikt oder jede innere Unstimmigkeit mit den unvermeidlichen sozialen Folgen am Selbstgefühl nagen muss, aber nicht direkt beeinflussbar ist, etwa nach der Devise: „Fühle dich wertvoller, Genosse!", „finde deine Selbstwertbalance (Autor), Genosse!". Darauf kann ein Patient nur antworten: „Jawoll!".

Das Konzept von Gray funktioniert in der Theorie geradezu wundervoll: Der Patient findet und bearbeitet mit seiner Selbstbeobachtungsfunktion selbst seine Abwehr, gibt sie schrittweise auf und lernt, die unangenehmen Affekte, welche die Abwehr ausgelöst haben, wie Angst, Schuldgefühle, Schamgefühle zu ertragen und kann dann erst recht seine Abwehren fallen zu lassen. Wie schön. Es fehlt aber an Hartnäckigkeit bei den Analytikern, auch konsequent bei diesem Vorgehen zu bleiben, denn dazu müsste er sich fortlaufend voll darauf konzentrieren, und dieses ist mühevoll. Da ist es doch bequemer, sich die Assoziationen der Patienten anzuhören, und seine kindliche Vorgeschichte dazu. Auch sind nur wenige Patienten (aber es gibt sie!) bereit, diese Mitarbeit zu leisten, denn sie sind gewöhnt (um nicht zu sagen, verwöhnt), dass der Therapeut die ganze Arbeit leistet (Anspruchshaltung der Versicherten, bei fehlender finanzieller Selbstbeteiligung, und sei diese noch so gering) und dass sie jede Art von Diagnostik und Therapie lediglich an sich erdulden müssen. Von diesen Schwierigkeiten, die diesmal auch erheblich auf der Seite der Analytiker liegen, erwähnt der Autor nichts.

Dass Vorwürfe von Solipsismus, Selbstfixiertheit, Überheblichkeit an die Psychoanalyse nach wie vor nicht ganz unberechtigt sind, zeigt sich auf S 122: „.. dass.. der Analytiker sich nicht nur mit seinen Interpretationsentwürfen... beschäftigt, sondern sich auch (! Verf.) in seinen Patienten hineinversetzt.." Hier wird dem Patienten und seinem Innenleben ein nur sekundär zu beachtender Status zugebilligt. Soll der Analytiker mehr mit sich selbst als mit dem Patienten befasst sein? Es scheint so, und viele Buchtitel weisen darauf hin. Feiert hier die bekannte Therapiefeindlichkeit vieler Analytiker fröhliche Urständ? Das offiziell Geleugnete kommt doch immer wieder hervor, - unversehens Wiederkehr des Verdrängten, wenn nicht ständig achtgegeben wird.

Auch in diesem Buch hätte man gern etwas mehr erfahren, wie denn nun eine analytische Psychotherapie, konkret an einem Fall dargestellt, vor sich geht und welche Erfolge damit erzielt werden. Noch so gut durchdachte Betrachtungen über „Oberfläche und Tiefe" können hierfür keinen Ersatz bieten, sie scheinen manchmal sogar die Funktion zu haben, von der konkreten therapeutischen Aufgabe abzulenken, sodass deren Nichterfüllung nicht weiter auffällt (Ausflüchte, evasions, otgoworkii).

Aber dieser Pferdefuß der Psychoanalyse ist nicht dem Autor anzulasten, sondern bereits Freud (s. Pohlen, M.2006: Die Sitzungsprotokolle Ernst Blums 1922).

Immerhin bietet der Autor hier doch eine Reihe von konkreten Interventionen – verschiedener Richtungen an (S.133-138). Was aber fehlt, ist ein jeweils folgender Dialog. Deutungen zu geben ist ja nicht schwer. Schwieriger und erst therapeutisch gewinnbringend ist es aber erst, die Antworten des Patienten, nonverbale und verbale, wahrzunehmen und dann weiter zu analysieren, und ab hier kann man erst von analytischer Bearbeitung sprechen. Im Gegenteil lässt sich das bloße Aufzählen von Deutungen auch als Selbstherrlichkeit verstehen, nach dem Motto: „Der Analytiker hat gesprochen, Amen". Wenn der Patient die Deutung nicht nutzbringend verwerten kann, ist er „selbst schuld", so nur zu oft der Tenor in der analytischen Literatur, -hat er doch die einmalige Gelegenheit, einen inneren Konflikt zu lösen, verpasst. Wiederholt ist ja den Patienten bei ausbleibendem Erfolg vorgehalten worden, sie hätten eben „vom Analytiker Gebrauch machen sollen".

Das Ausleben von Selbstherrlichkeit droht auch bei „abduktiven Deutungen" (nicht nur bei Bion), die zufällig sehr nützlich und bewegend sein können, mit dem Hauch genialer Einfälle, und nicht nur der Autor warnt vor einer „Mystifizierung" (S. 140). Unter den abduktiven Deutungen sind auch naturgemäß viele unbrauchbare, aber es kann auch immer sein, dass ein Patient zufällig davon großen Nutzen hat, wenn sie einen unvorhersehbaren Bezug zu ihm hat. Der Patient verfährt hier nach „random firing".

Fallschilderungen von Wert finden sich bei der Besprechung der Abwehranalyse (S.145ff). In den Fallbeispielen von Bulimie und Zwangsstörung (147-148) wird jedoch das narzisstisch-aggressive Element, das gegen die Umgebung gerichtet ist, nicht gesehen oder unterbewertet. Gerade Essgestörte und Zwangsstörungen (wie auch Angststörungen und Phobien) tyrannisieren extrem ihre Familienangehörigen, das Pflegepersonal und die Psychotherapeuten, vor allem auch im stationären Bereich.

Vor allem wird nicht gesehen, dass viele dieser Patienten Genuss daran finden, sich selbst extrem in den Vordergrund zu stellen und Andere zu demütigen (insbesondere das Pflegepersonal, aber auch die Eltern). Es ist der Genuss des Narzissten, der anscheinend nicht gesehen wird.

Auch dieses Werk hinterlässt stellenweise den fatalen Eindruck, dass es sich entschieden zu wenig mit den aggressiven Regungen und deren Abwehr im Innenleben befasst, - zugunsten eines eher gütigen, wohlmeinenden Tonfalls, der vorzugsweise den passiv Erleidenden beschreibt und so manches Mal einseitig den „armen Patienten" mit viel angeblicher und tatsächlicher Empathie bedenkt, die das Leiden in den Vordergrund rückt. Vor dem Aggressiven aber macht die Empathie zu oft Halt, wie es heute überall zu sehen ist.

Das Aggressive wird dann gern mit allgemeinen Ausführungen über „Probleme"(so S. 149) zugedeckt, die manchmal etwas Pastorales an sich haben oder diesen Eindruck erwecken. Damit erweist sich das Werk in Teilen als compliancehaft mit der augenblicklichen öffentliches Tendenz zur ständigen Betonung von Gewaltlosigkeit, obwohl das Gegenteil davon ständig präsent ist und uns täglich vorgeführt wird, - im öffentlichen Raum wie im Privatleben. Somit macht das Werk die allgemeine Abwehr (Verleugnung, Verdrängung, Reaktionsbildung, Verschiebung) der aggressiven Regungen im Einzelpatienten, in Gruppen, in der „political correctness" mit und verfehlt somit die Aufklärung i. S. einer tieferen und möglichst vollständigen Wahrheitsfindung des Innenlebens (S,. 150: „..das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten einer bestimmten Kompromissbildung..") Aber dazu gehören seit dem späteren Freud auch die aggressiven Wünsche). Dies ist schade, verfehlt das Buch doch so, ein Gegengewicht zum common sense zu bilden, obwohl Psychoanalyse dazu prädestiniert ist wie kein anderes Fach. Das heutige Tabu besteht nicht in der Unterdrückung der Sexualität, sondern in der Tabuisierung der Bedeutung der Gewalt im menschlichen Seelenleben.

Auch in seiner Aufzählung der Quellen der Widerstände (S. 152) sind aggressive Regungen nicht explizit aufgeführt, obwohl sie die größte Rolle spielen. Dieses Thema wird immer wieder umgangen, so mit allgemeinen und zwar richtigen, aber in diesem Punkt nichtssagenden, umgangssprachenahen Floskeln, so auf S.152 „Schwierigkeiten mit... seinem Ehepartner", - kein Wort von den schweren aggressiven Auseinandersetzungen in Ehen (und Beziehungen überhaupt, auch am Arbeitsplatz) und deren Abwehr. Wenn es sich nur um „Schwierigkeiten" handelte, würden nicht soviele Familien katastrophal zerstört werden. Die verharmlosende, verdeckende Art des Umgangs wird auch hier deutlich, - die Auslassung ist nicht zu übersehen. Immerhin kommt der Autor auf der Folgeseite auf „Tötungsphantasien" zu sprechen, aber warum immer zuletzt? Er liegt damit im Zeittrend.

Diese aggressiven Regungen können Patienten fast ungehindert ausleben, weil die Gegenseite durch fürsorgliche und Schuldgefühle gehemmt ist, einzuschreiten oder sich zurückzuziehen. Das Selbstquälerische in der Symptomatik wird einseitig betont. Tatsächlich handeln Patienten oft „hart gegen sich selbst und grausam gegen Andere"(Verf.).

Aber auch für alle Regungen der Patienten, nicht nur seiner aggressiven, ist die gewaltige Handlungsmacht der Patienten nicht gesehen. Er wird einseitig als Opfer seiner Eltern, aber bereits zu wenig das seiner Geschwister und noch weniger das seiner folgenden Beziehungen gesehen. Alle Patienten sind auch handlungsmächtige Manipulationskünstler, sie beanspruchen nicht nur Gleichrangigkeit, sondern auch Überlegenheit (diese von ihnen gern als „Augenhöhe" bezeichnet), und dies nicht nur den Therapeuten, sondern auch ihrem ganzen Umfeld gegenüber, gerade auch am Arbeitsplatz, wo man ihnen keineswegs immer folgen mag.

Hier hat sich die Psychoanalyse überhaupt erst neu zu orientieren und sich von den traditionellen, oft auch linkspolitisch gefärbten einseitigen Sichtweise, sie seien nur hilfsbedürftige, „empathiebedürftige" Opfer und ihrer Gesundheit Beraubte, zu lösen.

Auf das Tausendfüßlerproblem in Diagnostik und Therapie bei Beachtung maximal vieler Gesichtspunkte und die dann nicht mehr erreichbare Integration von Gesichtspunkten wird kaum eingegangen. Es herrscht der Glaube an eine beliebige Integrationsfähigkeit im Patienten wie im Analytiker vor, also Selbstüberschätzung und Idealisierung des Patienten, der Therapeuten und der Behandlungsmethode selbst. Die Folgen solcher Versuche dürfte eher Verwirrung und trügerische Selbstzufriedenheit sein, im Analytiker wie im Patienten. Und von dieser aus ist es noch ein weiter Schritt, wenn nicht ein rätselhafter Hiatus, zur Minderung der Symptomatik, wegen der der Patient gekommen ist und die nur zu oft in Vergessenheit gerät vor lauter Intellektualisieren. Auf den Seiten 124-125 kommt der Autor diesem Auftrag näher, wenn auch das konkrete dialogische Geschehen nicht mitgeteilt wird.

Über „Interpretationsentwürfe"(S.122) und „Deutungshypothesen" (S.125-126) geht es nicht hinaus. Von diesen aber haben wir genug, - in jedem Sinne. Im Intellektualisieren („Glasperlenspiele") mittels unentwegt feiner ausgefeilter Begriffe sind wir Analytiker ja seit Freud große Meister.

Der Autor hängt dem Regressionsmodell an (S. 136), setzt sich aber nicht damit auseinander, dass Regression von Patienten oft nur gespielt ist, weil sie - mit Recht – glauben, dass der Analytiker solches gern hört, sogar begierig darauf wartet („Compliance", ein Übertragungsphänomen.des Patienten wie des Analytikers). Der Patient kennt seinen Analytiker nicht weniger als dieser ihn. Einer meiner Patienten sprach immer von „Lokolade". Schon vor Beginn einer Psychotherapie, sogar vor dem Erstgespräch, wissen die Patienten, was gern gehört werden wird. Hier wird die gewaltige Übertragung der Patienten, die diese von vorneherein mitbringen, übersehen, wie auch wohl die nicht weniger gewaltige Übertragung von Seiten des Analytikers auf den Patienten. Der Analytiker ist von vorneherein auf solche „Regressionsphänomene" eingestimmt und sieht sich darin nur zu gern bestätigt. Regression wird aber auch als Romantizismus (Renik 1998, 1999), als Sehnsucht und Anspruch nach der allerfrühesten Kindheit durch den Analytiker selbst erkannt, - auch hierauf geht der Autor nicht ein, -offenbar in Anpassung an die erwähnten Richtlinien der Versicherungen.

Muss es der Wunsch nach „Regression" (S. 156) sein, wenn ein männlicher Patient absagt, nachdem er die Puppen erblickt hat, welche die Therapeutin demonstrativ aufgereiht hat? Warum soll seine Absage durch „Angst vor ihrer Attraktivität" motiviert sein? Hier wird der erwachsene Patient nur klein gemacht, wie es in der heutigen Psychoanalyse weithin üblich ist. Dass der Patient hier nur aggressiv reagiert, weil er einen aggressiven, aufdringlichen Feminismus wittert und die Therapeutin so behandelt, wie er sich wohl von ihr behandelt fühlen wird, und kein Masochist sein möchte, kommt nicht in den Sinn. Es muss nicht so sein, aber es kommt gar nicht erst in den Sinn, - dies will ich sagen. Das normale Aggressive und Erwachsen- Männliche wird ausgeblendet, bis auf eine angeblich beängstigende erotische Vorstellung. Warum soll die Attraktivität einer Therapeutin einen erwachsenen Mann derart abschrecken? Weil er in der Analyse ein Kind sein soll? Weil er wie Freud eine Phobie vor Frauen haben soll? Dies ist schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil er sich eine Frau für seine Analyse ausgesucht hat, - so groß also kann seine Angst vor Frauen nicht sein.

Auch im folgenden Fall (S.157), in dem ein Patient vor der Tür stehengelassen wurde, weil er zwei Minuten zu früh geklingelt hatte, vermeidet es der Autor, auf dessen Motiv zu sehen, nicht mehr weitere Therapie in Anspruch zu nehmen. Es ist das Motiv, einen Therapeuten abzulehnen, der ihn offenbar erniedrigen, erziehen möchte. Der Patient handelt hier aus einem durchaus erwachsen-reifen Motiv. Stattdessen bemüht der Autor eine Erinnerung des Patienten an seinen „autoritären Vater" (S.157) sowie eine Einordnung des Verhaltens als „Widerstand". Hier wird nur der analytisch gängigen Version der Bestimmtheit durch die Kindheit gefolgt. Der Patient wird hier wiederum als Kind mit einem neurotischen „Widerstand" gesehen, obwohl er sich doch als Erwachsener nur normal-gesund verhält. Wie routiniert, beflissen und voreilig und vorgestanzt solche eingefahrenen Gedankengänge sind, wird auch daraus ersichtlich, dass der Patient ja nur ein Erstgespräch hatte, und der Autor dennoch bereits – bienenfleißig – auf einen autoritären Vater schließt. An diesen beiden Fällen allein wird bereits die Voreingenommenheit des Analytikers unübersehbar. Nicht diese beiden Patienten stehen hier im Vordergrund, sondern die theoretische Voreingenommenheit des Analytikers („Kindheit", Regression", „Widerstand"). Hierzu schreibt der Autor selbst treffend (S.159): „Patienten... haben das Gefühl, dass ihr Therapeut von einer vorgefertigten Theorie ausgeht, aber sich nicht wirklich auf sie bezieht und auf das hört, was sie zu sagen haben". Wie wahr! Aber wie anerkennenswert auch, dass der Autor selbst dies bekennt, wenn er es auch nicht auf diese beiden Fälle anwendet. Routine ist der schlimmste Feind der Psychoanalyse (Verf.), - weil sie sich so vernünftig gibt und weil sie sich allgemeiner Zustimmung sicher sein kann.

Im Fall einer 38j. Patientin (S.167ff) nimmt der Autor deren biographische Schilderung anscheinend doch für bare Münze, als ob noch nie vom üblichen „parent blaming" und vom Abwehrcharakter biographischer Schilderungen gehört hätte. Aber er hat davon nicht nur davon gehört, sondern warnt sogar selbst (S.165) vor „biografischen Rekonstruktionen und „false memory". Diese Erkenntnis allein schützt also nicht, und überall kann man sehen, dass ihr nicht Folge geleistet wird. Das Gift der Konzepte von „Kindheit und Regression" wirkt noch immer.

Dass die Patientin es genießt, selbstherrlich auf ihre Eltern herabzublicken, ihrer Mutter vorzuwerfen, dass sie sich nicht scheiden ließ, und die Eltern mit Magersucht unter Druck zu setzen, kommt nichts ins Blickfeld, - dabei ist diese Art von narzisstischer Störung (Überheblichkeit und noch Stolz auf diese Überheblichkeit, Verdrängung jeglicher Schuldgefühle) gang und gäbe.

Immerhin fällt dem Autor auf, dass sie „unbezogen" ist und ihren „eigenen Anteil „ an den gescheiterten Männerbeziehungen nicht reflektiert, aber es fällt kein Wort über den aggressiven Narzissmus, obwohl er diesen zweifellos gefühlt hat.

Es entspricht zu sehr der heutigen Psychoanalyse, Schmutz und Aggressivität nicht anzufassen. Es dient auch nicht dem näheren Verständnis, den Fall mit Freuds Fall „Dora" zu beschweren, - deren Analyse ohnehin gescheitert war. Muss man einen Patienten zu verstehen suchen, indem man solches tut? Wie informativ soll die Mitteilung sein, sie sei eine „äußerlich anziehende junge Frau" gewesen. Will der Autor damit sagen, dass die Attraktivität ihren Narzissmus gefördert habe und er das Aggressive in ihr gespürt hat? Dass seine Gegenübertragung ihn gewarnt hat? Darf dies der Autor offenbar nur gut fühlen, aber nicht darüber Näheres schreiben?

Man kann in der heutigen Psychoanalyse nur zu oft den Eindruck gewinnen, dass gewaltige Selbstzensuren i.S. einer pseudoanalytischen „correctness" kräftig am Werk sind. Über wirklich unangenehme Themen spricht man nicht. - Hätte der Autor übrigens eine andere Psychodynamik vermutet, wenn sie weniger attraktiv gewesen wäre? Nicht nur Analytiker werden gewöhnlich idealisiert, sondern auch die Patienten, diese wohl noch mehr.

Was ich damit sagen will: Aggressivität und aggressiver Narzissmus in Patienten werden von Analytikern wie von fast allen Personen, - denn Empathie haben keineswegs die Analytiker nicht für sich gepachtet, Nachbarn haben sie ebenfalls - unterschwellig sehr wohl wahrgenommen, spätestens an ihrer Gegenübertragung erkannt, aber dennoch tabuisiert. Es liegt nicht an der Wahrnehmung, sondern an der Selbstzensur. Pflichtgemäß befasst sich hingegen der Analytiker (S.170) ausgiebig mit der erotischen Gegenübertragung und mit seiner eigenen Biographie. Diese sind heute nicht tabuisiert, - wahrscheinlich waren sie es nie, und es ist kein Kunststück, vor allem nichts Neues, über sie zu schreiben. Vor allem aber wird immer wieder übersehen, dass die Patienten nicht wegen ihrer erotischen Übertragung und auch keineswegs wegen der Besonderheiten und liebenswerten Eigenschaften des Analytikers gekommen sind, sondern allein wegen ihrer Symptomatik (Beschwerden), die sie loswerden möchten. Andere Motive wie bloße Selbsterkenntnis, „Befriedigung von Neugier über sich selbst" oder erweiterte Weltkenntnis werden ihnen von interessierter Seite unterstellt, um Psychoanalyse als Vehikel zu benutzen. Es ist auch sehr die Frage, ob hier zur Behandlung (S.187-188) wirklich der Rekurs auf die eigene Mutterbeziehung des Analytikers notwendig, zweckmäßig (so im Sinne der vom Autor so hervorgehobenen Richtlinienpsychotherapie) oder wenigstens von Nutzen war, statt die inneren Konflikte in der Patientin direkt anzugehen (etwa durch Abwehranalyse). oder der Patientin die Lösung selbst zu überlassen (nach Sampson und Weiss ab 1982, s.u.). Sind solche Rekurse nicht doch etwas zu umständlich? Ist nicht der aggressive Narzissmus dieser Patientin auch ohnehin ersichtlich? (S 187:: „..diese nur um sich selbst kreisende, keine Rücksicht auf Andere nehmende, übermäßig ansprüchliche Person... beklagte sich.."). Hilft es dieser Patientin, wenn ihr Analytiker „seine Mutterbeziehung ganz ähnlich erlebt" hatte (S 188)? Der Diagnostik hat dieser Umweg nicht geholfen, aber vielleicht der Therapie? Die Anhänger der „inneren Verarbeitung im Analytiker" schwören auf sie als die via regia: „Intermediärer Raum", „Reverie", „Das analytisch Dritte", die Dritte Position", „Inneres Mitschwingen auf mehreren (! Verf.) Sinneskanälen sowie ein inneres Verstehen und Integrieren der unbewusst wahrgenommenen kommunikativen Signale"... „als ob ein Patient spüren kann, wie sein Analytiker mit den angetragenen widersprüchlichen Rollen, den traumatischen Gefühlen, der verzweifelten Abwehr gegen eine gefürchtete Retraumatisierung, dem inneren Zerrissensein selbst umzugehen und zu Rande zu kommen versucht" ... „vor allem auch anhand vieler nonverbaler Beziehungsphänomene (S.194). Der Patient erfahre so neue Möglichkeiten, mit dem auswegslos Escheinenden, den ..Wiederholungszwängen, dem Sich-Verrennen, der Sprachlosigkeit, dem Nicht- Fühlen –können zurecht zu kommen und diese in kleinen Identifikationsschritten mit den mentalen Verarbeitungsprozessen seines Analytikers zu übernehmen"... „vorrangige Aufgabe eines Analytikers sei, die Beziehung zu seinem Analysanden zu überleben"(S. 195, zit nach Zwiebel 2003), „die viel stärkere Berücksichtigung des Beziehungsgeschehens, der Persönlichkeit des Therapeuten und der Auswirkungen seiner Subjektivität auf den Patienten".

So neu wie dargestellt sind solche Gedankengänge nicht. Das Konzept von Aufnahme (containing) durch den Analytiker und Rückgabe an den Patienten nach „Detoxifying" (S.198: „...um auch toxische Emotionen in sich aufzunehmen und verarbeiten zu können") gehört längst zum analytischen, eingängigem Inventar (Kleinianismus, Bion). Dies gilt auch überhaupt für die Konzentration auf das „unbewusste Beziehungsgeschehen (in) analytischen und therapeutischen Prozessen" und auf den „unbewussten ..- mikroprozessualen, kontinuierlichen -Handlungsdialog, das Enactment,(S 198), mit „Bewusstwerdung im Analytiker" und die „symbolisierenden Verarbeitungsprozesse.im Analytiker selbst..." und der Notwendigkeit für den Patienten, „sich mit den inneren Arbeitsvorgängen seines Analytikers zu identifizieren". Dies ist mittlerweile ein alter Hut. So notwendig diese Gesichtspunkte auch sind, - die erhofften und implizit versprochenen sensationellen therapeutischen Vorteile haben sie bislang nicht gebracht. Dazu äußert sich der Autor nicht, wenn er auch auf die Schwierigkeiten hinweist. Fortschritte in der Theorie haben offenbar Vorrang vor Verbesserung der Therapie. Wozu noch in der Therapie Verbesserungen, wenn man diese in der Theorie schon schwarz auf weiß hat?

Im Ton schwingt eine gewisse postulierte Heldenhaftigkeit im Analytiker unangenehm mit. Was ist dies für ein Bild von einem Analytiker? Ist dies wieder einmal eine Erhöhung, eine Idealisierung, eine Mystifizierung? Deshalb muss aber Analysieren nicht gleich ein „unmöglicher Beruf" sein (Freud 1937 c, Schneider 2006, zit.n.Autor).

Auch eine „Verunsicherung auszuhalten", was der Autor (n. Zwiebel 2007) zitiert und empfiehlt, kann allein nicht ausreichen. Hier besteht die Gefahr, zu ertragende Erschwernisse, wie es auch noch viele andere gibt, mit besonderen therapeutischen Erfolgen zu verwechseln. Sind diese vermeldet? Der Autor stellt neue analytische Ideen des Verständnisses oder solche, die neu erscheinen, vor, aber vor einer therapeutischen Bewertung hütet er sich. Hatte der Titel: „ ... –technik" nicht etwas mehr versprochen?

Der Autor nimmt nicht dazu Stellung, ob sich Analytiker mit diesen Aufgaben nicht übernehmen (Tausendfüßlerproblem). Hoffentlich werden hier nicht wieder Versprechungen suggeriert, die nicht gehalten werden können, oder nur von Ausnahmetalenten, - es wäre nicht das erste Mal. Es ist ja nicht nur so, dass der Analytiker diese gewaltigen Aufgaben in sich stemmen muss, sondern dass der Patient daran auch teilzuhaben hat, will er für seine Störung Gewinn daraus haben.

Man kann bei näherer Lektüre den Eindruck haben, dass beides miteinander gleichgesetzt wird. Der Autor nimmt hierzu ebenfalls nicht Stellung. Wunschdenken reicht nicht, ein Gefühl, „stolz darauf zu sein" (S.195), auch nicht. Der Patient ist nicht gekommen, damit sein Analytiker sich stolz fühlt. Andernfalls sollte der Analytiker seinen Patienten bezahlen, denn er hätte etwas vom Patienten bekommen.

Auch „Verständnis" allein reicht nicht, Analytiker müssen auch liefern. Analytische Arbeit muss sich von Spontanverläufen unterscheiden. „Veränderungen im Patienten und im Therapeuten" (S.199) reichen dazu nicht, Forderungen danach, für die Zukunft erhofft, ebenfalls nicht. Analytiker haben nach der Gesetzeslage, an der Richtlinienpsychotherapie, die der Autor allem voranstellt, einen Heilauftrag zu erfüllen.

Die Patienten bemerken es sehr wohl, wenn sich der Therapeut intensiv mit sich selbst beschäftigt, denn sie beobachten ihren Therapeuten nicht weniger intensiv als dieser sie, und sie fühlen sich wohl kaum noch als Person voll wahrgenommen, wenn ihr Analytiker sich derartig mit sich selbst beschäftigt. Dazu sind sie erst mal nicht gekommen. Ist dies bedacht? Für das Vertrauen (Arbeitsklima) dürfte dies zunächst und auch auf Dauer ungünstig sein. Die Patienten wollen einen Unterschied sehen zwischen Befassung mit ihnen und der des Therapeuten mit sich selbst. Auf keinen Fall wollen sie z.B. etwas hören aus der Biographie oder den persönlichen Konflikten des Analytikers oder seinen Träumen.

Patienten können sich auch auf diese Weise benutzt fühlen, zur Lösung innerer Konflikte ihres Analytikers beitragen (ausgenutzt zu werden) zu müssen, ohne hierzu gefragt zu werden, und sie wehren sich auch augenblicklich entschieden gegen solche Vereinnahmungen, es sei denn, sie sind ungewöhnlich „gehorsam" i.S. von Unterwerfung („Compliance"). Hier würde es sich um eine andere, freilich schwer erkennbare und keineswegs justiziable (schon wegen fehlendem Dolus) Form von Missbrauch handeln, über die nirgendwo gesprochen wird. Sind im Buch die Rechte und Erwartungen der Patienten hinreichend betont?

Verdienstvoll ist, dass der Autor die Auffassungen von Sampson & Weiss (Mount- Zion -Gruppe, ab 1982, (S.174 ff)) erwähnt, die in Deutschland nur kurz rezipiert worden sind und so gut wie keine Schüler gefunden haben: Der Patient sucht Sicherheit beim Therapeuten, damit er – auch ohne Deutung, namentlich auch ohne Deutung der Abwehr – selbst (!) seine symptomverursachenden Konflikte lösen kann. Der Patient hat schon vor Beginn der Analyse einen Plan, wie er seine inneren Konflikte meistern kann, und sucht dazu Sicherheit als Voraussetzung. Um Sicherheit zu gewinnen, stellt er seinen Therapeuten auf die Probe, auch auf sehr harte, führt ihn z.B. „in Versuchung", die Therapie vorzeitig zu beenden, indem er diesem dies in den Mund legt. Besteht der Therapeut die Probe nicht, ergreift der Patient die Flucht. Besteht er sie nur schlecht, geht der Patient in Stagnation, d.h. er geht auch kein Risiko mehr ein, sich selbst zu beobachten und seinen Konflikt selbst zu heilen. Erkennt der Therapeut diesen eigenen Plan des Patienten, kann er „Pro-Plan Interventionen" erfinden. Neuartig war auch die Betonung darauf, dass der Patienten seinen Therapeuten hierzu genau beobachtet. Diese Autoren konnten, m. W. als einzige Therapeuten, gültige Voraussagen machen. Diese Autoren sind damit auch als Erste deutlich von Freuds Thesen abgerückt, der Patient wolle mit Hilfe des Therapeuten nur seine kindlichen Wünsche erfüllen. Sie nehmen auch Wesentliches von Gray vorweg, indem sie die Selbstbeobachtung und die Mitwirkung des Patienten in den Vordergrund stellen. Ähnlich wie Gray es später ausgeführt hat, verlegen sie darauf den Akzent, - von Übertragung und Gegenübertragung weg, nicht erst mit Bollas (2006), wie der Autor erwähnt, der die heute ständig geforderten „Hier- und Jetzt-Übertragungsdeutungen" als Verkürzungen verstanden hat. Die Therapie soll dem Patienten die Sicherheit geben, die er braucht, seinen Plan nach Selbstmeisterung zu verfolgen. Auch die Biographie verliert wie bei Gray deshalb an Bedeutung.

Dass mit dem strapazierten Begriff der „Regression" das Pferd von hinten aufgezäumt wird, indem diese Richtlinien notorisch mit einem Beweis von Regression verwechselt werden, wird nicht erkannt, weder für den Einzelfall noch theoretisch. Dabei ist der Begriff der Regression längst in der Diskussion.

Im Buch ist viel (und richtig) von Gegenübertragung des Analytikers auf den Patienten die Rede, aber die nicht weniger gewichtigen Übertragungen des Analytikers auf den Patienten sind mehr oder weniger unbeachtet geblieben, wie überhaupt in der analytischen Lehrtradition und in offensichtlicher Anpassung an diese (Compliance auf Seiten der Analytiker). Warum soll der Analytiker denn keine Übertragung auf den Patienten haben? Warum soll sie geringer ausfallen als die des Patienten und die Psychotherapie jeder Art nicht ebenso beeinflussen? Er ist doch ein Mensch, er kann doch gar nicht anders, ob neurotisch oder nicht.

Der Autor verzichtet wohltuend auf den letztlich wohl misogynen Standard- Vorwurf an die Mütter, sie hätten besser „spiegeln" sollen (Fonagy u.a.).

Ein hilfreiches Buch, wenn auch nicht ohne schwere Mängel.

Theorie steht im Buch zu sehr vor Therapie.

61462 Königstein, 2017

Dr. Manfred Krill, Psychoanalyse (DPV, IPV, FPI, IPAA)



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



 

 


 

 

 

 

 

 

        

 

 

        

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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